Deutsche Unternehmen schalten in den Krisenmodus um
Während die Pandemie und die weltweiten Lieferkettenunterbrechungen für deutsche Unternehmenslenker an Schrecken verlieren, entwickeln sich nun die hohe Inflation und die Konjunkturschwäche zu den Hauptsorgen der Manager.
Und die Reaktion darauf besteht in deutschen wie in ausländischen Firmen zunehmend aus Kostensenkungsmaßnahmen – die auch beim Personal nicht Halt machen: Sowohl weltweit als auch in Deutschland planen 36 Prozent der Großunternehmen Umstrukturierungen bzw. Einschnitte bei der Beschäftigung. Jedes vierte deutsche Unternehmen (weltweit: 28 Prozent) hat vor, Lohnerhöhungen auszusetzen – trotz Rekord-Inflation. Und 27 Prozent der Unternehmen in Deutschland und 25 Prozent der Unternehmen weltweit planen einen Einstellungsstopp.
Das sind Ergebnisse des aktuellen „CEO Survey“ von EY. Basis der Studie ist eine Umfrage unter 1.200 Vorstandsvorsitzenden in Großunternehmen weltweit, davon 100 in Deutschland.
Constantin M. Gall, Partner und Leiter des Bereichs Strategy and Transactions bei EY in der Region Westeuropa: „Die konjunkturelle Situation ist schwierig, die Hoffnung auf eine baldige Besserung der Lage schwindet. Da richten sich die Unternehmen auf härtere Zeiten ein und schnallen den Gürtel enger.“
Weltweit geht jedes zweite Unternehmen von einem starken Abschwung im Jahr 2023 aus, in Deutschland liegt der Anteil sogar bei 57 Prozent. Gleichzeitig gehen in Deutschland gerade einmal 14 Prozent der Befragten davon aus, dass sich die konjunkturelle Lage schon kurzfristig – also etwa zur Jahresmitte – wieder verbessert. Weltweit liegt der Anteil mit 12 Prozent sogar noch etwas niedriger. Zwar rechneten die Top-Manager mit einer schwachen Konjunkturentwicklung, so Gall. Aber: „Es wird wohl zu einem Soft Landing, also nicht zu einem abrupten Einbruch der Wirtschaft kommen.“
Die größten Sorgen bereiten den CEOs von deutschen Großunternehmen aktuell die hohe Inflation und die stark gestiegenen Einkaufspreise – 40 Prozent bezeichnen diesen Faktor als großes Risiko für die Entwicklung des eigenen Unternehmens. Die hohen Zinsen und entsprechend steigende Kapitalkosten belegen mit 39 Prozent im Sorgenranking deutscher Top-Manager den zweiten Platz.
An Bedeutung verloren hat hingegen aus Sicht der Unternehmenslenker die Corona-Krise: Der Anteil der deutschen CEOs, die die Pandemie und daraus resultierende Lieferkettenunterbrechungen als großes Risiko für das eigene Unternehmen bezeichnen, sinkt gegenüber August deutlich von 52 auf 31 Prozent. „Bei den Lieferketten liegt das Schlimmste hinter uns“, sagt Gall. „Viele Unternehmen haben sich an dieser Stelle neu sortiert und sind heute deutlich weniger anfällig. Zudem kommt es pandemiebedingt nur noch zu einzelnen Ausfällen. Zumindest beim Lieferkettenthema dürfte sich die Entspannung daher im Jahr 2023 fortsetzen.“
Gleichzeitig drohen neue Probleme aufgrund der von vielen befürchteten weltweiten Rezession, sagt Gall: „Im vergangenen Jahr lief es für viele Unternehmen erstaunlich gut. Sie konnten die hohen Einkaufspreise an die Kunden weitergeben und profitierten in vielen Bereichen davon, dass die Nachfrage stärker war als das Angebot. Offenbar befürchten viele CEOs, dass sich das Blatt im kommenden Jahr wendet. Wenn Kaufkraftverluste und Zukunftssorgen bei den Verbrauchern zu Kaufzurückhaltung führen, drohen Überkapazitäten und Preisschlachten. Dann sind die derzeit noch hohen Margen schnell Makulatur. Darauf richten sich viele Unternehmen jetzt ein.“
Sechs von zehn deutschen Konzernen planen Kostensenkungen
So haben Kostensenkungen bei 61 Prozent der deutschen Unternehmen im kommenden Halbjahr hohe Priorität – weltweit liegt der Anteil mit 54 Prozent niedriger. Das bedeutet offenbar auch, dass es Einschnitte bei der Beschäftigung geben kann: Sowohl in Deutschland als auch weltweit planen 36 Prozent der Unternehmen eine Umstrukturierung oder Reduzierung des Personalbestands. Gall rechnet dennoch nicht mit Entlassungswellen: „Es muss gespart werden – aber intelligent. Die Erfahrung zeigt, dass im nächsten Aufschwung wieder Fachkräfte händeringend gesucht werden, daher werden die Konzerne alles tun, um ihre Belegschaft möglichst stabil zu halten.“
Im Fokus der aktuellen Anstrengungen sollten Maßnahmen stehen, die die Marge positiv beeinflussen, sagt Gall: „Im vergangenen Jahr hat sich die Preisdurchsetzung in vielen Branchen deutlich verbessert, die Margen haben sich teils sehr erfreulich entwickelt. Die Unternehmen werden versuchen, im neuen Jahr daran anzuknüpfen und die Preise hochzuhalten.“
Deutsche Konzerne werden nach Galls Einschätzung besonders stark auf die Kostenbremse drücken, da sich hierzulande die Kostensituation besonders stark verschlechtert habe: „Der massive Anstieg der Energiepreise ist ein erheblicher Nachteil für den Produktionsstandort Deutschland – gerade im Vergleich zu Asien und den USA. Damit müssen sich alle Unternehmen beschäftigen und nach Auswegen suchen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Positiv bewertet Gall, dass trotz neuer Sparanstrengungen Zukunftsinvestitionen weiterhin weit oben auf der Agenda deutscher CEOs stehen: So sagt jeder zweite befragte deutsche CEO (49 Prozent, weltweit 54 Prozent), dass die Fortsetzung der digitalen und technologischen Transformation hohe Priorität habe. „Mittelfristig führt kein Weg an einer entschiedenen Transformationsstrategie vorbei – mit den zwei Schwerpunkten ESG und Digitalisierung. Beide Trends haben einen so umfassenden Impact auf die gesamte Wertschöpfung und das wirtschaftliche Umfeld, dass kein Unternehmen hier an der Seitenlinie stehen kann – Konjunkturflaute hin oder her.“
M&A-Appetit nimmt ab
Die Bereitschaft von Konzernen weltweit und in Deutschland, Übernahmen zu tätigen, nimmt weiter ab: Derzeit planen nur noch 39 Prozent der befragten Unternehmen, in den nächsten 12 Monaten einen Zukauf zu tätigen – vor einem Jahr lag der Anteil noch bei 54 Prozent, vor zwei Jahren sogar bei 64 Prozent. Damit liegt der M&A-Appetit deutscher Unternehmen auf dem niedrigsten Stand seit dem Jahr 2014. Auch weltweit ist ein Rückgang der M&A-Aktivitäten zu erwarten, wenngleich weniger stark als in Deutschland: Der Anteil der Unternehmen, die Zukäufe vorhaben, schrumpft von 52 auf 46 Prozent.
„Die steigenden Zinsen und eingetrübte Konjunkturaussichten haben zu mehr Zurückhaltung aufseiten der Unternehmen bei geplanten Übernahmen geführt“, beobachtet Gall. „Auch in diesem Bereich sehen wir mehr Vorsicht – ganz große Transaktionen werden vorerst zurückgestellt.“ Steigende Zinsen erhöhten die Kreditkosten und erschwerten somit die Finanzierung, sagt Gall. Während Zukäufe eher an Bedeutung verlieren, stehen neuerdings Verlagerungen bei vielen Unternehmen in Deutschland wieder auf der Agenda, beobachtet Gall: „In einigen Branchen wird es in Deutschland zu Werksschließungen und Verlagerungen ins Ausland kommen, sollten die Energiepreise hierzulande nicht dauerhaft deutlich fallen. Die Sorgen über eine Abwanderungswelle und sogar eine Deindustrialisierung sind nicht aus der Luft gegriffen.“ Letztlich gehe es darum, ob das Geschäftsmodell des Standorts Deutschland auch zukünftig noch funktioniere, so Gall: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen.“