"Die Arbeit ist kein Frosch, sie hüpft nicht weg"
Burn-out gehört zu den medizinischen Topthemen in den Medien. Schließlich empfinden viele Menschen so: ausgebrannt, erschöpft, am Ende. Laut "Fehlzeiten-Report 2011" der AOK sind Burn-out-Symptome inzwischen für fast zehn Prozent der Krankschreibungen in Deutschland verantwortlich. Ist Burn-out also doch mehr als ein Modewort und Medienthema? Und wie kann man einen Burn-out vermeiden oder sich aus der Überlastungsspirale retten? Antworten dazu gibt Dr. Jörg Peter Schröder.
Herr Dr. Schröder, vom Burn-out scheinen mittlerweile viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufen betroffen zu sein. Ist aus einer Managerkrankheit eine Volksseuche geworden?
Jörg Peter Schröder: Erstens: Manager sind ohnehin nicht die primäre Gruppe. Und zweitens: Früher haben die Leute nicht so offen über diese Thematik gesprochen. Diese Offenheit ist aber nur die eine Seite. Was wir auch feststellen müssen, ist, dass die Komplexität und die Arbeitsverdichtung immer höher geworden sind. Früher haben wir einen Brief geschrieben, haben ihn frankiert und weggeschickt. Dann war er drei Tage unterwegs, anschließend gab es einen Eingangsstempel in der Firma, dann wurde der Brief gelesen, danach wurde die Antwort diktiert, die nach weiteren drei Tagen weggeschickt wurde. Heute bekommt man doch schon nach zwei Stunden einen Anruf: 'Warum hast du die E-Mail noch nicht beantwortet?' Wenn Menschen ein Blackberry oder ein iPhone - man könnte auch sagen eine elektronische Fußfessel - benutzen, dann haben sie das Gefühl, dass sie abends vor dem Insbettgehen um 22 Uhr noch E-Mails checken müssen. Vielleicht wäre es aber viel klüger, das Ding einfach abzuschalten. Denn die Arbeit ist kein Frosch, sie hüpft nicht weg und ist morgens immer noch da.
Menschen in sozialen Berufen sind gefährdet.
Wenn es nicht zwangsläufig die Manager sind, welche Gruppe ist denn besonders gefährdet?
Jörg Peter Schröder: Besonders betroffen sind Frauen, weil sie die Doppel- und Dreifachbelastung haben, als Mutter, Hausfrau und Karrierefrau. Gefährdet sind Personen, die die Messlatte der Ansprüche an sich selbst und an andere viel zu hoch legen. Die Menschen, die nicht nein sagen können und sich immer für andere aufopfern. Aber: Man kann lernen, nein zu sagen! Wenn ich das Gefühl habe, dass ich immer für andere da bin, dann bin ich zwar perfekt darin, mich selbst zu überspringen, aber ich bin nicht mehr für mich selbst da. Gerade Menschen, die in sozialen Berufen tätig sind - Krankenschwestern oder Lehrer -, sind extrem stark gefährdet.
Die sieben Phasen
Wie kann ich denn selbst feststellen, dass ich mich auf einen Burn-out zubewege?
Jörg Peter Schröder: Wir unterscheiden sieben Phasen. Die erste ist die vermehrte idealistische Begeisterung. Nehmen wir mal das Beispiel eines jungen Lehrers. Er ist fertig mit seinem Studium und geht an die Schule. Dann hat er diese Ambivalenz aus sehr starkem hyperaktiven Engagement und einer flammenden Begeisterung für sein Fach und muss feststellen, dass die Schule gar nicht so ist, wie er sich das vorgestellt hat. In der nächsten Phase, in der Distanz, setzt dann eine Ernüchterung oder sogar ein Widerwille ein, sodass seine ursprüngliche positive Einstellung gar nicht mehr zu erkennen ist. Danach beginnt er möglicherweise, zu emotionalisieren, und stellt dann in der nächsten Phase fest, dass seine Konzentration und seine Merkfähigkeit abnehmen. Und dann setzt vielleicht so etwas ein wie eine desinteressierte Gleichgültigkeit. Wenn dann noch körperliche Symptome dazu kommen, wie zum Beispiel Ohrgeräusche, Einschlaf- oder Durchschlaf-Störungen, Albträume, Schmerzen in den Muskeln, Übelkeit, Magen- und Darmprobleme, ist er schon in der sechsten Phase. Und die siebte Phase, die letzte, die ich mit 'Rien ne va plus' bezeichne, geht einher mit maximaler negativer Einstellung gegenüber dem eigenen Leben, mit schweren Depressionen, dem Gefühl von Sinnlosigkeit, von Hoffnungslosigkeit, Angst, vielleicht Verzweiflung und existenzieller Bedrohung. Dann geht es nicht mehr um Coaching, dann müssen die Leute in eine vollstationäre psychosomatische Behandlung.
Muss denn die von ihnen geschilderte Entwicklung zwangsläufig so vonstattengehen?
Jörg Peter Schröder: Nein. Es kann sein, dass ich aus der Phase drei oder vier wieder ganz normal herauskomme, indem ich meine Ressourcen wieder gut reaktiviere. Es kann aber auch ein ganz schnelles Rutschen in die Phase sechs oder sieben passieren.
Angenommen, ich merke als Lehrer, dass ein Kollege ausgebrannt und erschöpft wirkt. Was kann ich tun? Kann ich helfen?
Jörg Peter Schröder: Ja, wenn Sie sich nicht zum Psychologen aufschwingen und sagen 'Du hast einen Burn-out', sondern einfach Ihre persönliche Wahrnehmung in Sätze formulieren. 'Mir fällt auf, dass Du zunehmend gereizt bist', 'Ich habe den Eindruck, dass Du total übermüdet bist'. Dann sind Sie in einer Ich-Dimension und sagen nicht, 'Du bist aber aggressiv'.
Gern wird auch von wohlmeinenden Menschen der Begriff "Work-Life-Balance" eingesetzt. Steckt dahinter ein vielversprechendes Konzept?
Jörg Peter Schröder: Ich mag dieses Wort "Work-Life-Balance" überhaupt nicht, weil es eine Schere zwischen Work und Life aufbaut. Ich bin der Meinung, dass Arbeit integraler Bestandteil des eigenen Lebens ist. Deshalb spreche ich immer von "Work-Life-Integration", dass nämlich beide Phasen sinnvoll verzahnt werden müssen. Ich möchte mit dem Vorurteil aufräumen, dass wir uns nur während unserer Freizeit regenerieren und während der Arbeit nur Energie verschwenden. Viele Menschen ziehen auch unglaublich viel Energie aus der Arbeit. Das heißt auch, sich darüber Gedanken zu machen, welches sind die Punkte, die mir ganz konkret Energie abziehen und welches sind die Punkte, die mir sehr, sehr gute Energie geben? Das kann im Privaten sein, und das kann im Beruflichen sein. Es gibt viele Leute, die unheimlich hohe Stressoren auch innerhalb der familiären Dimension haben. Insofern gehen diese Leute vielleicht lieber arbeiten. Und andere haben ganz, ganz viel Spaß, wenn sie mit ihren Kindern und Partnern zusammen sind. Das heißt, jeder muss für sich seine ganz individuelle Inventur machen, was ihm Energie abzieht und was ihm sehr, sehr gute Energie gibt.
Und diese Inventur kann ich auch alleine vornehmen oder brauche ich professionelle Hilfe?
Jörg Peter Schröder: Nein, die kann zunächst jeder für sich vornehmen. Indem er für sich feststellt: Wie ist das eigentlich während des Tages? Wenn ich eine Energiewanne aufmale und mir vorstelle, ich gehe morgens zur Arbeit, denke ich dann am Ende des Tages, dass die Energiewanne gefüllter ist oder leerer? Und was sind die Punkte, die mir ganz konkret Energie abgezogen haben? Und was sind die Punkte, die mir richtig, richtig gut getan haben? Vielleicht mal ein Lob, eine Anerkennung, Wertschätzung und Respekt. Vielleicht auch ein Lächeln oder: Wie gehen andere mit mir um, wie gehe ich mit mir selbst um?
Zur Person
Dr. Jörg Peter Schröder ist Arzt, Führungs-Coach und Autor etlicher Fachpublikationen. Zuletzt erschienen: "Wege aus dem Burn-out", Mannheim. Auf der didacta 2012 in Hannover wird Dr. Schröder über den Umgang mit Burn-out Symptomen im Berufsschulalltag referieren.
Dazu auf der didacta 2012
14. Februar 2012
Burn on - Brennen, ohne auszubrennen. Umgang mit Burn-out Symptomen im Berufsschulalltag, Referent: Dr. Jörg-Peter Schröder, 11 bis 11.45 Uhr, Halle 16, Stand G 14, Marktplatz Beruf ist Zukunft
16. Februar 2012
Ausgebrannt oder verheizt? Burn-out als Gesellschaftskrankheit, 14.30 bis 15.30 Uhr, Halle 14, Stand G 58 Forum Wirtschaft und Weiterbildung
Burn-out - Strategien der Vorbeugung, Referentin: Heike Kunkel, 16 bis 16.30 Uhr, Halle 16, Stand G 14, Marktplatz Beruf ist Zukunft
17. Februar 2012
Leistungsfähigkeit (didacta Trainertag), Referent: Prof. Dr. Uwe Genz, 15.45 bis 16.30 Uhr, Convention Center (CC), Saal 11
Herr Dr. Schröder, vom Burn-out scheinen mittlerweile viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufen betroffen zu sein. Ist aus einer Managerkrankheit eine Volksseuche geworden?
Jörg Peter Schröder: Erstens: Manager sind ohnehin nicht die primäre Gruppe. Und zweitens: Früher haben die Leute nicht so offen über diese Thematik gesprochen. Diese Offenheit ist aber nur die eine Seite. Was wir auch feststellen müssen, ist, dass die Komplexität und die Arbeitsverdichtung immer höher geworden sind. Früher haben wir einen Brief geschrieben, haben ihn frankiert und weggeschickt. Dann war er drei Tage unterwegs, anschließend gab es einen Eingangsstempel in der Firma, dann wurde der Brief gelesen, danach wurde die Antwort diktiert, die nach weiteren drei Tagen weggeschickt wurde. Heute bekommt man doch schon nach zwei Stunden einen Anruf: 'Warum hast du die E-Mail noch nicht beantwortet?' Wenn Menschen ein Blackberry oder ein iPhone - man könnte auch sagen eine elektronische Fußfessel - benutzen, dann haben sie das Gefühl, dass sie abends vor dem Insbettgehen um 22 Uhr noch E-Mails checken müssen. Vielleicht wäre es aber viel klüger, das Ding einfach abzuschalten. Denn die Arbeit ist kein Frosch, sie hüpft nicht weg und ist morgens immer noch da.
Menschen in sozialen Berufen sind gefährdet.
Wenn es nicht zwangsläufig die Manager sind, welche Gruppe ist denn besonders gefährdet?
Jörg Peter Schröder: Besonders betroffen sind Frauen, weil sie die Doppel- und Dreifachbelastung haben, als Mutter, Hausfrau und Karrierefrau. Gefährdet sind Personen, die die Messlatte der Ansprüche an sich selbst und an andere viel zu hoch legen. Die Menschen, die nicht nein sagen können und sich immer für andere aufopfern. Aber: Man kann lernen, nein zu sagen! Wenn ich das Gefühl habe, dass ich immer für andere da bin, dann bin ich zwar perfekt darin, mich selbst zu überspringen, aber ich bin nicht mehr für mich selbst da. Gerade Menschen, die in sozialen Berufen tätig sind - Krankenschwestern oder Lehrer -, sind extrem stark gefährdet.
Die sieben Phasen
Wie kann ich denn selbst feststellen, dass ich mich auf einen Burn-out zubewege?
Jörg Peter Schröder: Wir unterscheiden sieben Phasen. Die erste ist die vermehrte idealistische Begeisterung. Nehmen wir mal das Beispiel eines jungen Lehrers. Er ist fertig mit seinem Studium und geht an die Schule. Dann hat er diese Ambivalenz aus sehr starkem hyperaktiven Engagement und einer flammenden Begeisterung für sein Fach und muss feststellen, dass die Schule gar nicht so ist, wie er sich das vorgestellt hat. In der nächsten Phase, in der Distanz, setzt dann eine Ernüchterung oder sogar ein Widerwille ein, sodass seine ursprüngliche positive Einstellung gar nicht mehr zu erkennen ist. Danach beginnt er möglicherweise, zu emotionalisieren, und stellt dann in der nächsten Phase fest, dass seine Konzentration und seine Merkfähigkeit abnehmen. Und dann setzt vielleicht so etwas ein wie eine desinteressierte Gleichgültigkeit. Wenn dann noch körperliche Symptome dazu kommen, wie zum Beispiel Ohrgeräusche, Einschlaf- oder Durchschlaf-Störungen, Albträume, Schmerzen in den Muskeln, Übelkeit, Magen- und Darmprobleme, ist er schon in der sechsten Phase. Und die siebte Phase, die letzte, die ich mit 'Rien ne va plus' bezeichne, geht einher mit maximaler negativer Einstellung gegenüber dem eigenen Leben, mit schweren Depressionen, dem Gefühl von Sinnlosigkeit, von Hoffnungslosigkeit, Angst, vielleicht Verzweiflung und existenzieller Bedrohung. Dann geht es nicht mehr um Coaching, dann müssen die Leute in eine vollstationäre psychosomatische Behandlung.
Muss denn die von ihnen geschilderte Entwicklung zwangsläufig so vonstattengehen?
Jörg Peter Schröder: Nein. Es kann sein, dass ich aus der Phase drei oder vier wieder ganz normal herauskomme, indem ich meine Ressourcen wieder gut reaktiviere. Es kann aber auch ein ganz schnelles Rutschen in die Phase sechs oder sieben passieren.
Angenommen, ich merke als Lehrer, dass ein Kollege ausgebrannt und erschöpft wirkt. Was kann ich tun? Kann ich helfen?
Jörg Peter Schröder: Ja, wenn Sie sich nicht zum Psychologen aufschwingen und sagen 'Du hast einen Burn-out', sondern einfach Ihre persönliche Wahrnehmung in Sätze formulieren. 'Mir fällt auf, dass Du zunehmend gereizt bist', 'Ich habe den Eindruck, dass Du total übermüdet bist'. Dann sind Sie in einer Ich-Dimension und sagen nicht, 'Du bist aber aggressiv'.
Gern wird auch von wohlmeinenden Menschen der Begriff "Work-Life-Balance" eingesetzt. Steckt dahinter ein vielversprechendes Konzept?
Jörg Peter Schröder: Ich mag dieses Wort "Work-Life-Balance" überhaupt nicht, weil es eine Schere zwischen Work und Life aufbaut. Ich bin der Meinung, dass Arbeit integraler Bestandteil des eigenen Lebens ist. Deshalb spreche ich immer von "Work-Life-Integration", dass nämlich beide Phasen sinnvoll verzahnt werden müssen. Ich möchte mit dem Vorurteil aufräumen, dass wir uns nur während unserer Freizeit regenerieren und während der Arbeit nur Energie verschwenden. Viele Menschen ziehen auch unglaublich viel Energie aus der Arbeit. Das heißt auch, sich darüber Gedanken zu machen, welches sind die Punkte, die mir ganz konkret Energie abziehen und welches sind die Punkte, die mir sehr, sehr gute Energie geben? Das kann im Privaten sein, und das kann im Beruflichen sein. Es gibt viele Leute, die unheimlich hohe Stressoren auch innerhalb der familiären Dimension haben. Insofern gehen diese Leute vielleicht lieber arbeiten. Und andere haben ganz, ganz viel Spaß, wenn sie mit ihren Kindern und Partnern zusammen sind. Das heißt, jeder muss für sich seine ganz individuelle Inventur machen, was ihm Energie abzieht und was ihm sehr, sehr gute Energie gibt.
Und diese Inventur kann ich auch alleine vornehmen oder brauche ich professionelle Hilfe?
Jörg Peter Schröder: Nein, die kann zunächst jeder für sich vornehmen. Indem er für sich feststellt: Wie ist das eigentlich während des Tages? Wenn ich eine Energiewanne aufmale und mir vorstelle, ich gehe morgens zur Arbeit, denke ich dann am Ende des Tages, dass die Energiewanne gefüllter ist oder leerer? Und was sind die Punkte, die mir ganz konkret Energie abgezogen haben? Und was sind die Punkte, die mir richtig, richtig gut getan haben? Vielleicht mal ein Lob, eine Anerkennung, Wertschätzung und Respekt. Vielleicht auch ein Lächeln oder: Wie gehen andere mit mir um, wie gehe ich mit mir selbst um?
Zur Person
Dr. Jörg Peter Schröder ist Arzt, Führungs-Coach und Autor etlicher Fachpublikationen. Zuletzt erschienen: "Wege aus dem Burn-out", Mannheim. Auf der didacta 2012 in Hannover wird Dr. Schröder über den Umgang mit Burn-out Symptomen im Berufsschulalltag referieren.
Dazu auf der didacta 2012
14. Februar 2012
Burn on - Brennen, ohne auszubrennen. Umgang mit Burn-out Symptomen im Berufsschulalltag, Referent: Dr. Jörg-Peter Schröder, 11 bis 11.45 Uhr, Halle 16, Stand G 14, Marktplatz Beruf ist Zukunft
16. Februar 2012
Ausgebrannt oder verheizt? Burn-out als Gesellschaftskrankheit, 14.30 bis 15.30 Uhr, Halle 14, Stand G 58 Forum Wirtschaft und Weiterbildung
Burn-out - Strategien der Vorbeugung, Referentin: Heike Kunkel, 16 bis 16.30 Uhr, Halle 16, Stand G 14, Marktplatz Beruf ist Zukunft
17. Februar 2012
Leistungsfähigkeit (didacta Trainertag), Referent: Prof. Dr. Uwe Genz, 15.45 bis 16.30 Uhr, Convention Center (CC), Saal 11