Über Kobolde in Gardinen und Lämmer, die schweigen
Trotz aller kulturellen Unterschiede auf dieser unserer Welt gibt es evolutionsbiologisch gewachsene Dispositionen zu global gleichartigem Erleben und Verhalten. C. G. Jung hat diese Dispositionen in esoterischer Manier als Archetypen bezeichnet, deren Gesamtheit das Kollektive Unbewusste – mundus archetypus – ausmacht. Prinzipiell nichts anderes als das zum ES* gehörende phylogenetische Gedächtnis, in dem archaische Potenziale schlummern, die jederzeit aus ihrem Dämmerschlaf erwachen und ins private und öffentliche Leben eingreifen können. Schön zu beobachten bei Sportveranstaltungen, wenn der ach so rationale homo modernicus urplötzlich, um nicht zu sagen: auf Anpfiff, in sein paläoanthropologisches Vorgängermodell mutiert und durch steinzeitliches Stammesverhalten und rhythmisch skandierte Beschwörungsformeln seinen Sport-Ikonen da unten auf dem Rasen rasereiartige Referenzen erweist.
Amerikanische Footballteams wissen schon, warum sie sich mit ES-infizierenden Namen wie New York Giants, Detroit Lions, Carolina Panthers und Chicago Bears schmücken.
Kleiner Ausflug in die Psychoanalyse
Der Begriff >ES< stammt aus der Psychoanalyse, die z. Z. – obwohl sie niemals mausetot war und vermutlich auch nie sein wird –, so etwas wie eine naturwissenschaftliche Renaissance erlebt. Zu verdanken hat sie‘s der modernen Hirnforschung, die mit sogenannten bildgebenden Verfahren (Computer-Tomografie, Kernspinresonanz-Tomografie, Positronen-Emissions-Tomografie) einen Echtzeit-Blick in unsere neuronale Schaltzentrale ermöglicht und dabei viele Erkenntnisse Sigmund Freuds bestätigt hat. Zum Beispiel:
•dass das bewusste ICH, der pseudo-rationale Steuermann, selten Herr im Hause ist, wenngleich er das gerne vorgibt.
•dass das Unbewusste (ES) maßgeblichen Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Handeln hat. Über 90 Prozent unserer Gedanken, Gefühle und Handlungen laufen unbewusst ab!
•dass Träume eine wichtige psycho-hygienische Funktion haben. Ohne die Hilfe des Unbewussten und ohne die >reinigende< Funktion unserer Träume wäre der Mensch gar nicht überlebensfähig.
•dass die frühkindlichen Lebensjahre entscheidenden Einfluss auf das kognitiv-affektive Erleben und Verhalten des Erwachsenen haben. In jedem von uns lebt das Kind, das wir einst waren.
Für den New Yorker Neurowissenschaftler und Medizin-Nobelpreisträger Eric Kandel und den deutschen Neurobiologen Gerhard Roth ist die Freud’sche Psychoanalyse als das schlüssigste Modell des menschlichen Geistes.
Abb.: Das psychoanalytische Persönlichkeitsmodell
Mir ist, als wohnten ach! vier Seelen in meiner Brust
ES ist die Sphäre des Unbewussten, der archaischen Verhaltens-Erbschaft unseres Stammhirns, der Leidenschaften und Lebenstriebe, aber auch der aggressiven und destruktiven Impulse, die wir normalerweise hinter Schloss und Riegel zu halten, zu verdrängen und zu unterdrücken versuchen.
ICH ist der pseudo-rationale Steuermann, der uns tagein tagaus durch die Welt dirigiert, stets abwägend zwischen inneren Notwendigkeiten und externen Möglichkeiten.
ÜBER-ICH ist das Gewissen, der innere Richter und Zuchtmeister, der über die Zulässigkeit von Gedanken, Aussagen, Handlungen, Erlebnissen bestimmt. Über-ICH traktiert uns bevorzugt mit Schuldgefühlen und Ähnlichem, wenn wir seine ethisch-moralischen Ansprüche nicht erfüllen.
ICH-IDEAL ist der Ästhetiker, der Narzisst, der Perfektionist in uns allen. In unserem ICH-IDEAL erleben wir allerlei Vollkommenheits- und Zukunftsvisionen, die unsere innigsten Wünsche (auch Produktwünsche) erfüllen.
Wer möchte, kann sich die vier interagierenden Systeme als leibhaftige Diskussionsrunde vorstellen, in der ein bodenständiger Manager (ICH), ein strenger Moralapostel (ÜBER-ICH/Gewissen), ein vollkommenheitsverliebter Narzisst (ICH-IDEAL) und ein hedonistischer Naturbursche (ES) mal mehr, mal weniger hitzig um die Führungsrolle ringen.
Zurück zu den Archetypen:
Konkrete archetypische Symbole – den assoziativen Rattenschwanz, der dranhängt, mag jeder selbst ermessen – sind neben Raub- und anderen Tieren, Götter und Göttinnen, Helden und Heldinnen, Riesen und Kobolde, Dämonen und Drachen, Engel und Elfen, Hexen und Heilige, Amazonen und Walküren, Zauberer und Zwerge.
Ein ganz besonderer, weil hochgradig ambivalenter Archetypus, ist die Schlange. Als sich selbst in den Schwanz beißende Uroboros steht sie für den ewigen Kreislauf von Leben und Tod. Als zweiköpfige Ometechtli symbolisiert sie in der aztekischen Mythologie einen allwissenden Gott jenseits von Zeit und Raum, der sowohl männlich wie weiblich oder keines von beidem und somit die perfekte Verkörperung der gegensätzlichen Kräfte Chaos und Ordnung, Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, Bewegung und Ruhe war. Darüber hinaus hat Schlange immer auch etwas Unberechenbar-gefährliches und zugleich Magisch-faszinierendes. Vom Bisexuellen ganz abgesehen.
Archetypen tummeln sich in Märchen, Sagen und Legenden, die die Alten den Jungen erzählen und diese, wenn sie älter sind, ... und die so zum Weltkulturerbe werden.
Archetypen aller Art geistern in zeitgemäßem Outfit auch durch die nationale und internationale Werbekommunikation. Wurde der Gardinen-Gilb nicht als böser Kobold dargestellt, der nur mit dato exorziert werden konnte? War Palmolive-Tilli nicht eine aktuelle Reinkarnation der guten alten Kräuterhexe, die den Menschen mit allerlei wohltuenden Tinkturen und Elixieren zu Leibe rückte? Sind Meister Proper und Weißer Riese nicht postmoderne Dschinns, die durch okkulte Zauberkräfte WC, Wäsche und Weib zum Strahlen bringen? Verkörpert die nackte Fa-Schönheit nicht die schaumgeborene Liebesgöttin Aphrodite? Ist Robert T-Online nicht der digitale Urenkel von Jung-Siegfried, dem blauäugig-blonden Helden aus der Nibelungensage?
Magie durchzieht unser Denken wie eine Droge die Venen, und weil das so ist, plotten erfolgshungrige Romanschriftsteller und Drehbuchautoren gerne mit archetypischen Wertungsdifferenzen wie schön/hässlich, männlich/weiblich, heroisch/ängstlich, mächtig/machtlos, stark/schwach, riesig/winzig, göttlich/teuflisch, adelig/bürgerlich, fremdartig/vertraut, gut/böse. Denken Sie an Sir Arthur Conan Doyle’s „Sherlock Holmes“ und seinen maliziösen Widersacher Prof. Moriaty, oder an Ian Flemming’s „007“, der stets mit hochintelligenten, aber psycho-pathologischen Persönlichkeiten zu kämpfen hat, die kraft exorbitanter Fähigkeiten und elephantösem Techno-Gedöns die ganze Welt bedrohen und am Ende des Films in einem bombastischen Showdown ihren angemessenen Abgang haben, oder an Robert Louis Stevenson’s Schauerroman „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“, in dem der Gut-Böse-Plot durch eine schizophrene Person dramatisiert wird. (ausführlich http://www.brainguide.de/psychopatho-logik-kybernetik-psychoanalyse-kunst-kreativitaet )
Während Jekyll den ethisch-moralisch vorbildlichen Kybernetes mimt, verkörpert Hyde das dämonische ES, das unheimliche Unbewusste, in dem bekanntlich allerlei absonderliche Elemente und finstere Gestalten ihr Unwesen treiben, die zwar hinter Schloss und Riegel gehalten und strengstens bewacht werden, zuweilen aber ausbrechen und die Führung übernehmen. Das passiert bei jedem von uns jede Nacht ohne irgendwelche Konsequenzen, im Traum nämlich, und mit oftmals gravierenden Folgen unter Alkoholeinfluss, wenn der kybernetische Steuermann nicht mehr steuern kann. Andererseits heißt es, der wahre Charakter eines Menschen zeige sich erst ab einem bestimmten Blut-Alkoholwert.
Lückenkonfiguriertes Bewusstsein
Unbewusste Elemente erklären eo ipso die vermeintlichen Diskontinuitäten und Sprünge in unserem bewussten Erleben. Wenn aktuelle Bewusstseinsinhalte in keinem ersichtlichen Zusammenhang stehen mit dem, was zuvor in uns vorging, liegt das daran, dass sie mit unbewussten Vorgängen und Fakten verknüpft sind. Unser Bewusstsein ist lückenkonfiguriert, auf außerhalb seiner selbst liegende Sinnzuführungen angewiesen, und diese Sinnzuführungen übernimmt das Unbewusste. Es ist Lückenfüller und untergründiger Sinnstifter des Bewusstseins.
Das Unbewusste (ES) ist auch Motor aller somatopsychischen Aktivitäten zu Beginn unseres Lebens. Zeitlich ist der Körper vor dem Geist – dem Bewusstsein – da. Begriffliches Identitäts-Bewusstsein entsteht erst um den 20. Lebensmonat.
Gegenwart der Vergangenheit
Ähnlich wie die biologische und die ontogenetische Evolution ist die psychische Entwicklung ein chronologischer Prozess der iterativen Schritte. Die Psychoanalyse spricht von Phasen. Die in der sogenannten oralen Phase (die ersten 12 Lebensmonate) gemachten Erlebnisse und Erfahrungen legen das Strukturfundament, auf dem sich die weiteren affektlogischen Entwicklungsprozesse aufspulen. Früheres prädisponiert Späteres, Erlebnisse prädisponieren Erlebnisse, Erfahrungen prädisponieren Erfahrungen. Netzwerk-Zirkularitäten.
Zeigen sie sich nicht erschreckend deutlich beim Kind im Manne, wenn er von temporären Revitalisierungen infantiler Affektlogik gebeutelt, sein Ödipusdrama von einst in einem aktuellen Beziehungskontext neu inszeniert? Oft mit der unbewussten Einverständniserklärung der weiblichen Seite.
Vergangene, längst ins Unbewusste abgewanderte Erlebnisse und Erfahrungen können via Strukturdeterminierung jederzeit aktualisieren. Hier-und-Heute und Dort-und-Damals sind durch affektlogische Sinnschleifen miteinander verbunden.
Noch einmal: Affektlogische Strukturdeterminierung bedeutet u. a., dass Kindheitserlebnisse auf eigensinnige Art und Weise das Verhalten des Erwachsenen prägen können.
Hollywood lässt grüßen
Bekannte Hollywoodfilme arbeiten nach diesem Muster und erklären das aktuelle Erleben und Verhalten ihrer Hauptdarstellerin bzw. ihres Hauptdarstellers aus einem frühkindlichen Gewalt- oder Verlusterlebnis. In Jonathan Demme’s „Das Schweigen der Lämmer“ zum Beispiel, ist es das Schlachten der Frühlingslämmer und ihr erbärmliches Schreien, das die spätere FBI-Agentin Clarice Starling (gespielt von Jodie Foster) als Zehnjährige miterleben musste. Sie verdrängt dieses schmerzhafte Erlebnis, es frisst sich tief in ihr Unterbewusstsein, macht sich heimlich, still und leise selbstständig, entfaltet ein impulsives Eigenleben rund ums Thema „Posttraumatische Restabilisierungs- und Selbstheilungs-Möglichkeiten“, die sich auf verschlungenen Wegen bei Kybernetes, dem Handlungsbevollmächtigten, Gehör zu verschaffen suchen. Auf das er sie in die Tat umsetzt. Leid und Hilflosigkeit im Dort-und-Damals sollen hier-und-heute durch aktives Handeln kompensiert werden.
Clarice Starling wird von der unbewussten Überzeugung getrieben, dass, wenn sie den häutenden Serienmörder „Buffalo Bill“ stellt und sein letztes Opfer rettet, die schreienden Lämmer in ihrem Kopf endlich schweigen. (siehe auch http://www.brainguide.de/film-analyse-a-la-kybernetischer-psychoanalyse )
Was will der Autor damit sagen:
Alle Menschen, auch Top-Manager, sind Imperfektionisten – im doppelten Sinne des Wortes. Sie denken, fühlen, entscheiden, kommunizieren und handeln unter dem unbewussten Einfluss von Kindheitserlebnissen und neuen alten Ängsten.
Vergangenheit der Gegenwart
In kybernetischen Systemen wie der Psyche löst ein bewusster/unbewusster Impuls oder ein bewusstes/unbewusstes Erlebnis nicht nur Anschluss-Sequenzen aus, sondern wird selbst wieder von diesen tangiert. Wirkungen beeinflussen ihre Ursachen. Deshalb beeinflusst nicht nur die Vergangenheit die Gegenwart, sondern ebenso die Gegenwart die Vergangenheit. Persönliche Vergangenheit als aktuelle Repräsentation imperfekter Fakten ist wie alles „Dahingeflossene“ eine Zustandsfunktion gegenwärtigen Erlebens. Sie unterliegt affektlogischen Bedeutungsschwankungen, interferiert zwischen stimmig und unstimmig, rekonstruiert sich zuweilen schön und dann wieder auch nicht. C’est la vie!
Historische Maschinen
Unsere affektlogische Strukturgeschichte verwandelt uns tendentiell von Möglichkeits-Menschen in historische Maschinen, in Gewohnheitstiere, die weitgehend nach Schema F funktionieren. (Und davon träumen, demselben zu entfleuchen.)
Zu Beginn unseres Lebens bestehen unendlich viele Möglichkeiten; mit jeder Entscheidung, die getroffen wird, verringert sich das zukünftige Möglichkeitsspektrum, verfestigt sich eigensinnige Strukturgeschichte oder struktur-geschichtliche Eigensinnigkeit. Die Welt besteht nur noch aus den Möglichkeiten/Informationen/Erlebnissen, die unsere Eigenstrukturen zulassen. Für alles andere hat der Struktur-Sinn wenig Sinn. Da hilft nur eins: Der heilsame Schock der Differenz: Raus aus dem Trott, psychosomatischer Perspektivenwechsel: Ab ins nepalesische Zen-Kloster, zum Survivaltraining ins australische Outback – als Rückreiselektüre empfiehlt sich Thornton Wilder’s „Wir sind noch mal davongekommen“ –, zum Töpfer-Wochenende in die Toskana, mit Reinhold Messner auf den Nanga Parbat, Versetzung nach Kuala Lumpur oder Ulan Bator, vier Wochen unentgeltliche Arbeit in der Psychiatrie oder Rollentausch für einen Tag: Ich bin du und du bist ich. Leib und Seele erfrischendes Real-Rollen-Theater. (Interessierte wenden sich z. B. an die Berliner „Werkstatt Deutschland e. V.“
http://www.werkstatt-deutschland.net/
Literaturhinweise:
1. Foerster, H. von/Pörksen, B.: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, 4. Aufl., Heidelberg, (Carl-Auer-Systeme-Verlag) 2001.
2. Foerster, H. von: Entdecken oder Erfinden. Wie lässt sich Verstehen verstehen, in: Gumin, H./Mohler, A. (Hrsg.): Einführung in den Konstruktivismus, München 1985.
3. Gay, P.: Freud. Eine Biographie für unsere Zeit., Frankfurt/M (Fischer) 1997.
4. Halstenberg, V.: Power Brands & Brand Power. Wie erfolgreiche Marken entstehen und wie sie erfolgreich bleiben, Berlin, Logos-Verlag 2005, http://www.logos-verlag.de/cgi-bin/engbuchmid?isbn=0725&lng=deu&id=
5. Halstenberg, V.: Psychopatho-Logik. Kybernetik – Psychoanalyse – Kunst – Kreativität., Daedalus-Verlag 2003. http://www.daedalus-verlag.de/front_content.php?idcat=12&idart=104
Rezensionen unter http://www.brainguide.de/psychopatho-logik
http://psychopathologik.blogg.de/ http://www.medizin-im-text.de/blog/?p=453
6. Interview mit Eric Kandel in: Spiegel special 4/2003: Die Entschlüsselung des Gehirns.
7. Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie, Olten 1990.
8. Missildine, W. H.: In dir lebt das Kind, das du warst, 12. Aufl., Stuttgart (Klett-Cotta) 1996.
9. Seele und Gehirn. Ein Gespräch zwischen dem Neurobiologen Gerhard Roth und dem Sozialpsychologen Harald Welzer, in: Die Zeit, 23. Februar 2006.
siehe auch
http://www.4managers.de/management/themen/neuropsychoanalyse-und-marketing/
http://powerbrands.blogg.de/
http://www.brainguide.de/die-kunst-der-selbst-stabilisierung
Amerikanische Footballteams wissen schon, warum sie sich mit ES-infizierenden Namen wie New York Giants, Detroit Lions, Carolina Panthers und Chicago Bears schmücken.
Kleiner Ausflug in die Psychoanalyse
Der Begriff >ES< stammt aus der Psychoanalyse, die z. Z. – obwohl sie niemals mausetot war und vermutlich auch nie sein wird –, so etwas wie eine naturwissenschaftliche Renaissance erlebt. Zu verdanken hat sie‘s der modernen Hirnforschung, die mit sogenannten bildgebenden Verfahren (Computer-Tomografie, Kernspinresonanz-Tomografie, Positronen-Emissions-Tomografie) einen Echtzeit-Blick in unsere neuronale Schaltzentrale ermöglicht und dabei viele Erkenntnisse Sigmund Freuds bestätigt hat. Zum Beispiel:
•dass das bewusste ICH, der pseudo-rationale Steuermann, selten Herr im Hause ist, wenngleich er das gerne vorgibt.
•dass das Unbewusste (ES) maßgeblichen Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Handeln hat. Über 90 Prozent unserer Gedanken, Gefühle und Handlungen laufen unbewusst ab!
•dass Träume eine wichtige psycho-hygienische Funktion haben. Ohne die Hilfe des Unbewussten und ohne die >reinigende< Funktion unserer Träume wäre der Mensch gar nicht überlebensfähig.
•dass die frühkindlichen Lebensjahre entscheidenden Einfluss auf das kognitiv-affektive Erleben und Verhalten des Erwachsenen haben. In jedem von uns lebt das Kind, das wir einst waren.
Für den New Yorker Neurowissenschaftler und Medizin-Nobelpreisträger Eric Kandel und den deutschen Neurobiologen Gerhard Roth ist die Freud’sche Psychoanalyse als das schlüssigste Modell des menschlichen Geistes.
Abb.: Das psychoanalytische Persönlichkeitsmodell
Mir ist, als wohnten ach! vier Seelen in meiner Brust
ES ist die Sphäre des Unbewussten, der archaischen Verhaltens-Erbschaft unseres Stammhirns, der Leidenschaften und Lebenstriebe, aber auch der aggressiven und destruktiven Impulse, die wir normalerweise hinter Schloss und Riegel zu halten, zu verdrängen und zu unterdrücken versuchen.
ICH ist der pseudo-rationale Steuermann, der uns tagein tagaus durch die Welt dirigiert, stets abwägend zwischen inneren Notwendigkeiten und externen Möglichkeiten.
ÜBER-ICH ist das Gewissen, der innere Richter und Zuchtmeister, der über die Zulässigkeit von Gedanken, Aussagen, Handlungen, Erlebnissen bestimmt. Über-ICH traktiert uns bevorzugt mit Schuldgefühlen und Ähnlichem, wenn wir seine ethisch-moralischen Ansprüche nicht erfüllen.
ICH-IDEAL ist der Ästhetiker, der Narzisst, der Perfektionist in uns allen. In unserem ICH-IDEAL erleben wir allerlei Vollkommenheits- und Zukunftsvisionen, die unsere innigsten Wünsche (auch Produktwünsche) erfüllen.
Wer möchte, kann sich die vier interagierenden Systeme als leibhaftige Diskussionsrunde vorstellen, in der ein bodenständiger Manager (ICH), ein strenger Moralapostel (ÜBER-ICH/Gewissen), ein vollkommenheitsverliebter Narzisst (ICH-IDEAL) und ein hedonistischer Naturbursche (ES) mal mehr, mal weniger hitzig um die Führungsrolle ringen.
Zurück zu den Archetypen:
Konkrete archetypische Symbole – den assoziativen Rattenschwanz, der dranhängt, mag jeder selbst ermessen – sind neben Raub- und anderen Tieren, Götter und Göttinnen, Helden und Heldinnen, Riesen und Kobolde, Dämonen und Drachen, Engel und Elfen, Hexen und Heilige, Amazonen und Walküren, Zauberer und Zwerge.
Ein ganz besonderer, weil hochgradig ambivalenter Archetypus, ist die Schlange. Als sich selbst in den Schwanz beißende Uroboros steht sie für den ewigen Kreislauf von Leben und Tod. Als zweiköpfige Ometechtli symbolisiert sie in der aztekischen Mythologie einen allwissenden Gott jenseits von Zeit und Raum, der sowohl männlich wie weiblich oder keines von beidem und somit die perfekte Verkörperung der gegensätzlichen Kräfte Chaos und Ordnung, Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, Bewegung und Ruhe war. Darüber hinaus hat Schlange immer auch etwas Unberechenbar-gefährliches und zugleich Magisch-faszinierendes. Vom Bisexuellen ganz abgesehen.
Archetypen tummeln sich in Märchen, Sagen und Legenden, die die Alten den Jungen erzählen und diese, wenn sie älter sind, ... und die so zum Weltkulturerbe werden.
Archetypen aller Art geistern in zeitgemäßem Outfit auch durch die nationale und internationale Werbekommunikation. Wurde der Gardinen-Gilb nicht als böser Kobold dargestellt, der nur mit dato exorziert werden konnte? War Palmolive-Tilli nicht eine aktuelle Reinkarnation der guten alten Kräuterhexe, die den Menschen mit allerlei wohltuenden Tinkturen und Elixieren zu Leibe rückte? Sind Meister Proper und Weißer Riese nicht postmoderne Dschinns, die durch okkulte Zauberkräfte WC, Wäsche und Weib zum Strahlen bringen? Verkörpert die nackte Fa-Schönheit nicht die schaumgeborene Liebesgöttin Aphrodite? Ist Robert T-Online nicht der digitale Urenkel von Jung-Siegfried, dem blauäugig-blonden Helden aus der Nibelungensage?
Magie durchzieht unser Denken wie eine Droge die Venen, und weil das so ist, plotten erfolgshungrige Romanschriftsteller und Drehbuchautoren gerne mit archetypischen Wertungsdifferenzen wie schön/hässlich, männlich/weiblich, heroisch/ängstlich, mächtig/machtlos, stark/schwach, riesig/winzig, göttlich/teuflisch, adelig/bürgerlich, fremdartig/vertraut, gut/böse. Denken Sie an Sir Arthur Conan Doyle’s „Sherlock Holmes“ und seinen maliziösen Widersacher Prof. Moriaty, oder an Ian Flemming’s „007“, der stets mit hochintelligenten, aber psycho-pathologischen Persönlichkeiten zu kämpfen hat, die kraft exorbitanter Fähigkeiten und elephantösem Techno-Gedöns die ganze Welt bedrohen und am Ende des Films in einem bombastischen Showdown ihren angemessenen Abgang haben, oder an Robert Louis Stevenson’s Schauerroman „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“, in dem der Gut-Böse-Plot durch eine schizophrene Person dramatisiert wird. (ausführlich http://www.brainguide.de/psychopatho-logik-kybernetik-psychoanalyse-kunst-kreativitaet )
Während Jekyll den ethisch-moralisch vorbildlichen Kybernetes mimt, verkörpert Hyde das dämonische ES, das unheimliche Unbewusste, in dem bekanntlich allerlei absonderliche Elemente und finstere Gestalten ihr Unwesen treiben, die zwar hinter Schloss und Riegel gehalten und strengstens bewacht werden, zuweilen aber ausbrechen und die Führung übernehmen. Das passiert bei jedem von uns jede Nacht ohne irgendwelche Konsequenzen, im Traum nämlich, und mit oftmals gravierenden Folgen unter Alkoholeinfluss, wenn der kybernetische Steuermann nicht mehr steuern kann. Andererseits heißt es, der wahre Charakter eines Menschen zeige sich erst ab einem bestimmten Blut-Alkoholwert.
Lückenkonfiguriertes Bewusstsein
Unbewusste Elemente erklären eo ipso die vermeintlichen Diskontinuitäten und Sprünge in unserem bewussten Erleben. Wenn aktuelle Bewusstseinsinhalte in keinem ersichtlichen Zusammenhang stehen mit dem, was zuvor in uns vorging, liegt das daran, dass sie mit unbewussten Vorgängen und Fakten verknüpft sind. Unser Bewusstsein ist lückenkonfiguriert, auf außerhalb seiner selbst liegende Sinnzuführungen angewiesen, und diese Sinnzuführungen übernimmt das Unbewusste. Es ist Lückenfüller und untergründiger Sinnstifter des Bewusstseins.
Das Unbewusste (ES) ist auch Motor aller somatopsychischen Aktivitäten zu Beginn unseres Lebens. Zeitlich ist der Körper vor dem Geist – dem Bewusstsein – da. Begriffliches Identitäts-Bewusstsein entsteht erst um den 20. Lebensmonat.
Gegenwart der Vergangenheit
Ähnlich wie die biologische und die ontogenetische Evolution ist die psychische Entwicklung ein chronologischer Prozess der iterativen Schritte. Die Psychoanalyse spricht von Phasen. Die in der sogenannten oralen Phase (die ersten 12 Lebensmonate) gemachten Erlebnisse und Erfahrungen legen das Strukturfundament, auf dem sich die weiteren affektlogischen Entwicklungsprozesse aufspulen. Früheres prädisponiert Späteres, Erlebnisse prädisponieren Erlebnisse, Erfahrungen prädisponieren Erfahrungen. Netzwerk-Zirkularitäten.
Zeigen sie sich nicht erschreckend deutlich beim Kind im Manne, wenn er von temporären Revitalisierungen infantiler Affektlogik gebeutelt, sein Ödipusdrama von einst in einem aktuellen Beziehungskontext neu inszeniert? Oft mit der unbewussten Einverständniserklärung der weiblichen Seite.
Vergangene, längst ins Unbewusste abgewanderte Erlebnisse und Erfahrungen können via Strukturdeterminierung jederzeit aktualisieren. Hier-und-Heute und Dort-und-Damals sind durch affektlogische Sinnschleifen miteinander verbunden.
Noch einmal: Affektlogische Strukturdeterminierung bedeutet u. a., dass Kindheitserlebnisse auf eigensinnige Art und Weise das Verhalten des Erwachsenen prägen können.
Hollywood lässt grüßen
Bekannte Hollywoodfilme arbeiten nach diesem Muster und erklären das aktuelle Erleben und Verhalten ihrer Hauptdarstellerin bzw. ihres Hauptdarstellers aus einem frühkindlichen Gewalt- oder Verlusterlebnis. In Jonathan Demme’s „Das Schweigen der Lämmer“ zum Beispiel, ist es das Schlachten der Frühlingslämmer und ihr erbärmliches Schreien, das die spätere FBI-Agentin Clarice Starling (gespielt von Jodie Foster) als Zehnjährige miterleben musste. Sie verdrängt dieses schmerzhafte Erlebnis, es frisst sich tief in ihr Unterbewusstsein, macht sich heimlich, still und leise selbstständig, entfaltet ein impulsives Eigenleben rund ums Thema „Posttraumatische Restabilisierungs- und Selbstheilungs-Möglichkeiten“, die sich auf verschlungenen Wegen bei Kybernetes, dem Handlungsbevollmächtigten, Gehör zu verschaffen suchen. Auf das er sie in die Tat umsetzt. Leid und Hilflosigkeit im Dort-und-Damals sollen hier-und-heute durch aktives Handeln kompensiert werden.
Clarice Starling wird von der unbewussten Überzeugung getrieben, dass, wenn sie den häutenden Serienmörder „Buffalo Bill“ stellt und sein letztes Opfer rettet, die schreienden Lämmer in ihrem Kopf endlich schweigen. (siehe auch http://www.brainguide.de/film-analyse-a-la-kybernetischer-psychoanalyse )
Was will der Autor damit sagen:
Alle Menschen, auch Top-Manager, sind Imperfektionisten – im doppelten Sinne des Wortes. Sie denken, fühlen, entscheiden, kommunizieren und handeln unter dem unbewussten Einfluss von Kindheitserlebnissen und neuen alten Ängsten.
Vergangenheit der Gegenwart
In kybernetischen Systemen wie der Psyche löst ein bewusster/unbewusster Impuls oder ein bewusstes/unbewusstes Erlebnis nicht nur Anschluss-Sequenzen aus, sondern wird selbst wieder von diesen tangiert. Wirkungen beeinflussen ihre Ursachen. Deshalb beeinflusst nicht nur die Vergangenheit die Gegenwart, sondern ebenso die Gegenwart die Vergangenheit. Persönliche Vergangenheit als aktuelle Repräsentation imperfekter Fakten ist wie alles „Dahingeflossene“ eine Zustandsfunktion gegenwärtigen Erlebens. Sie unterliegt affektlogischen Bedeutungsschwankungen, interferiert zwischen stimmig und unstimmig, rekonstruiert sich zuweilen schön und dann wieder auch nicht. C’est la vie!
Historische Maschinen
Unsere affektlogische Strukturgeschichte verwandelt uns tendentiell von Möglichkeits-Menschen in historische Maschinen, in Gewohnheitstiere, die weitgehend nach Schema F funktionieren. (Und davon träumen, demselben zu entfleuchen.)
Zu Beginn unseres Lebens bestehen unendlich viele Möglichkeiten; mit jeder Entscheidung, die getroffen wird, verringert sich das zukünftige Möglichkeitsspektrum, verfestigt sich eigensinnige Strukturgeschichte oder struktur-geschichtliche Eigensinnigkeit. Die Welt besteht nur noch aus den Möglichkeiten/Informationen/Erlebnissen, die unsere Eigenstrukturen zulassen. Für alles andere hat der Struktur-Sinn wenig Sinn. Da hilft nur eins: Der heilsame Schock der Differenz: Raus aus dem Trott, psychosomatischer Perspektivenwechsel: Ab ins nepalesische Zen-Kloster, zum Survivaltraining ins australische Outback – als Rückreiselektüre empfiehlt sich Thornton Wilder’s „Wir sind noch mal davongekommen“ –, zum Töpfer-Wochenende in die Toskana, mit Reinhold Messner auf den Nanga Parbat, Versetzung nach Kuala Lumpur oder Ulan Bator, vier Wochen unentgeltliche Arbeit in der Psychiatrie oder Rollentausch für einen Tag: Ich bin du und du bist ich. Leib und Seele erfrischendes Real-Rollen-Theater. (Interessierte wenden sich z. B. an die Berliner „Werkstatt Deutschland e. V.“
http://www.werkstatt-deutschland.net/
Literaturhinweise:
1. Foerster, H. von/Pörksen, B.: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, 4. Aufl., Heidelberg, (Carl-Auer-Systeme-Verlag) 2001.
2. Foerster, H. von: Entdecken oder Erfinden. Wie lässt sich Verstehen verstehen, in: Gumin, H./Mohler, A. (Hrsg.): Einführung in den Konstruktivismus, München 1985.
3. Gay, P.: Freud. Eine Biographie für unsere Zeit., Frankfurt/M (Fischer) 1997.
4. Halstenberg, V.: Power Brands & Brand Power. Wie erfolgreiche Marken entstehen und wie sie erfolgreich bleiben, Berlin, Logos-Verlag 2005, http://www.logos-verlag.de/cgi-bin/engbuchmid?isbn=0725&lng=deu&id=
5. Halstenberg, V.: Psychopatho-Logik. Kybernetik – Psychoanalyse – Kunst – Kreativität., Daedalus-Verlag 2003. http://www.daedalus-verlag.de/front_content.php?idcat=12&idart=104
Rezensionen unter http://www.brainguide.de/psychopatho-logik
http://psychopathologik.blogg.de/ http://www.medizin-im-text.de/blog/?p=453
6. Interview mit Eric Kandel in: Spiegel special 4/2003: Die Entschlüsselung des Gehirns.
7. Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie, Olten 1990.
8. Missildine, W. H.: In dir lebt das Kind, das du warst, 12. Aufl., Stuttgart (Klett-Cotta) 1996.
9. Seele und Gehirn. Ein Gespräch zwischen dem Neurobiologen Gerhard Roth und dem Sozialpsychologen Harald Welzer, in: Die Zeit, 23. Februar 2006.
siehe auch
http://www.4managers.de/management/themen/neuropsychoanalyse-und-marketing/
http://powerbrands.blogg.de/
http://www.brainguide.de/die-kunst-der-selbst-stabilisierung