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Produktpiraterie ist eine Gefahr für die deutsche Industrie

Ernst & Young stellt Studie zur weltweiten Produktpiraterie vor. Globale Produktionsketten und das Internet machen es den Fälschern leicht.
Ernst & Young GmbH | 17.12.2012
Der Kampf gegen die Produktpiraterie gehört für viele deutsche Unternehmen längst zum Alltag: 79 Prozent der Unternehmen werden mehrmals im Jahr Opfer von Produktfälschungen. Dabei stehen hinter der zunehmend professionell agierenden Fälscherindustrie oftmals kriminelle Strukturen. Kaum ein Produkt ist noch vor Fälschung sicher – insgesamt dürfte sich der Schaden für die deutsche Industrie jährlich auf rund 50 Milliarden Euro belaufen.

Das Bedrohungspotenzial für die Unternehmen ist hoch: 42 Prozent der Unternehmen rechnen mit einer wachsenden Bedrohung, weitere 46 Prozent erwarten, dass das Risiko von Produktfälschungen in den kommenden drei Jahren auf konstant hohem Niveau bleibt. Die Produktpiraten haben sich den Bedingungen der Globalisierung angepasst und agieren als erfolgreiche Schattenwirtschaft. Die Mehrzahl der Unternehmen versucht vorrangig, mit rechtlichen Mitteln gegen Fälscher vorzugehen.

Gleichzeitig sind Produktfälschungen für Verbraucher leicht zugänglich: 65 Prozent der befragten Verbraucher haben bereits Plagiate gekauft – 30 Prozent sogar wissentlich. Beim schnellen, günstigen und anonymen Kauf hilft immer öfter das Internet. 63 Prozent der Unternehmen geben an, dass Fälschungen ihrer Produkte auf
diesem Weg vertrieben werden.
Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young und des Aktionskreises gegen Produkt- und Markenpiraterie (APM), für die 3.100 Verbraucher in Deutschland sowie 24 ausgewählte Unternehmen befragt wurden.

Nur wenige Produktfälschungen werden entdeckt

Die Unternehmen sehen sich mit einer gigantischen Schattenwirtschaft konfrontiert: 79 Prozent der befragten Manager geben an, mehrfach pro Jahr oder sogar ständig Opfer von Fälschungen zu werden – und nur der kleinste Teil der Plagiate wird entdeckt: „Die schiere Masse der gefälschten Waren erlaubt den Zollbehörden im Normalfall nur Stichproben. In vielen Ländern kommt bei Behörden und Mitarbeitern auch noch die Korruption hinzu, die eine effektive und unabhängige staatliche Kontrolle verhindert“, erläutert Stefan Heißner, Leiter der Abteilung Fraud Investigation & Dispute Services bei Ernst & Young. „Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass die allermeisten Fälschungen ihren Zielmarkt erreichen.“

Und die Fälscher werden immer schneller: 64 Prozent der Unternehmen geben an, dass Fälschungen ihrer Produkte höchstens ein Jahr benötigen, bis sie auf den Markt kommen. Laut den befragten Unternehmen stammen die Fälschungen vorwiegend aus China (83 Prozent). Stark vertreten sind aber auch die Südostasien und die Türkei (jeweils 33 Prozent) sowie Osteuropa (25 Prozent).

Alles wird gefälscht – bis hin zu Industrieanlagen

Handtaschen und Uhren von fliegenden Händlern sind ein Klassiker der Fälscherindustrie. „Die Fälschungsquote von Verbrauchsgütern wie Körperpflegeprodukte oder Kinderspielzeug war schon immer sehr hoch“, sagt Heißner. Das Spektrum der Plagiate hat sich aber deutlich erweitert: „Es gibt kaum noch ein Produkt, das vor Fälschungen sicher ist.“ Längst werden auch Elektroartikel oder Medikamente gefälscht. „Der Verbraucher ist hier besonders gefährdet“, ergänzt Rüdiger Stihl, Vorstandsvorsitzender des APM. „Gefälschte Elektrogeräte genügen nicht den Sicherheitsstandards und Medikamente mit fehlenden oder gar giftigen Wirkstoffen sind eine ernsthafte Gefahr für Leib und Leben.“ Auch Maschinen und sogar ganze Industrieanlagen werden nachgebaut.

Zukünftig dürften die Unternehmen immer häufiger mit Fälschungen ihrer Produkte konfrontiert werden: 42 Prozent der befragten Manager rechnen mit einer Zunahme der Fälschungen innerhalb der nächsten drei Jahre, nur 4 Prozent mit einem Rückgang. Für die Unternehmen besonders heikel: Die Fälschungen betreffen auch Einzelteile, die über Zulieferer in die Fertigung eingeschleust werden. Diese werden noch seltener entdeckt als komplette Produktplagiate. „Produktfälschungen untergraben das Fundament unserer Wirtschaft“, befürchtet Stihl. „Innovationen machen Deutschland gegenüber den Billiglohnländern konkurrenzfähig. Die Fälschungen gefährden diesen Know-how-Vorsprung und damit Tausende Arbeitsplätze in Deutschland.“

Produktfälschung gilt weithin als Kavaliersdelikt

Zumindest bei gefälschten Konsumgütern fehlt aber in der breiten Öffentlichkeit noch das notwendige Problembewusstsein: Viele Verbraucher sehen im Kauf gefälschter Produkte ein Kavaliersdelikt. 65 Prozent der befragten Verbraucher haben bereits Fälschungen gekauft. Jeder Dritte (30 Prozent) hat sogar bewusst zum Plagiat gegriffen. „Insbesondere bei jüngeren Befragten fehlt das Unrechtsbewusstsein. Die Toleranz gegenüber Fälschungen dürfte also eher noch steigen, wenn nicht massiv gegengesteuert wird“, sagt Stihl. 43 Prozent der Befragten im Alter zwischen 18 und 25 Jahren haben bereits bewusst Fälschungen gekauft, bei den über 65-Jährigen sind es lediglich 20 Prozent. Beliebt sind vor allem Kleidung, Handtaschen, DVDs und günstige Arzneimittel aus dem Internet.

„Viele Verbraucher halten Fälschungen für harmlos und freuen sich über das vermeintliche Schnäppchen“, so Stihl. „Dabei vergessen sie sowohl Menschenrechtsverletzungen – die Fälscher setzen zum Beispiel häufig auf Kinderarbeit – als auch ihre eigene Gesundheit und Sicherheit.“ Dabei haben immerhin 37 Prozent der Verbraucher, die bereits Fälschungen gekauft haben, schon einmal von Plagiaten Nachteile erlitten.

Aufklärungskampagnen sind ein effektives Mittel, um die Nachfrage nach gefälschten Produkten effektiv zu senken. Unmittelbar nach Besuch einer Informationsausstellung des APM wollen 78 Prozent der befragten Verbraucher künftig vom Kauf einer Fälschung absehen, weitere 11 Prozent wollen ihre Kaufentscheidung noch einmal überdenken. Rund 67 Prozent der Ausstellungsbesucher geben an, etwas Neues über Produkt- und Markenpiraterie erfahren zu haben. Besonders abschreckend bewerten sie Faktoren, die direkte Auswirkung auf die eigene Gesundheit haben können. Aber auch Informationen über die Hintergründe der Fälscherindustrie wie Produktion durch Kinderarbeit oder die Beteiligung krimineller Netzwerke halten vom Kauf ab.

Insbesondere bei Konsumgütern hilft das Internet immer öfter bei der Verbreitung von Plagiaten: „Der Vertrieb läuft weitgehend anonym und direkt aus Drittländern, die Umschlaggeschwindigkeit ist hoch, und Bestellungen in kleinen Mengen lassen sich gut vertuschen. Das spielt den Piraten natürlich in die Hände“, sagt Heißner. Schon heute geben 63 Prozent der Unternehmen an, dass Fälschungen ihrer Produkte über das Internet vertrieben werden.

Lukratives Geschäft für die organisierte Kriminalität

Hinter der Fälschungsindustrie stehen keine Einzelkämpfer, sondern allzu oft kriminelle Netzwerke: „Billige Ausgangsmaterialien, miserable Arbeitsbedingungen, fehlende Qualitätsstandards und ein gegen null gehendes unternehmerisches Risiko bringen mafiösen Organisationen ein lukratives Geschäft“, erklärt Stihl. „Und die Entdeckungsgefahr ist gering – ebenso wie die Strafen, wenn es doch mal zu einer Festnahme kommen sollte.“

Kriminelle Netzwerke bringen die Plagiate auf verschlungenen Wegen nach Deutschland, die kaum aufgedeckt werden können. „Der internationale Warenverkehr mit seinen zahlreichen Beteiligten und Stationen erleichtert den Piraten ihr Handwerk“, erläutert Heißner. Bei Logistikunternehmen vor Ort würden gefälschte Waren neu verpackt, ihre Herkunft unkenntlich gemacht oder mit Originalprodukten vermischt – eine lückenlose Aufdeckung der Transportwege ist auf diese Weise kaum mehr möglich.

Imageschaden für Unternehmen besonders gefährlich

Produktfälschungen führen bei den Originalherstellern nicht nur zu Umsatzausfällen. Noch gefährlicher ist der drohende Imageschaden. „Eine etablierte Marke garantiert dem Käufer gewisse Qualitätsstandards“, so Heißner. „Wenn ein gefälschtes Produkt diese Erwartungen nicht erfüllt, schwächt es das Image der Marke und damit das Unternehmen.“ Gravierende Auswirkungen hat ein solcher Imageschaden zum Beispiel im Maschinen- und Anlagenbau: „Hier hebt sich die deutsche Industrie über feine Qualitätsunterschiede im Hightech-Bereich von der Konkurrenz ab.“

Wie sich Unternehmen schützen können


Um sich gegen Massenfälschungen zu schützen, setzen die Unternehmen auf unterschiedliche Maßnahmen. 92 Prozent lassen sich Schutzrechte eintragen, ebenso viele suchen bei Verstößen den rechtlichen Weg. Drei Viertel der Befragten setzen auf die Information ihrer Mitarbeiter. Eine große Rolle spielt außerdem die Marktbeobachtung (83 Prozent), nicht zuletzt via Internet: „Es sind sogar schon ganze Unternehmensseiten täuschend echt gefälscht worden“, bemerkt Heißner. Zu selten zum Einsatz kommt allerdings oft noch ein aufmerksames Beschwerdemanagement, das bislang lediglich 33 Prozent der Unternehmen anwenden. Auf eine gezielte öffentliche Gegenkampagne im Fälschungsfall setzt ebenfalls lediglich jeder dritte Befragte: „Viele Unternehmen empfinden es als Bedrohung, wenn Fälschungen öffentlich bekannt werden.“

Da Produktpiraten die Herkunft ihrer Fälschungen über komplizierte Verkehrswege verschleiern und auf diese Weise leicht Imitate in die Originalproduktion einschleusen können, sollten Unternehmen zusätzlich verstärkt auf ihre Lieferketten achten, rät Heißner: 58 Prozent der Unternehmen führen Eingangskontrollen durch, 50 Prozent machen sich sogar vor Ort bei den Zulieferern ein Bild der Lage. 54 Prozent versuchen, Gefahren über die Vertragsgestaltung mit Zulieferern einzudämmen. „Trotz dieser vorbeugenden Maßnahmen unterschätzen viele Unternehmen noch die Gefahr, dass Fälschungen in ihre Produktionskette gelangen können.“ Bislang halten 84 Prozent der befragten Unternehmen dieses Risiko für gering.

Zur Bekämpfung der Fälschungsindustrie sehen die befragten Unternehmen nicht zuletzt die Politik in der Pflicht. 86 Prozent sehen hier Handlungsbedarf. „Nicht nur die Verbraucher, sondern auch Politik und Justiz haben das Gefahrenpotenzial der Produktpiraterie für die deutsche Wirtschaft noch nicht voll erkannt. Dabei besteht dringender Handlungsbedarf“, sagt Stihl. „Ein erster Schritt wären verbesserte EU-weite gesetzliche Schutzbestimmungen und eine gezielte Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit.“