Mobile Research: Konkurrent oder Ergänzung
Die Branche der Marktforscher ist derzeit in zwei Lager gespalten: die „Early Adopters“, die in der mobilen Marktforschung eine große Chance wittern und die Marktforscher, die überwiegend Probleme in der neuen Erhebungsmethode sehen. Doch tatsächlich ist Mobile Research ein weiteres leistungsstarkes Mittel zum Zweck und kann in vielen Disziplinen mitspielen - nicht nur als Konkurrent zu den gängigen Methoden, sondern auch als Team-Player.
Für die Olympischen Sommerspiele in London 2012 plant das Marktforschungsinstitut „The Nielsen Company“ eine umfassende Mobile Research Studie. Um das Verständnis für die vielfältigen neuen Technologien zu vertiefen, sollen bei dieser Untersuchung unter anderem Geofencing, Bread-crumbing, Barcode-Scanner und Videos eingesetzt werden. Ein erstes derartiges Mobile Research Projekt hatte Nielsen schon zur Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika durchgeführt.
Um den Wiedererkennungswert von Werbung und Marken zu verifizieren, wurde das Medienverhalten rekrutierter Panelteilnehmer während der Weltmeisterschaft mittels BlackBerry beobachtet. Es konnten durchweg in der gesamten Feldzeit sehr hohe Responsequoten erzielt werden. Zudem übermittelten die Teilnehmer aussagekräftige Fotos und Nielsen konnte eine Bildsammlung von ca. 60.000 Fotos verzeichnen. Die Zuschauer von sportlichen oder anderer Großereignissen zu Marktforschungszwecken mit Hilfe mobiler Geräte zu motivieren – kann das zur Realität der Marktforschungsbranche werden oder ist dies nur ein flüchtiger Hype?
Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung des mobilen Internets wächst rasant: Immer mehr User gehen mobil ins Netz und machen sich unabhängig vom stationären Web. In Deutschland sind dies laut der aktuellen Studie „Mobile Web Watch 2011“ bereits 14 Millionen Menschen– fast fünfmal so viele wie im Jahr 2008. Begleitet wird diese Entwicklung von einer anhaltend starken Penetration der Mobiltelefone. Laut Marktforschungsunternehmen Gartner wurden im dritten Quartal 2011 weltweit 440,5 Millionen Mobiltelefone verkauft.
Smartphones zum Zeitvertreib
Gut jedes vierte Handy, das derzeit in Nutzung ist, ist mittlerweile ein Smartphone. Ab dem kommenden Jahr dürften vor allem günstige Einstiegs-Smartphones das Wachstum weiter antreiben. Damit werden nach Einschätzungen von Gartner simple Handys mit wenig technischen Spielereien immer mehr zum Auslaufmodell: Im Jahr 2015 werden voraussichtlich in Westeuropa 95 Prozent der verkauften Mobiltelefone Smartphones sein.
Die Marktdurchdringung der Smartphones scheint unaufhaltsam und das nicht nur bei Managern und Wirtschaftsbossen. Laut dem Ergebnis der Ipsos-Studie „Mobile Consumer Evolution 2011“ gibt es heute allein in Deutschland 12 Millionen private Smartphonenutzer über 18 Jahren. Diese sind mit ihrem Gerät eng verbunden: 65 Prozent gehen nicht ohne Smartphone aus dem Haus. Es wird vor allem als Pausenfüller und Informationsquelle benutzt, um Daten spontan und unkompliziert abrufen zu können.
Das „Internet in der Hosentasche“ verändert die Arbeits- und Konsumwelt massiv: Mobile Services über das Netz zu verwenden hat sich inzwischen fest im Alltag vieler Nutzer etabliert. Sie greifen mobil auf soziale Netzwerke zu, kaufen per Handy ein, navigieren mit ortsbezogenen Diensten durch den Alltag.
Die mobile Welt ist die Heimat der „Digital Natives“, die mit Internet und Handys aufgewachsen sind. Grund genug für eine ganze Branche, die Chancen für mobile Marktforschung in den Fokus zu nehmen.
Online versus Mobile?
Der von der Unternehmensberatung meaning ltd. herausgegebene jährliche “Market Research Software Survey Report 2011“ gibt Aufschluss über die Wertschätzung mobiler Marktforschung in der Fachbranche: Zum ersten Mal in der siebenjährigen Geschichte des Berichts haben die Befragten nicht Online als die sich am schnellsten entwickelnde Methode bestimmt. An seine Stelle ist die Self-Completion (Eigenständige Beantwortung) über mobile Endgeräte getreten. Den Grund dafür sieht Studienleiter Tim Macer vor allem in der Sättigung der Methode Onlinemarktforschung. „Studien, die geeignet waren von persönlichen oder telefonischen Interviews auf eine Online-Befragung umzustellen, sind Auslaufmodelle“, so der Brite. Das Potenzial für Wachstum in der Onlinemarktforschung sei begrenzt. Was vor zehn Jahren die Onlinemarktforschung bewegte, bringe heute Mobile Research ins Rollen.
Betrachtet man jedoch die fortschreitende Entwicklung der ständigen Präsenz des Internets auf allen Endgeräten der Verbraucher – Home-PC, Handy oder Tablet – wird es auch für die Marktforschung offensichtlich, dass Online- und Mobilbefragungen nicht als konkurrierende Methoden zu sehen sind. Mobile Market Research kann sicherlich als Fortsetzung der Online Forschung betrachtet werden. Zumindest bei einem Teil der Online-Studien muss schon beim Design an „mobile Nutzung“ gedacht werden. Denn die Verfasser der Studien wissen nicht genau, auf welchem Gerät eine E-Mail (z. B. Einladung zu einer Befragung) mittlerweile geöffnet wird, dies kann unter anderem auch auf dem iPhone oder dem iPad sein. Die Online-Befragung muss so aufgesetzt sein, dass sie auf einer Vielzahl mobiler Geräte wie Smartphones oder Tablets ausgeführt werden kann, aber auch auf einer möglichst hohen Anzahl der noch vorhandenen „Altgeräte“.
Egal ob online oder mobile, es gibt keine kostengünstigere Methode, Befragungsteilnehmer zu rekrutieren, als diese durch Einladung per e-Mail, SMS, QR-Code bzw. über (mobile) Websites zu anzusprechen. Generell bleiben bei Online und Mobile Studien eher methodische Überlegungen zu berücksichtigen: Sollen Befragte oder Panelteilnehmer tatsächlich überall unterwegs antworten können oder wird für bestimmte Studien Ruhe und Überlegung gefordert? Sind die Stichproben repräsentativ? Welche Verzerrungen sind an sich schon durch das gewählte Befragungsmedium zu antizipieren? Methodische Effekte – nicht notwendigerweise Nachteile – sind anzunehmen, glaubt Winfried Hagenhoff, Geschäftsführer bei TNS Infratest und macht dies an einem Beispiel fest: „Wenn online eine Frage als Grid aufgebaut und mobil screengrößenbedingt als fünf Einzelfragen dargestellt wird, dann kann dies ein unterschiedliches Antwortverhalten bedeuten; der Stimulus wirkt nicht notwendigerweise bei jedem Befragten gleich.“ Andererseits erfolge mit der Methodenmischung auch eine Zufallsstreuung, die zusammen mit der verbesserten Gesamtausschöpfung einer Stichprobe eine Qualitätsverbesserung bedeuten kann. Generell gäbe es aber eine zunehmende Akzeptanz von Mobile Research, da die breitere Erreichbarkeit von Befragten innerhalb kurzer Zeit immer zentraler wird, so Winfried Hagenhoff.
Klassische Befragungen mobil angereichert
Mobile Marktforschung kann auch klassische Erhebungsmethoden wie z.B. Paper & Pencil auf moderne Art und Weise unterstützen. Auch hier, im sogenannten mobilen CAPI-Markt (Computer Assisted Personal Interview) zeigen sich einige interessante Entwicklungen. Laut meaning Ltd. ist mobiles CAPI inzwischen ein wichtiger Bestandteil des Angebots von Marktforschungsinstituten. Im Jahr 2010 haben 16 Prozent aller Firmen diese Methode angeboten. „Mobile Research kann klassische Methoden stärken und manche Lücken füllen“, ist Tim Macer überzeugt. Dank des Einsatzes mobiler Geräte in der Marktforschung sei man in der Lage sowohl die Stichprobenbildung als auch die Datenerhebung erheblich zu präzisieren. Zum Beispiel kann durch die GPS-Funktion ortsgebundene Informationen erfasst und exakt geortet werden.
Anders als noch vor einigen Jahren erlauben mobile Geräte heute im Bereich der face-to-face Studien eine deutlich höhere Usability. Statt kleiner Smartphone Displays können auf Tablets auch größere Schriftarten und komplexere Fragetypen, wie etwa eine Matrix, zum Einsatz kommen. Die goldene Regel „Keep it simple“ ist nach wie vor in der Marktforschung unantastbar, wenn man niedrige Responsequoten und wenig Engagement bei den Befragten vermeiden will - unabhängig davon, ob persönlich, telefonisch, online oder mobil erfasst wird.
Insbesondere bei Face-to-Face Interviews, Mystery Shopping und Tagebuchstudien bietet ‚mobile‘ in Verwendung mit aktuellen Geräten ganz neue Möglichkeiten. Ob durch die Integration von Videos in den Befragungen oder durch die Chance, auch qualitative Aspekte wie z.B. Fotoaufnahmen oder O-Töne der Befragten zu erheben. Gerade die Vielfalt der Medienwiedergabe durch den Einsatz mobiler Endgeräte eröffnet im Vergleich zu klassischen Befragungssituationen mit Bleistift und Papier eine Vielzahl an zusätzlichen Möglichkeiten. So können Simulationen, alternative Werbespots, Sounds oder ähnliches, den Befragten direkt vorgeführt werden. Dies konnte früher nur per Laptop umgesetzt werden. Mit der Nutzung weiterer technischer Kapazitäten moderner Geräte bietet sich so die Chance, das Engagement und Interesse der Befragten zu steigern oder auf einem hohen Level zu halten.
Speziell im Bereich Tagebuchstudien erlauben mobile Geräte, die mit einer vorab programmierten Erinnerungsfunktion ausgestattet sind, eine strikte Einhaltung der Erhebungszeitpunkte. Eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse durch den Recall Effekt wird somit vermieden. Darüber hinaus protokolliert das Gerät jede Eingabe und überprüft zusätzlich das Zeitraster. Eine Vorlesefunktion, die z. B. bei Studien mit Kindern ab sechs Jahren zum Einsatz kommt, ermöglicht die Durchführung von Befragungen, die ohne diese Geräte nicht realisierbar wären. So konnte 2009 in der Tagesablaufstudie „MindSetKids“ erstmals untersucht werden, wie das Leben der jüngsten Medien-und Konsum-Zielgruppe zwischen den vielfältigen Angeboten in Familie, Schule und Freizeit abläuft.
Technischer Hürdenlauf
Je nach Studiendesign und gewünschtem Schwerpunkt variiert die Abhängigkeit der technischen Infrastruktur für Mobile Research. Für Marktforscher mag es verlockend sein, dass Befragungsteilnehmer immer ein Smartphone in der Tasche haben und „always on“ sind. Die Umsetzung gestaltet sich allerdings oft um einiges schwieriger als ursprünglich gedacht.
So sind für die Befragungen mit einem so schnellen Tool wie SMS ganz andere technische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen als bei Messebefragungen, die auf Tablet PCs durchgeführt werden.
Wesentliches Unterscheidungsmerkmal bei mobilen Befragungen ist, ob die Befragung online oder offline durchgeführt werden soll (siehe Tabelle). Für beide Varianten gibt es unterschiedliche technische Umsetzungen und sie unterscheiden sich in ihren Möglichkeiten.
Bei Befragungen online über mobile Geräte rufen die Teilnehmer direkt aus einer Einladungs-Mail oder SMS die Fragebögen im Browser des Mobilgeräts auf. Die unterschiedlichen Browser (Safari, Opera, Handy-spezifische Browser etc.) spielen eine wesentliche Rolle bei der Darstellung der Fragebögen und dem weiteren Funktionsumfang der Befragung. Dank Smartphones ist die Zeit der Minibrowser zwar voraussichtlich bald beendet, trotzdem müssen diese noch berücksichtigt werden. Soll die Befragung auf verschiedenen Geräten erfolgen, kann die Umsetzung kompliziert werden. Nicht jede Standardsoftware bietet die automatische Anpassung etwa auf verschiedene Displaygrößen als Funktionalität an.
Zu erwägen ist auch, dass Endgeräte möglicherweise nicht internetfähig sind, sei es dass sie technisch nicht konfiguriert sind oder kein entsprechender Tarif gebucht wurde.
Alle Befragungsteilnehmer mit diesen Voraussetzungen fallen somit im Vorfeld schon aus. Aber auch zusätzlich anfallende und unter Umständen nicht transparente Kosten für die Teilnehmer einer mobilen Online-Umfrage (Internettarif, Roaming) können sich auf die Response-Rate negativ auswirken oder zur Verärgerung der Probanden führen. Auch muss während der Befragung eine Internetverbindung gewährleistet sein: z.B. kann es bei einer Befragung im Fernverkehr bei schlechter Netzabdeckung durchaus zu Ausfällen kommen. Für im Browser ausgeführte Befragungen muss die eingeschränkte Verwendungsmöglichkeit der Sensoren berücksichtigt werden. Einsätze von Kamera, Video- und Audioaufnahmen sind darin nicht oder nur eingeschränkt möglich.
Die Voraussetzung für mobile Befragungen, die offline durchgeführt werden, ist eine separate App die für jedes Betriebssystem entwickelt wird und auf den Geräten installiert werden muss. Bei „Self-Completion“ kann dies durchaus ein Hindernis sein, an dem die Teilnahme an der Befragung scheitert. Im App-Umfeld können die Sensoren der Geräte allerdings voll eingesetzt werden. Interviews können hierbei mit medialer Unterstützung abwechslungsreich gestaltet oder die gesammelten Daten um qualitativ hochwertige Aspekte wie Fotos angereichert werden.
In einigen Situationen sind Offline Befragungen sogar dringend anzuraten. Insbesondere bei Event- und Messebefragungen müssen keine überlasteten Handynetze oder überlagernde WLANs berücksichtigt werden. Bei sicherheitstechnisch hochsensiblen Studien wie zum Beispiel „Car Clinics“ kann durch eine offline Lösung ein Sicherheitsrisiko ausgeschlossen werden. Die Daten werden auf den Geräten gesam melt und später per USB Kabel synchronisiert.
Entwickler setzen auf HTML5
Entwickler von nativen mobilen (Marktforschungs-)Apps sind mit einer Vielzahl an Betriebssystemen (Apples iOS, Googles Android, Microsofts Phone 7, RIMs Blackberry, Nokias Symbian etc.) konfrontiert. Da diese Plattformen sich bzgl. der Programmierung (z.B. Programmiersprache) teilweise fundamental unterscheiden, ist es notwendig, für jede Zielplattform eine dedizierte App zu programmieren. Das vervielfacht den Aufwand der Erstellung und der anschließenden Wartung sowie der damit verbundenen Kosten und führt meist dazu, dass nur einige Betriebssysteme bedient werden können.
Eine viel diskutierte Lösung für das Multiplattformproblem und der Hoffnungsträger ist HTML5 als Nachfolger von HTML4, dem derzeit gängigen Standard für Websites. HTML5 soll vielfältige neue Funktionalitäten in verbesserter Darstellungsmöglichkeit bieten, wie unter anderem die Wiedergabe und Aufnahme von Video und Audio, den lokalen Speicher oder auch für die Geolokation. Vieles davon wird bisher durch HTML4 nicht direkt unterstützt, so dass bislang zusätzliche Plugins, wie zum Beispiel Adobe Flash, eingesetzt werden müssen. HTML5 befindet sich derzeit in der Entwicklung, die Spezifikation ist bislang nicht finalisiert. Doch schon jetzt unterstützen aktuelle Browser einige Funktionen aus dem kommenden Standard. Mit HTML5 soll die Möglichkeit geschaffen werden, eine Anwendung ohne großen Aufwand für mehrere Plattformen bereitzustellen und damit Entwicklungs- und Wartungskosten zu reduzieren.
Abwarten oder einsteigen?
Mobile Research ist ein derzeit stark wachsendes, vom Umsatz her betrachtet, jedoch ein noch sehr kleines Segment. Die Mehrheit der Branche pflegt eine abwartende Haltung gegenüber Mobile Research und geht das Thema nicht konsequent strategisch an. Viele betriebliche Marktforscher treiben die Diskussion allerdings aktiv vorantreiben, denn vor allem für die Industrie- und Handelsunternehmen mit starken Marken ist es der nächste logische Schritt, Studien mit mobilen Geräten aufzusetzen. Sie seien meist schon heute im mobilen Bereich durch ihre Social-Media-Aktivitäten oder auch durch Apps für Onlinebestellungen und die Abwicklung von Verbraucheranfragen stark präsent, so Tim Macer.
Diese großen Unternehmen besitzen die entsprechenden Ressourcen, um mehrere Methoden zu unterstützen und neue Ideen zu testen. Darüber hinaus greifen die Institute für Mobile Research Projekte auf spezialisierte Anbieter zurück. Es gibt heutzutage viele Spezialisten auf dem Gebiet der mobilen Marktforschung. Sie bedienen sich verschiedenster Methoden, um Feedback zu erlangen – von Befragungs-Apps bis hin zu In-App Feedback-Kanälen und On-Device Monitoring. Dies empfiehlt auch Winfried Hagenhoff, Geschäftsführer bei TNS Infratest, da das Segment Mobile Research sehr schnell wachse und die Anzahl der Lösungen auf dem Markt rasch unübersichtlich werden könne. Die richtige anforderungsbezogene Auswahl brauche mindestens solange Expertise, bis einzelne Lösungen besonders hohe Reifegrade erreicht haben. Um diesen zu erlangen brauche der Markt allerdings noch Zeit, um mit den dann großen Umsatzvolumen akzeptierte Standards zu entwickeln.
Fazit
Mobile Marktforschung ist kein einspuriger Weg, es ist ein vielseitiger Kanal mit einer ganz eigenen Berechtigung. Diese Methode unterstützt „self-completion“, interviewgestützte, quantitative und qualitative, visuelle, textliche, sprachliche, bildliche, passive oder beobachtende Erhebungen. Gleichzeitig erweitert Mobile Marktforschung die Dimension um örtliche und zeitliche Daten. Das Spektrum und die Möglichkeiten mobiler Marktforschung verändern sich rasant und werden ständig weiter entwickelt. Die Zukunft wird zeigen, dass an Mobile Research kein Weg vorbei führt.
Für die Olympischen Sommerspiele in London 2012 plant das Marktforschungsinstitut „The Nielsen Company“ eine umfassende Mobile Research Studie. Um das Verständnis für die vielfältigen neuen Technologien zu vertiefen, sollen bei dieser Untersuchung unter anderem Geofencing, Bread-crumbing, Barcode-Scanner und Videos eingesetzt werden. Ein erstes derartiges Mobile Research Projekt hatte Nielsen schon zur Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika durchgeführt.
Um den Wiedererkennungswert von Werbung und Marken zu verifizieren, wurde das Medienverhalten rekrutierter Panelteilnehmer während der Weltmeisterschaft mittels BlackBerry beobachtet. Es konnten durchweg in der gesamten Feldzeit sehr hohe Responsequoten erzielt werden. Zudem übermittelten die Teilnehmer aussagekräftige Fotos und Nielsen konnte eine Bildsammlung von ca. 60.000 Fotos verzeichnen. Die Zuschauer von sportlichen oder anderer Großereignissen zu Marktforschungszwecken mit Hilfe mobiler Geräte zu motivieren – kann das zur Realität der Marktforschungsbranche werden oder ist dies nur ein flüchtiger Hype?
Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung des mobilen Internets wächst rasant: Immer mehr User gehen mobil ins Netz und machen sich unabhängig vom stationären Web. In Deutschland sind dies laut der aktuellen Studie „Mobile Web Watch 2011“ bereits 14 Millionen Menschen– fast fünfmal so viele wie im Jahr 2008. Begleitet wird diese Entwicklung von einer anhaltend starken Penetration der Mobiltelefone. Laut Marktforschungsunternehmen Gartner wurden im dritten Quartal 2011 weltweit 440,5 Millionen Mobiltelefone verkauft.
Smartphones zum Zeitvertreib
Gut jedes vierte Handy, das derzeit in Nutzung ist, ist mittlerweile ein Smartphone. Ab dem kommenden Jahr dürften vor allem günstige Einstiegs-Smartphones das Wachstum weiter antreiben. Damit werden nach Einschätzungen von Gartner simple Handys mit wenig technischen Spielereien immer mehr zum Auslaufmodell: Im Jahr 2015 werden voraussichtlich in Westeuropa 95 Prozent der verkauften Mobiltelefone Smartphones sein.
Die Marktdurchdringung der Smartphones scheint unaufhaltsam und das nicht nur bei Managern und Wirtschaftsbossen. Laut dem Ergebnis der Ipsos-Studie „Mobile Consumer Evolution 2011“ gibt es heute allein in Deutschland 12 Millionen private Smartphonenutzer über 18 Jahren. Diese sind mit ihrem Gerät eng verbunden: 65 Prozent gehen nicht ohne Smartphone aus dem Haus. Es wird vor allem als Pausenfüller und Informationsquelle benutzt, um Daten spontan und unkompliziert abrufen zu können.
Das „Internet in der Hosentasche“ verändert die Arbeits- und Konsumwelt massiv: Mobile Services über das Netz zu verwenden hat sich inzwischen fest im Alltag vieler Nutzer etabliert. Sie greifen mobil auf soziale Netzwerke zu, kaufen per Handy ein, navigieren mit ortsbezogenen Diensten durch den Alltag.
Die mobile Welt ist die Heimat der „Digital Natives“, die mit Internet und Handys aufgewachsen sind. Grund genug für eine ganze Branche, die Chancen für mobile Marktforschung in den Fokus zu nehmen.
Online versus Mobile?
Der von der Unternehmensberatung meaning ltd. herausgegebene jährliche “Market Research Software Survey Report 2011“ gibt Aufschluss über die Wertschätzung mobiler Marktforschung in der Fachbranche: Zum ersten Mal in der siebenjährigen Geschichte des Berichts haben die Befragten nicht Online als die sich am schnellsten entwickelnde Methode bestimmt. An seine Stelle ist die Self-Completion (Eigenständige Beantwortung) über mobile Endgeräte getreten. Den Grund dafür sieht Studienleiter Tim Macer vor allem in der Sättigung der Methode Onlinemarktforschung. „Studien, die geeignet waren von persönlichen oder telefonischen Interviews auf eine Online-Befragung umzustellen, sind Auslaufmodelle“, so der Brite. Das Potenzial für Wachstum in der Onlinemarktforschung sei begrenzt. Was vor zehn Jahren die Onlinemarktforschung bewegte, bringe heute Mobile Research ins Rollen.
Betrachtet man jedoch die fortschreitende Entwicklung der ständigen Präsenz des Internets auf allen Endgeräten der Verbraucher – Home-PC, Handy oder Tablet – wird es auch für die Marktforschung offensichtlich, dass Online- und Mobilbefragungen nicht als konkurrierende Methoden zu sehen sind. Mobile Market Research kann sicherlich als Fortsetzung der Online Forschung betrachtet werden. Zumindest bei einem Teil der Online-Studien muss schon beim Design an „mobile Nutzung“ gedacht werden. Denn die Verfasser der Studien wissen nicht genau, auf welchem Gerät eine E-Mail (z. B. Einladung zu einer Befragung) mittlerweile geöffnet wird, dies kann unter anderem auch auf dem iPhone oder dem iPad sein. Die Online-Befragung muss so aufgesetzt sein, dass sie auf einer Vielzahl mobiler Geräte wie Smartphones oder Tablets ausgeführt werden kann, aber auch auf einer möglichst hohen Anzahl der noch vorhandenen „Altgeräte“.
Egal ob online oder mobile, es gibt keine kostengünstigere Methode, Befragungsteilnehmer zu rekrutieren, als diese durch Einladung per e-Mail, SMS, QR-Code bzw. über (mobile) Websites zu anzusprechen. Generell bleiben bei Online und Mobile Studien eher methodische Überlegungen zu berücksichtigen: Sollen Befragte oder Panelteilnehmer tatsächlich überall unterwegs antworten können oder wird für bestimmte Studien Ruhe und Überlegung gefordert? Sind die Stichproben repräsentativ? Welche Verzerrungen sind an sich schon durch das gewählte Befragungsmedium zu antizipieren? Methodische Effekte – nicht notwendigerweise Nachteile – sind anzunehmen, glaubt Winfried Hagenhoff, Geschäftsführer bei TNS Infratest und macht dies an einem Beispiel fest: „Wenn online eine Frage als Grid aufgebaut und mobil screengrößenbedingt als fünf Einzelfragen dargestellt wird, dann kann dies ein unterschiedliches Antwortverhalten bedeuten; der Stimulus wirkt nicht notwendigerweise bei jedem Befragten gleich.“ Andererseits erfolge mit der Methodenmischung auch eine Zufallsstreuung, die zusammen mit der verbesserten Gesamtausschöpfung einer Stichprobe eine Qualitätsverbesserung bedeuten kann. Generell gäbe es aber eine zunehmende Akzeptanz von Mobile Research, da die breitere Erreichbarkeit von Befragten innerhalb kurzer Zeit immer zentraler wird, so Winfried Hagenhoff.
Klassische Befragungen mobil angereichert
Mobile Marktforschung kann auch klassische Erhebungsmethoden wie z.B. Paper & Pencil auf moderne Art und Weise unterstützen. Auch hier, im sogenannten mobilen CAPI-Markt (Computer Assisted Personal Interview) zeigen sich einige interessante Entwicklungen. Laut meaning Ltd. ist mobiles CAPI inzwischen ein wichtiger Bestandteil des Angebots von Marktforschungsinstituten. Im Jahr 2010 haben 16 Prozent aller Firmen diese Methode angeboten. „Mobile Research kann klassische Methoden stärken und manche Lücken füllen“, ist Tim Macer überzeugt. Dank des Einsatzes mobiler Geräte in der Marktforschung sei man in der Lage sowohl die Stichprobenbildung als auch die Datenerhebung erheblich zu präzisieren. Zum Beispiel kann durch die GPS-Funktion ortsgebundene Informationen erfasst und exakt geortet werden.
Anders als noch vor einigen Jahren erlauben mobile Geräte heute im Bereich der face-to-face Studien eine deutlich höhere Usability. Statt kleiner Smartphone Displays können auf Tablets auch größere Schriftarten und komplexere Fragetypen, wie etwa eine Matrix, zum Einsatz kommen. Die goldene Regel „Keep it simple“ ist nach wie vor in der Marktforschung unantastbar, wenn man niedrige Responsequoten und wenig Engagement bei den Befragten vermeiden will - unabhängig davon, ob persönlich, telefonisch, online oder mobil erfasst wird.
Insbesondere bei Face-to-Face Interviews, Mystery Shopping und Tagebuchstudien bietet ‚mobile‘ in Verwendung mit aktuellen Geräten ganz neue Möglichkeiten. Ob durch die Integration von Videos in den Befragungen oder durch die Chance, auch qualitative Aspekte wie z.B. Fotoaufnahmen oder O-Töne der Befragten zu erheben. Gerade die Vielfalt der Medienwiedergabe durch den Einsatz mobiler Endgeräte eröffnet im Vergleich zu klassischen Befragungssituationen mit Bleistift und Papier eine Vielzahl an zusätzlichen Möglichkeiten. So können Simulationen, alternative Werbespots, Sounds oder ähnliches, den Befragten direkt vorgeführt werden. Dies konnte früher nur per Laptop umgesetzt werden. Mit der Nutzung weiterer technischer Kapazitäten moderner Geräte bietet sich so die Chance, das Engagement und Interesse der Befragten zu steigern oder auf einem hohen Level zu halten.
Speziell im Bereich Tagebuchstudien erlauben mobile Geräte, die mit einer vorab programmierten Erinnerungsfunktion ausgestattet sind, eine strikte Einhaltung der Erhebungszeitpunkte. Eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse durch den Recall Effekt wird somit vermieden. Darüber hinaus protokolliert das Gerät jede Eingabe und überprüft zusätzlich das Zeitraster. Eine Vorlesefunktion, die z. B. bei Studien mit Kindern ab sechs Jahren zum Einsatz kommt, ermöglicht die Durchführung von Befragungen, die ohne diese Geräte nicht realisierbar wären. So konnte 2009 in der Tagesablaufstudie „MindSetKids“ erstmals untersucht werden, wie das Leben der jüngsten Medien-und Konsum-Zielgruppe zwischen den vielfältigen Angeboten in Familie, Schule und Freizeit abläuft.
Technischer Hürdenlauf
Je nach Studiendesign und gewünschtem Schwerpunkt variiert die Abhängigkeit der technischen Infrastruktur für Mobile Research. Für Marktforscher mag es verlockend sein, dass Befragungsteilnehmer immer ein Smartphone in der Tasche haben und „always on“ sind. Die Umsetzung gestaltet sich allerdings oft um einiges schwieriger als ursprünglich gedacht.
So sind für die Befragungen mit einem so schnellen Tool wie SMS ganz andere technische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen als bei Messebefragungen, die auf Tablet PCs durchgeführt werden.
Wesentliches Unterscheidungsmerkmal bei mobilen Befragungen ist, ob die Befragung online oder offline durchgeführt werden soll (siehe Tabelle). Für beide Varianten gibt es unterschiedliche technische Umsetzungen und sie unterscheiden sich in ihren Möglichkeiten.
Bei Befragungen online über mobile Geräte rufen die Teilnehmer direkt aus einer Einladungs-Mail oder SMS die Fragebögen im Browser des Mobilgeräts auf. Die unterschiedlichen Browser (Safari, Opera, Handy-spezifische Browser etc.) spielen eine wesentliche Rolle bei der Darstellung der Fragebögen und dem weiteren Funktionsumfang der Befragung. Dank Smartphones ist die Zeit der Minibrowser zwar voraussichtlich bald beendet, trotzdem müssen diese noch berücksichtigt werden. Soll die Befragung auf verschiedenen Geräten erfolgen, kann die Umsetzung kompliziert werden. Nicht jede Standardsoftware bietet die automatische Anpassung etwa auf verschiedene Displaygrößen als Funktionalität an.
Zu erwägen ist auch, dass Endgeräte möglicherweise nicht internetfähig sind, sei es dass sie technisch nicht konfiguriert sind oder kein entsprechender Tarif gebucht wurde.
Alle Befragungsteilnehmer mit diesen Voraussetzungen fallen somit im Vorfeld schon aus. Aber auch zusätzlich anfallende und unter Umständen nicht transparente Kosten für die Teilnehmer einer mobilen Online-Umfrage (Internettarif, Roaming) können sich auf die Response-Rate negativ auswirken oder zur Verärgerung der Probanden führen. Auch muss während der Befragung eine Internetverbindung gewährleistet sein: z.B. kann es bei einer Befragung im Fernverkehr bei schlechter Netzabdeckung durchaus zu Ausfällen kommen. Für im Browser ausgeführte Befragungen muss die eingeschränkte Verwendungsmöglichkeit der Sensoren berücksichtigt werden. Einsätze von Kamera, Video- und Audioaufnahmen sind darin nicht oder nur eingeschränkt möglich.
Die Voraussetzung für mobile Befragungen, die offline durchgeführt werden, ist eine separate App die für jedes Betriebssystem entwickelt wird und auf den Geräten installiert werden muss. Bei „Self-Completion“ kann dies durchaus ein Hindernis sein, an dem die Teilnahme an der Befragung scheitert. Im App-Umfeld können die Sensoren der Geräte allerdings voll eingesetzt werden. Interviews können hierbei mit medialer Unterstützung abwechslungsreich gestaltet oder die gesammelten Daten um qualitativ hochwertige Aspekte wie Fotos angereichert werden.
In einigen Situationen sind Offline Befragungen sogar dringend anzuraten. Insbesondere bei Event- und Messebefragungen müssen keine überlasteten Handynetze oder überlagernde WLANs berücksichtigt werden. Bei sicherheitstechnisch hochsensiblen Studien wie zum Beispiel „Car Clinics“ kann durch eine offline Lösung ein Sicherheitsrisiko ausgeschlossen werden. Die Daten werden auf den Geräten gesam melt und später per USB Kabel synchronisiert.
Entwickler setzen auf HTML5
Entwickler von nativen mobilen (Marktforschungs-)Apps sind mit einer Vielzahl an Betriebssystemen (Apples iOS, Googles Android, Microsofts Phone 7, RIMs Blackberry, Nokias Symbian etc.) konfrontiert. Da diese Plattformen sich bzgl. der Programmierung (z.B. Programmiersprache) teilweise fundamental unterscheiden, ist es notwendig, für jede Zielplattform eine dedizierte App zu programmieren. Das vervielfacht den Aufwand der Erstellung und der anschließenden Wartung sowie der damit verbundenen Kosten und führt meist dazu, dass nur einige Betriebssysteme bedient werden können.
Eine viel diskutierte Lösung für das Multiplattformproblem und der Hoffnungsträger ist HTML5 als Nachfolger von HTML4, dem derzeit gängigen Standard für Websites. HTML5 soll vielfältige neue Funktionalitäten in verbesserter Darstellungsmöglichkeit bieten, wie unter anderem die Wiedergabe und Aufnahme von Video und Audio, den lokalen Speicher oder auch für die Geolokation. Vieles davon wird bisher durch HTML4 nicht direkt unterstützt, so dass bislang zusätzliche Plugins, wie zum Beispiel Adobe Flash, eingesetzt werden müssen. HTML5 befindet sich derzeit in der Entwicklung, die Spezifikation ist bislang nicht finalisiert. Doch schon jetzt unterstützen aktuelle Browser einige Funktionen aus dem kommenden Standard. Mit HTML5 soll die Möglichkeit geschaffen werden, eine Anwendung ohne großen Aufwand für mehrere Plattformen bereitzustellen und damit Entwicklungs- und Wartungskosten zu reduzieren.
Abwarten oder einsteigen?
Mobile Research ist ein derzeit stark wachsendes, vom Umsatz her betrachtet, jedoch ein noch sehr kleines Segment. Die Mehrheit der Branche pflegt eine abwartende Haltung gegenüber Mobile Research und geht das Thema nicht konsequent strategisch an. Viele betriebliche Marktforscher treiben die Diskussion allerdings aktiv vorantreiben, denn vor allem für die Industrie- und Handelsunternehmen mit starken Marken ist es der nächste logische Schritt, Studien mit mobilen Geräten aufzusetzen. Sie seien meist schon heute im mobilen Bereich durch ihre Social-Media-Aktivitäten oder auch durch Apps für Onlinebestellungen und die Abwicklung von Verbraucheranfragen stark präsent, so Tim Macer.
Diese großen Unternehmen besitzen die entsprechenden Ressourcen, um mehrere Methoden zu unterstützen und neue Ideen zu testen. Darüber hinaus greifen die Institute für Mobile Research Projekte auf spezialisierte Anbieter zurück. Es gibt heutzutage viele Spezialisten auf dem Gebiet der mobilen Marktforschung. Sie bedienen sich verschiedenster Methoden, um Feedback zu erlangen – von Befragungs-Apps bis hin zu In-App Feedback-Kanälen und On-Device Monitoring. Dies empfiehlt auch Winfried Hagenhoff, Geschäftsführer bei TNS Infratest, da das Segment Mobile Research sehr schnell wachse und die Anzahl der Lösungen auf dem Markt rasch unübersichtlich werden könne. Die richtige anforderungsbezogene Auswahl brauche mindestens solange Expertise, bis einzelne Lösungen besonders hohe Reifegrade erreicht haben. Um diesen zu erlangen brauche der Markt allerdings noch Zeit, um mit den dann großen Umsatzvolumen akzeptierte Standards zu entwickeln.
Fazit
Mobile Marktforschung ist kein einspuriger Weg, es ist ein vielseitiger Kanal mit einer ganz eigenen Berechtigung. Diese Methode unterstützt „self-completion“, interviewgestützte, quantitative und qualitative, visuelle, textliche, sprachliche, bildliche, passive oder beobachtende Erhebungen. Gleichzeitig erweitert Mobile Marktforschung die Dimension um örtliche und zeitliche Daten. Das Spektrum und die Möglichkeiten mobiler Marktforschung verändern sich rasant und werden ständig weiter entwickelt. Die Zukunft wird zeigen, dass an Mobile Research kein Weg vorbei führt.