print logo

Kundenmacht, Facebook und das Fasse-Dich-kurz-Syndrom

Warum Monopole dem Internet schaden und eine Verstaatlichung zu kurz greift.
Gunnar Sohn | 30.09.2011
Über soziale Netzwerke sei die Macht der Kunden gestärkt worden, so der Tenor des Frankfurter Fachkongresses Contact Center Trends. Die werbliche Botschaft, dass der Kunde König sei, werde durch die Möglichkeiten der Selbstorganisation in sozialen Netzwerken Realität. Unternehmen und Kunden begegnen sich auf Augenhöhe. Das liege auch an der Unberechenbarkeit des Netzes: „Was im Internet abläuft, ist spontan und kann von Unternehmen nicht beherrscht werden. Da stehen die Mitarbeiter im Kundenservice vor ganz anderen Herausforderungen. Ein Skript zur Beantwortung von Anfragen reicht nicht mehr aus. Man muss sehr viel selbständiger agieren“, sagt authensis-Vorstand Klaus-J. Zschaage von der Brancheninitiative Contact Center Network. Social Media sei kein Kanal, wie man ihn aus der klassischen Kundenkommunikation via E-Mail, Telefon oder Brief kenne. „Die Rolle der sozialen Netzwerke im Service-Management muss erst noch gefunden werden. Es geht mehr um Beobachtung als um direkte Kommunikation. Es hat keinen Zweck, im Social Web einen Kanal aufzumachen, den ich systematisch bearbeite. Dazu braucht man Kontrolle, die ist im Netz aber nicht vorhanden“, erläutert Zschaage. Wer in Web 2.0-Fachdiskussionen von Kanal spreche, wecke die Illusion eines beherrschbaren Sender-Empfänger-Modells.

Social Media-Plattformen sind keine steuerbaren Kanäle

„Das ist irreführend. Kanal hat etwas mit kanalisieren zu tun. Social Media-Plattformen sind etwas völlig anderes. Bei einem Kanal kann ich die Schleuse auf oder zu machen. In sozialen Netzwerken ist das nicht möglich“, meint der Call Center-Experte Zschaage. So sehr die Macht des Kunden im Netz wächst, so problematisch ist das Verhältnis der Social Web-Anbieter im Umgang mit seinen Nutzern. Wir seien eben nicht die Kunden von Google, Facebook und Co., moniert der Datenschutz-Experte Jon Callas in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“. Wir würden nicht für ihre Dienste bezahlen. Die Kunden seien Unternehmen, die Anzeigen in ihren Diensten schalten.

„Diese Unternehmen kaufen: uns – unser Hinschauen, unsere Aufmerksamkeit. Wir sind das Produkt“, so Callas. Als Nutzer werde man bei Laune gehalten, sodass wir bisweilen dem Glauben anheimfallen, wir seien tatsächlich Kunden. „Wer allerdings mit der Löschung seiner virtuellen Existenz bedroht wird, dem Zwang zur Verwendung seines wirklichen Namens unterliegt oder genau wissen möchte, was mit den eigenen Daten geschieht, bekommt sehr schnell mit, dass die Internet-Giganten uns nicht als Kunden betrachten“, so die Erfahrung des Netzwerkspezialisten Bernd Stahl von Nash Technologies.

Werbefinanzierung oder personalisierte Services seien nichts Teuflisches. „Problematisch ist das vom Spiegel-Redakteur Christian Stöcker skizzierte Szenario. Von der kalifornischen Idee der elektronischen Agora und der Befreiung von staatlichen Hierarchien und privaten Monopolen verabschieden wir uns gerade“, kritisiert Stahl. Dabei hatte 1994 Keven Kelly in seinem Buch „Out of Control" postuliert, dass wir eine Ära der dezentralen Organisationen erleben werden. Auch der Futurologe Toffler irrte. Im Cyberspace werde ein Markt nach dem anderen von einem natürlichen Monopol in einen verwandelt, in dem Wettbewerb die Regel ist. „Das Internet hat bis jetzt aber nur einen dominanten Einzelhändler: Amazon. Einen dominanten Markt für Musik und Filme: iTunes. Ein dominantes Auktionshaus: Ebay. Ein dominantes Social Network: Facebook. Und eine dominante Suchmaschine: Google. Und nicht zu vergessen die Tochter Youtube als dominante Plattform für Videos. Ein freies und offenes Netz sieht anders aus“, schreibt Stöcker in seinem Buch „Nerd Attack“.

Internetnutzer sind kein manipulierbares Vieh

Und was passiert, wenn diese Monopolisten zu Erfüllungsgehilfen von staatlichen Überwachungs- und Kontrollwünschen werden. Wie könnte man also ein dezentrales, offenes und sicheres Internet schaffen unter Bewahrung der Netzneutralität? „Genau mit diesen Fragen muss man sich jetzt beschäftigen und nicht mit unsinnigen Exkursen über die vermeintlichen Stasi-Methoden von Web-Dienstleistern wie Facebook oder Google. „Im Netz herrscht, ob wir wollen oder nicht, die totale Transparenz. Die Handlungsempfehlung ist fast so alt wie das Internet. Schreibe nichts in eine Mail, was Du nicht auch auf eine Postkarte schreiben würdest. Das haben wir schon in den 90er Jahren gesagt, als das Internet aus der Kindergrippe kam. Der Satz war vielleicht nicht radikal genug formuliert. Heute müsste man es anders sagen. Gehe davon aus, dass alles, was Du sagst, schreibst oder sogar denkst, im Internet auftauchen wird“, mahnte der Publizist Tim Cole in seiner Contact Center Trends-Rede in der Frankfurter Commerzbank-Arena.Netzpolitik/Wirtschaft/Gesellschaft/Internet/Datenschutz/Facebook



Siehe auch:

Interview mit dem Netzwerkspezialisten Bernd Stahl von Nash Technologies über die Notwendigkeit dezentraler Netze