Story interruptus – Ihr Publikum bis zum Schluss in Atem halten
Bob ist ein amerikanischer Geschäftsmann aus New Jersey, den ich Ihnen nicht lange beschreiben muss: Denken Sie einfach an irgendeinen gestressten Geschäftsmann mit hektischer Attitüde und Tunnelblick, der Ihnen so am Flughafen über den Weg laufen könnte, und Sie haben eine Vorstellung. Eine Eigenschaft allerdings ist charakteristisch für Bob: Er ist ein bisschen knauseriger, als gut für ihn ist.
Bob ist gerade am Flughafen, weil er zu einer Konferenz nach Portland reisen wird. Weil er gern spart, hat er im Vorfeld einige Zeit dafür aufgewendet, nach den besten Angeboten für Flugtickets, Hotel und Mietwagen zu suchen. Und er ist fündig geworden: Die Flüge haben ihn über 300 Dollar weniger gekostet als erwartet.
Am Flughafen war Bob schon 90 Minuten vor Boarding. Er hat inzwischen seine Mails abgerufen, sich eine Zeitung gekauft und einen Kaffee getrunken. Als sein Flug endlich aufgerufen wird, begegnet Bob am Gate einer freundlichen Airline-Angestellten, die beim Blick auf sein Ticket ihren Neid gesteht.
Bob wundert sich, und hakt nach: „Warum neidisch?“
„Na, weil ich am liebsten mitfliegen würde!“ erwidert die junge Frau. „Um diese Jahreszeit gibt es an der ganzen Küste keinen schöneren Ort als Portland – die Herbstfarben sind dort ein Traum!“
Bob, der höflich lächelnd zugehört hat, erstarrt zur Salzsäule.
Cliffhanger: Die Kunst der ungebrochenen Aufmerksamkeit
Sie würden jetzt vermutlich gern wissen, was Bob so in Schrecken versetzt hat. Und damit habe ich genau den Effekt erzielt, dessen Anwendung in Vorträgen ich Ihnen in diesem Artikel erläutern möchte. Die „unterbrochene Geschichte“ ist eine Methode des Storytelling für Redner, die bei Ihrem Publikum für anhaltende Aufmerksamkeit sorgt – bis zum Schluss Ihrer Rede. Doch dabei gilt es einige Regeln zu beachten, denn diese Technik gehört in den Werkzeugkoffer der Rhetorik für Fortgeschrittene.
Wie Sie den Anfang der unterbrochenen Geschichte in Ihren Vortrag einbauen, habe ich Ihnen oben schon demonstriert: Erzählen Sie zu Beginn Ihrer Rede eine Geschichte, die dazu geeignet ist, die Aufmerksamkeit Ihres Publikums zu erregen und für die Dauer der Rede aufrechtzuerhalten. Kurz vor der Pointe aber leiten Sie über auf das eigentliche Thema Ihres Vortrags und erzielen so den so genannten Cliffhanger-Effekt, der uns allen aus Fortsetzungsserien oder Kinotrailern bekannt ist. Ihr Publikum ist jetzt gespannt, und hört Ihnen mit gespitzten Ohren zu – denn es möchte natürlich die Auflösung der Geschichte hören.
Wenn Sie beispielsweise eine Rede über vorausschauendes Denken halten, könnte die Geschichte von Bob mit folgendem Cliffhanger unterbrochen werden: „Bob, der höflich lächelnd zugehört hat, erstarrte zur Salzsäule. Und ich verrate Ihnen auch warum. Aber erst, wenn ich Ihnen erklärt habe, warum vorausschauendes Denken nicht nur Bob, sondern auch Sie vor verpassten Chancen und anderem Unheil bewahren kann.“
Auswahl der Story: Vorsicht, Fettnäpfchen!
Neben der ungeteilten Aufmerksamkeit Ihrer Zuhörer sollte die Geschichte noch ein weiteres Ziel des Storytellings in Reden erfüllen: dass Ihre Kernbotschaft dem Publikum im Gedächtnis bleibt. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Sie Ihre Geschichte mit Bedacht wählen.
Bestimmt haben Sie eine Lieblingsgeschichte, die Sie gern zum Besten geben und die in der Vergangenheit immer wieder für Erheiterung bei Ihren Zuhörern gesorgt hat. Wollen Sie die Geschichte in eine Rede einbauen, müssen Sie jedoch zunächst prüfen, ob sie auch zum Vortragsthema passt.
Eine meiner Lieblingsgeschichten stammt vom amerikanischen Autor Art Buchwald. In seinem Buch „Ich hatte keine Ahnung, dass Sterben so viel Spaß machen kann“ beschreibt der Autor die wahre Geschichte seines aberwitzigen Versuchs, würdevoll ins Jenseits zu entschwinden: Als er im fortgeschrittenen Alter erfuhr, dass er für den Rest seines Lebens Dialysepatient sein würde, stellte er fest, dass er darauf absolut keine Lust hatte. Er verweigerte die Behandlung und wies sich selbst in ein Hospiz ein. Dort hielt er in aller Seelenruhe Hof und empfing alle Gäste, denen er noch etwas zu sagen hatte, um sich schließlich – so der Plan – reinen Herzens aus dem Reich der Lebenden zu verabschieden. Der erste Teil der Strategie ging auf: Alle Welt kam ihn besuchen und überschüttete ihn mit Präsentkörben. Er hatte, nach eigener Aussage, einen Heidenspaß im Totenbett.
Das Problem war nur: Es ging ihm von Tag zu Tag besser. Sein Körper kam, zur großen Überraschung der Ärzte, blendend ohne Dialyse zurecht. Buchwald wartete und wartete, doch der Tod wollte einfach nicht anklopfen. Und so kam es, dass der zum Sterben Entschlossene das Hospiz wieder verlassen musste: Für einen, der gar nicht im Sterben lag, mochte die Versicherung kein Geld mehr locker machen. So kehrte er nach Hause zurück, gesund und bei bester Laune. Nur die Verwandten, Freunde und Kollegen, die dem vermeintlich Todgeweihten bereits ihre Ehre erwiesen hatten – die fühlten sich einigermaßen verschaukelt.
Eine großartige Geschichte, finde ich. Aber jetzt stellen Sie sich mal vor, ich würde sie auf einer Konferenz von Hospizbetreibern zum Besten geben. Dann wäre alles falsch: Der schwarze Humor passt ganz und gar nicht zu Leid und Krankheit, die die potenziellen Teilnehmer Tag für Tag zu Gesicht bekommen. Zumindest Teile des Publikums würden wohl auch mit dem ironischen Ton nicht zurechtkommen. Und die eigentlich lebensbejahende Botschaft könnte völlig missverstanden werden, wenn man die heiter-sarkastische Lebenseinstellung des Autors nicht teilt.
Suchen Sie immer eine Geschichte aus, die geeignet ist, um die zentrale Botschaft Ihrer Rede zu unterstreichen. Wählen Sie keine Geschichte, deren Pointe leicht missverstanden werden könnte. Achten Sie außerdem darauf, dass der Ton dem Gegenstand und dem Publikum angemessen ist. Lassen Sie sich also nicht dazu verleiten, nur des Effekts wegen ihre Lieblingsgeschichte zu erzählen.
Doch selbst wenn das Thema Ihrer Lieblingsstory perfekt zum Vortragsthema passt (wie die von Bob zum vorausschauenden Denken), kann es dennoch sein, dass sie aus formalen Gründen nicht als unterbrochene Geschichte geeignet ist. Im Folgenden möchte ich Ihnen die drei Strukturmerkmale einer geeigneten Geschichte kurz erläutern, damit Sie bei der Auswahl auf der sicheren Seite sind.
Der Spannungsbogen: Ein Bordstein macht noch keinen Cliffhanger
Um tatsächlich einen Cliffhanger-Effekt zu erzielen, muss Ihre Geschichte zwingend einen funktionierenden Spannungsbogen aufweisen. Das funktioniert jedoch nur, wenn Sie eine Geschichte parat haben, die nicht schon die Hälfte der Zuschauer im Saal kennt. Das wäre erstens peinlich für Sie, und zweitens ginge die erwünschte Aufmerksamkeit schon dadurch verloren, dass die Spielverderber auf den billigen Plätzen ihren Sitznachbarn stolz die Pointe verraten.
Auch müssen Sie die Geschichte geheimnisvoll erzählen, um Spannung zu erzeugen. Achten Sie also darauf, dass Sie nicht zu viele Details preisgeben, die smarten Zuhörern die Pointe suggerieren könnten. Sorgen Sie unbedingt dafür, dass die Geschichte ausgereift ist: Probieren Sie sie vorher an einem Testpublikum – etwa im Freundeskreis – aus, und beobachten Sie dessen Reaktionen.
Der Spannungsbogen muss außerdem einem großen Batzen Material und damit einer gewissen Frist standhalten, bis er aufgelöst wird. Schließlich wollen Sie zwischen dem Cliffhanger am Anfang und der Pointe am Ende Ihres Vortrags auch noch das ganze Material vermitteln, dass das Gros Ihrer Rede ausmacht. Machen Sie es also richtig spannend, damit Ihnen die Aufmerksamkeit auch wirklich bis zum Schluss erhalten bleibt. Für den Cliffhanger sind dabei Wörter und Wendungen sehr gut geeignet, die hohe Dramatik erzeugen – deswegen habe ich unseren Bob zu Beginn zur Salzsäule erstarren lassen. Sind Sie schon darauf gekommen, warum er ein Paradebeispiel für vorausschauendes Denken sein könnte? Ich hoffe, nicht.
Der Umfang: In der Kürze liegt die Würze
Lassen Sie Ihre unterbrochene Geschichte am Anfang Ihrer Rede nicht zur Krimi-Lesung ausarten. Wenn sie zu lang ist, kann es sein, dass das Publikum bis zum Ende Ihres Vortrags schon wieder die Hälfte der Story vergessen hat. Dann fällt die Pointe am Ende der Rede ins Leere – und reißt möglicherweise Ihre gesamte bis dahin gehaltene Präsentation mit sich. Nicht nur der Effekt der Story, sondern auch der erwünschte bleibende Eindruck wäre dahin.
„Fassen Sie sich kurz!“ gilt ganz besonders im Rahmen dieser Methode auch für Ihren Vortrag im Ganzen. Georg Christoph Lichtenberg hat gesagt: „Es ist keine Kunst, etwas kurz zu sagen, wenn man etwas zu sagen hat.“ Ob Ihre Story zum Thema Ihrer Rede passt können Sie deshalb auch daran überprüfen, ob Sie sie erst weitschweifig zurechtbiegen müssen, bevor Sie den Cliffhanger setzen können. Gerät der Einstieg zu lang, suchen Sie lieber eine andere Geschichte aus.
Die Komplexität: Erkenntnisse gehören nicht in Labyrinthe
Ähnliches wie für den Umfang gilt auch für die Komplexität der unterbrochenen Geschichte: Weniger ist mehr. Das Publikum muss Ihrer Story gut folgen können. Deshalb ist es wichtig, dass sie nicht zu vielschichtig ist. Zu viele Details können die Botschaft verkomplizieren und das Publikum verwirren. Manche Zuschauer versuchen möglicherweise, während Ihrer Rede den Zusammenhang zwischen der Story und Ihrem Redethema herzustellen. Und das ist gut so: Dass die Zuschauer ins Nachdenken kommen, ist ja der Sinn der Sache. Wenn sie dabei aber von überflüssigen Details in die Irre geführt werden, haben sie möglicherweise den Kopf zu voll, um dem übrigen Material zu folgen. Überlegen Sie daher genau: Kann sich mein Publikum an dieses Detail noch erinnern, bis ich mit meiner Rede zum Ende komme?
Orientieren Sie sich beim Aufbau ruhig an Ihrem Lieblingswitz. Witze bringen uns deshalb zum Lachen, weil sie ohne Umschweife geradewegs auf die Pointe zuarbeiten, ohne sie zu früh zu verraten. Sicher kennen Sie die Szenen in Komödien, in denen irgendein armer Trottel versucht, einen Witz zu erzählen, sich dabei ständig verhaspelt und dann die Pointe vorwegnimmt. Das kann passieren, wenn der Witz – respektive die Geschichte – zu kompliziert ist oder zu viele Details enthält, auf die Sie achten müssten, damit die Auflösung funktioniert. Fragen Sie sich daher beim Ausarbeiten der Geschichte immer: Kann ich die Story auf der Bühne problemlos reproduzieren?
Na endlich: Die Pointe und wie man sie serviert
Natürlich wollen Sie immer noch von mir wissen, warum Bob im Gespräch mit der netten Airline-Angestellten über sein Flugziel Portland zur Salzsäule erstarrte, und was das mit vorausschauendem Denken zu tun hat. Ich will es Ihnen verraten – aber nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ich gerade die wichtigsten Schlagworte der Geschichte ganz bewusst noch einmal zusammengefasst habe. Bevor Sie die Auflösung liefern, sollten Sie immer kurz rekapitulieren und den Bezug zu den Inhalten Ihrer Rede herstellen. Denn so sorgsam Sie Ihre Geschichte auch geplant haben – es wäre möglich, dass nicht alle im Publikum bei der Sache waren.
Nun aber zu Bob. Einen kleinen Hinweis hatte ich Ihnen schon gegeben: Bob ist der knauserige Typ Geschäftsmann und wollte an den Flügen sparen. Es gab jedoch einen simplen Grund, warum er so überraschend billig buchen konnte: Der wunderschöne Küstenort Portland im Bundesstaat Maine, wohin Bobs Flugticket ausgestellt war, liegt einen recht kurzen Flug von New Jersey entfernt. Ganz im Gegensatz zu Portland in Oregon, wo Bobs Konferenz stattfinden sollte.
Jetzt ist Ihnen sicher auch klar, warum diese Geschichte sich hervorragend für einen Vortrag über vorausschauendes Denken eignet.
Damit Ihnen die anspruchsvolle Methode der unterbrochenen Geschichte gelingt, hier noch einmal die wichtigsten Grundregeln auf einen Blick:
• Wählen Sie eine Geschichte aus, die zum Thema Ihres Vortrags passt. Sowohl die zentrale Botschaft als auch der Ton der Geschichte sollten dem Anlass und Ihrem Publikum entsprechen.
• Konstruieren Sie bei der Vorbereitung sorgfältig einen Spannungsbogen, der dramatisch und geheimnisvoll genug ist, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer über die gesamte Dauer Ihrer Rede zu halten.
• Erzählen Sie gleich zu Beginn Ihrer Rede den ersten Teil der Geschichte, und brechen Sie kurz vor der Auflösung mit einem Cliffhanger ab, der andeutet, dass die Pointe die Botschaft Ihrer Rede stützt.
• Keep it short and simple! Überfordern Sie Ihr Publikum nicht mit Gedächtnissport.
• Bevor Sie am Ende Ihrer Rede die Pointe servieren, rekapitulieren Sie noch einmal die wichtigsten Punkte der Geschichte und weisen Sie auf den Bezug zum Thema hin.
Kommen Sie gut an!
Ihr
René Borbonus
www.rene-borbonus.de
Die Technik der unterbrochenen Geschichte und das Beispiel von Bob sind angelehnt an:
Speaker´s Edge - Artikel von Mark Brown
Bob ist gerade am Flughafen, weil er zu einer Konferenz nach Portland reisen wird. Weil er gern spart, hat er im Vorfeld einige Zeit dafür aufgewendet, nach den besten Angeboten für Flugtickets, Hotel und Mietwagen zu suchen. Und er ist fündig geworden: Die Flüge haben ihn über 300 Dollar weniger gekostet als erwartet.
Am Flughafen war Bob schon 90 Minuten vor Boarding. Er hat inzwischen seine Mails abgerufen, sich eine Zeitung gekauft und einen Kaffee getrunken. Als sein Flug endlich aufgerufen wird, begegnet Bob am Gate einer freundlichen Airline-Angestellten, die beim Blick auf sein Ticket ihren Neid gesteht.
Bob wundert sich, und hakt nach: „Warum neidisch?“
„Na, weil ich am liebsten mitfliegen würde!“ erwidert die junge Frau. „Um diese Jahreszeit gibt es an der ganzen Küste keinen schöneren Ort als Portland – die Herbstfarben sind dort ein Traum!“
Bob, der höflich lächelnd zugehört hat, erstarrt zur Salzsäule.
Cliffhanger: Die Kunst der ungebrochenen Aufmerksamkeit
Sie würden jetzt vermutlich gern wissen, was Bob so in Schrecken versetzt hat. Und damit habe ich genau den Effekt erzielt, dessen Anwendung in Vorträgen ich Ihnen in diesem Artikel erläutern möchte. Die „unterbrochene Geschichte“ ist eine Methode des Storytelling für Redner, die bei Ihrem Publikum für anhaltende Aufmerksamkeit sorgt – bis zum Schluss Ihrer Rede. Doch dabei gilt es einige Regeln zu beachten, denn diese Technik gehört in den Werkzeugkoffer der Rhetorik für Fortgeschrittene.
Wie Sie den Anfang der unterbrochenen Geschichte in Ihren Vortrag einbauen, habe ich Ihnen oben schon demonstriert: Erzählen Sie zu Beginn Ihrer Rede eine Geschichte, die dazu geeignet ist, die Aufmerksamkeit Ihres Publikums zu erregen und für die Dauer der Rede aufrechtzuerhalten. Kurz vor der Pointe aber leiten Sie über auf das eigentliche Thema Ihres Vortrags und erzielen so den so genannten Cliffhanger-Effekt, der uns allen aus Fortsetzungsserien oder Kinotrailern bekannt ist. Ihr Publikum ist jetzt gespannt, und hört Ihnen mit gespitzten Ohren zu – denn es möchte natürlich die Auflösung der Geschichte hören.
Wenn Sie beispielsweise eine Rede über vorausschauendes Denken halten, könnte die Geschichte von Bob mit folgendem Cliffhanger unterbrochen werden: „Bob, der höflich lächelnd zugehört hat, erstarrte zur Salzsäule. Und ich verrate Ihnen auch warum. Aber erst, wenn ich Ihnen erklärt habe, warum vorausschauendes Denken nicht nur Bob, sondern auch Sie vor verpassten Chancen und anderem Unheil bewahren kann.“
Auswahl der Story: Vorsicht, Fettnäpfchen!
Neben der ungeteilten Aufmerksamkeit Ihrer Zuhörer sollte die Geschichte noch ein weiteres Ziel des Storytellings in Reden erfüllen: dass Ihre Kernbotschaft dem Publikum im Gedächtnis bleibt. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Sie Ihre Geschichte mit Bedacht wählen.
Bestimmt haben Sie eine Lieblingsgeschichte, die Sie gern zum Besten geben und die in der Vergangenheit immer wieder für Erheiterung bei Ihren Zuhörern gesorgt hat. Wollen Sie die Geschichte in eine Rede einbauen, müssen Sie jedoch zunächst prüfen, ob sie auch zum Vortragsthema passt.
Eine meiner Lieblingsgeschichten stammt vom amerikanischen Autor Art Buchwald. In seinem Buch „Ich hatte keine Ahnung, dass Sterben so viel Spaß machen kann“ beschreibt der Autor die wahre Geschichte seines aberwitzigen Versuchs, würdevoll ins Jenseits zu entschwinden: Als er im fortgeschrittenen Alter erfuhr, dass er für den Rest seines Lebens Dialysepatient sein würde, stellte er fest, dass er darauf absolut keine Lust hatte. Er verweigerte die Behandlung und wies sich selbst in ein Hospiz ein. Dort hielt er in aller Seelenruhe Hof und empfing alle Gäste, denen er noch etwas zu sagen hatte, um sich schließlich – so der Plan – reinen Herzens aus dem Reich der Lebenden zu verabschieden. Der erste Teil der Strategie ging auf: Alle Welt kam ihn besuchen und überschüttete ihn mit Präsentkörben. Er hatte, nach eigener Aussage, einen Heidenspaß im Totenbett.
Das Problem war nur: Es ging ihm von Tag zu Tag besser. Sein Körper kam, zur großen Überraschung der Ärzte, blendend ohne Dialyse zurecht. Buchwald wartete und wartete, doch der Tod wollte einfach nicht anklopfen. Und so kam es, dass der zum Sterben Entschlossene das Hospiz wieder verlassen musste: Für einen, der gar nicht im Sterben lag, mochte die Versicherung kein Geld mehr locker machen. So kehrte er nach Hause zurück, gesund und bei bester Laune. Nur die Verwandten, Freunde und Kollegen, die dem vermeintlich Todgeweihten bereits ihre Ehre erwiesen hatten – die fühlten sich einigermaßen verschaukelt.
Eine großartige Geschichte, finde ich. Aber jetzt stellen Sie sich mal vor, ich würde sie auf einer Konferenz von Hospizbetreibern zum Besten geben. Dann wäre alles falsch: Der schwarze Humor passt ganz und gar nicht zu Leid und Krankheit, die die potenziellen Teilnehmer Tag für Tag zu Gesicht bekommen. Zumindest Teile des Publikums würden wohl auch mit dem ironischen Ton nicht zurechtkommen. Und die eigentlich lebensbejahende Botschaft könnte völlig missverstanden werden, wenn man die heiter-sarkastische Lebenseinstellung des Autors nicht teilt.
Suchen Sie immer eine Geschichte aus, die geeignet ist, um die zentrale Botschaft Ihrer Rede zu unterstreichen. Wählen Sie keine Geschichte, deren Pointe leicht missverstanden werden könnte. Achten Sie außerdem darauf, dass der Ton dem Gegenstand und dem Publikum angemessen ist. Lassen Sie sich also nicht dazu verleiten, nur des Effekts wegen ihre Lieblingsgeschichte zu erzählen.
Doch selbst wenn das Thema Ihrer Lieblingsstory perfekt zum Vortragsthema passt (wie die von Bob zum vorausschauenden Denken), kann es dennoch sein, dass sie aus formalen Gründen nicht als unterbrochene Geschichte geeignet ist. Im Folgenden möchte ich Ihnen die drei Strukturmerkmale einer geeigneten Geschichte kurz erläutern, damit Sie bei der Auswahl auf der sicheren Seite sind.
Der Spannungsbogen: Ein Bordstein macht noch keinen Cliffhanger
Um tatsächlich einen Cliffhanger-Effekt zu erzielen, muss Ihre Geschichte zwingend einen funktionierenden Spannungsbogen aufweisen. Das funktioniert jedoch nur, wenn Sie eine Geschichte parat haben, die nicht schon die Hälfte der Zuschauer im Saal kennt. Das wäre erstens peinlich für Sie, und zweitens ginge die erwünschte Aufmerksamkeit schon dadurch verloren, dass die Spielverderber auf den billigen Plätzen ihren Sitznachbarn stolz die Pointe verraten.
Auch müssen Sie die Geschichte geheimnisvoll erzählen, um Spannung zu erzeugen. Achten Sie also darauf, dass Sie nicht zu viele Details preisgeben, die smarten Zuhörern die Pointe suggerieren könnten. Sorgen Sie unbedingt dafür, dass die Geschichte ausgereift ist: Probieren Sie sie vorher an einem Testpublikum – etwa im Freundeskreis – aus, und beobachten Sie dessen Reaktionen.
Der Spannungsbogen muss außerdem einem großen Batzen Material und damit einer gewissen Frist standhalten, bis er aufgelöst wird. Schließlich wollen Sie zwischen dem Cliffhanger am Anfang und der Pointe am Ende Ihres Vortrags auch noch das ganze Material vermitteln, dass das Gros Ihrer Rede ausmacht. Machen Sie es also richtig spannend, damit Ihnen die Aufmerksamkeit auch wirklich bis zum Schluss erhalten bleibt. Für den Cliffhanger sind dabei Wörter und Wendungen sehr gut geeignet, die hohe Dramatik erzeugen – deswegen habe ich unseren Bob zu Beginn zur Salzsäule erstarren lassen. Sind Sie schon darauf gekommen, warum er ein Paradebeispiel für vorausschauendes Denken sein könnte? Ich hoffe, nicht.
Der Umfang: In der Kürze liegt die Würze
Lassen Sie Ihre unterbrochene Geschichte am Anfang Ihrer Rede nicht zur Krimi-Lesung ausarten. Wenn sie zu lang ist, kann es sein, dass das Publikum bis zum Ende Ihres Vortrags schon wieder die Hälfte der Story vergessen hat. Dann fällt die Pointe am Ende der Rede ins Leere – und reißt möglicherweise Ihre gesamte bis dahin gehaltene Präsentation mit sich. Nicht nur der Effekt der Story, sondern auch der erwünschte bleibende Eindruck wäre dahin.
„Fassen Sie sich kurz!“ gilt ganz besonders im Rahmen dieser Methode auch für Ihren Vortrag im Ganzen. Georg Christoph Lichtenberg hat gesagt: „Es ist keine Kunst, etwas kurz zu sagen, wenn man etwas zu sagen hat.“ Ob Ihre Story zum Thema Ihrer Rede passt können Sie deshalb auch daran überprüfen, ob Sie sie erst weitschweifig zurechtbiegen müssen, bevor Sie den Cliffhanger setzen können. Gerät der Einstieg zu lang, suchen Sie lieber eine andere Geschichte aus.
Die Komplexität: Erkenntnisse gehören nicht in Labyrinthe
Ähnliches wie für den Umfang gilt auch für die Komplexität der unterbrochenen Geschichte: Weniger ist mehr. Das Publikum muss Ihrer Story gut folgen können. Deshalb ist es wichtig, dass sie nicht zu vielschichtig ist. Zu viele Details können die Botschaft verkomplizieren und das Publikum verwirren. Manche Zuschauer versuchen möglicherweise, während Ihrer Rede den Zusammenhang zwischen der Story und Ihrem Redethema herzustellen. Und das ist gut so: Dass die Zuschauer ins Nachdenken kommen, ist ja der Sinn der Sache. Wenn sie dabei aber von überflüssigen Details in die Irre geführt werden, haben sie möglicherweise den Kopf zu voll, um dem übrigen Material zu folgen. Überlegen Sie daher genau: Kann sich mein Publikum an dieses Detail noch erinnern, bis ich mit meiner Rede zum Ende komme?
Orientieren Sie sich beim Aufbau ruhig an Ihrem Lieblingswitz. Witze bringen uns deshalb zum Lachen, weil sie ohne Umschweife geradewegs auf die Pointe zuarbeiten, ohne sie zu früh zu verraten. Sicher kennen Sie die Szenen in Komödien, in denen irgendein armer Trottel versucht, einen Witz zu erzählen, sich dabei ständig verhaspelt und dann die Pointe vorwegnimmt. Das kann passieren, wenn der Witz – respektive die Geschichte – zu kompliziert ist oder zu viele Details enthält, auf die Sie achten müssten, damit die Auflösung funktioniert. Fragen Sie sich daher beim Ausarbeiten der Geschichte immer: Kann ich die Story auf der Bühne problemlos reproduzieren?
Na endlich: Die Pointe und wie man sie serviert
Natürlich wollen Sie immer noch von mir wissen, warum Bob im Gespräch mit der netten Airline-Angestellten über sein Flugziel Portland zur Salzsäule erstarrte, und was das mit vorausschauendem Denken zu tun hat. Ich will es Ihnen verraten – aber nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ich gerade die wichtigsten Schlagworte der Geschichte ganz bewusst noch einmal zusammengefasst habe. Bevor Sie die Auflösung liefern, sollten Sie immer kurz rekapitulieren und den Bezug zu den Inhalten Ihrer Rede herstellen. Denn so sorgsam Sie Ihre Geschichte auch geplant haben – es wäre möglich, dass nicht alle im Publikum bei der Sache waren.
Nun aber zu Bob. Einen kleinen Hinweis hatte ich Ihnen schon gegeben: Bob ist der knauserige Typ Geschäftsmann und wollte an den Flügen sparen. Es gab jedoch einen simplen Grund, warum er so überraschend billig buchen konnte: Der wunderschöne Küstenort Portland im Bundesstaat Maine, wohin Bobs Flugticket ausgestellt war, liegt einen recht kurzen Flug von New Jersey entfernt. Ganz im Gegensatz zu Portland in Oregon, wo Bobs Konferenz stattfinden sollte.
Jetzt ist Ihnen sicher auch klar, warum diese Geschichte sich hervorragend für einen Vortrag über vorausschauendes Denken eignet.
Damit Ihnen die anspruchsvolle Methode der unterbrochenen Geschichte gelingt, hier noch einmal die wichtigsten Grundregeln auf einen Blick:
• Wählen Sie eine Geschichte aus, die zum Thema Ihres Vortrags passt. Sowohl die zentrale Botschaft als auch der Ton der Geschichte sollten dem Anlass und Ihrem Publikum entsprechen.
• Konstruieren Sie bei der Vorbereitung sorgfältig einen Spannungsbogen, der dramatisch und geheimnisvoll genug ist, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer über die gesamte Dauer Ihrer Rede zu halten.
• Erzählen Sie gleich zu Beginn Ihrer Rede den ersten Teil der Geschichte, und brechen Sie kurz vor der Auflösung mit einem Cliffhanger ab, der andeutet, dass die Pointe die Botschaft Ihrer Rede stützt.
• Keep it short and simple! Überfordern Sie Ihr Publikum nicht mit Gedächtnissport.
• Bevor Sie am Ende Ihrer Rede die Pointe servieren, rekapitulieren Sie noch einmal die wichtigsten Punkte der Geschichte und weisen Sie auf den Bezug zum Thema hin.
Kommen Sie gut an!
Ihr
René Borbonus
www.rene-borbonus.de
Die Technik der unterbrochenen Geschichte und das Beispiel von Bob sind angelehnt an:
Speaker´s Edge - Artikel von Mark Brown