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Die Rede und das Motto

Führungsrhetorik der etwas anderen Art.
Stefan Häseli | 19.06.2019
Der 49-jährige studierte Betriebswirt Hannes ist Produktionsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung eines internationalen Industriekonzerns. Er führt den Leser durch die Absurditäten der Chefetage. © Stefan Häseli
Eine klare Kommunikation, ein kollegialer Führungsstil und offen artikulierte Wertschätzung – das wird heute von Führungskräften erwartet. Vorbei sind die Zeiten, in denen sie Kontrollinstanzen waren – jetzt sollen sie Impulsgeber sein. Und entsprechend herausragende Reden halten. Mitunter kann das zu so mancher Absurdität in der Chefrolle führen – so erfährt und erlebt das auch Hannes. Der 49-jährige studierte Betriebswirt ist Produktionsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung eines internationalen Industriekonzerns. Er gewährt einen Einblick, was auf der Management-Etage so gedacht und getan wird – erst recht, wenn es um Führungsrhetorik geht. Übrigens: Ein Schmunzeln aufgrund dieser Business-Satire ist hier durchaus erlaubt…

Lustlos sitzt Hannes vor dem Computer. Die Zeit drängt. Als CEO muss er die Belegschaft heute Nachmittag über die missliche, finanzielle Lage des Unternehmens informieren. Diese nicht-wirklich-frohe Botschaft übertrifft die Ankündigung, dass ein großer Teil der Produktion nach Asien verlegt wird. „Meine Damen und Herren, ich trete heute vor Sie, um Sie über eine einschneidende Maßnahme zu orientieren“, beginnt Hannes zu tippen. „Treten“ – das hört sich doch zu sehr nach „vor die Schmitte treten“ an – zu dramatisch. Also direkter: „Meine Damen und Herren“ – dies ist wohl etwas förmlich, distanziert, schießt es Hannes durch den Kopf. „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Genau, das drückt Wertschätzung aus, das steht so im Leitbild. Also: „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ich informiere Sie heute über eine einschneidende…“ – Nein, das gefällt Hannes nicht. „Einschneidende Maßnahme“ tönt, als ob wir den Betrieb schließen müssten. Dabei verlagern wir nur dahin, wo die Märkte sind. Im Grunde gehen wir näher zum Kunden. Genau, „Kundennähe“ möchten wir. Das hört sich nicht nach Abbau, sondern nach Aufbau neuer Distributionskanäle an. Hannes gerät in Fahrt.

„Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich freue mich, Sie über unsere neue Strategie für mehr Kundennähe zu orientieren. Annäherung der Distributionskanäle ist das Rezept, das allerdings auch Opfer fordert“. Nein, „Opfer“ geht gar nicht. Change-Projekte sind „Chancen“. „Wir haben die einmalige Chance, uns mit der Neuausrichtung im Markt besser zu positionieren“. Ja, das passt. Es soll positiv tönen. Nichts von „gesundschrumpfen“, das würde bedeuten, dass wir sind vorher „krank-gewachsen“ sind.

„Fokussierung auf die zentralen Kerngeschäfte“ – ja, das muss rein. „Die Gründe für diese Neuausrichtungen sind vor allem Markteinflüsse aus Billiglohnländern“. „Markteinflüsse“ – Hannes streicht das Wort, es erweckt den Eindruck von Fremdbestimmung. „Wir passen uns dem technologisch-demagogischen Wandel an und sind in der Globalisierung ein aktiver Player“. Das ist gut. Hannes spürt, dass es richtig ist, solche frohe Botschaften persönlich zu kommunizieren. Das Rede soll noch angereichert werden mit ein paar wohlklingenden Adjektiven wie nachhaltig, ergebnisorientiert, stufengerecht, win-win, optimiert, schlank und unverzichtbaren Substantiven wie State-of-the-Art, Streitkultur, Denkanstoß.

Wenn wir noch ein stimmiges Rahmenmotto setzen, denkt sich Hannes, wird die Stimmung heute Nachmittag diejenige des Jubiläumsevents toppen. Hannes denkt nach. «“Fit-for-future“, das klingt gut. Abgekürzt mit ‚fi-fo-fu‘ wirkt es weltoffen mit passendem Asia-Touch. Als Häppchen schweben Hannes ‚fi-fo-fu‘-Spieße vor, die den Zusammenhalt der Mitarbeitenden nicht nur fördern, sondern auch symbolisieren. Wir kämpfen alle am gleichen Spieß, dachte er, stolz darauf, eine Redewendung gefunden zu haben. Mit diesen stand er nämlich normalerweise auf Kriegsfuß. Wir schlagen punktgenau zu, dass es den anderen schmerzt und die fettesten Stücke hängen bleiben. Hannes ist überzeugt, dass er einen rhetorischen Joke landet. Mit Fisch für ‚fi‘, Fohlen für ‚fo‘ und Fuchs für ‚fu‘ findet er nicht nur die passenden Fleisch-Ingredienzen zu dieser kulinarisch-psychologischen Metapher, sondern auch den Symbolgehalt für die Neuausrichtung: Fisch für Anpassung, Fohlen für dynamisch, energievoll und schnell, Fuchs für schlau. Hannes ist mit sich zufrieden.

Auf dem Bildschirm steht nun: „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich freue mich, Sie über unsere neue nachhaltige Strategie für mehr ergebnisorientierte Kundennähe zu orientieren. Wir haben die einmalige Chance, uns mit einer stufengerechten Neuausrichtung im schlanken und optimierten Markt zu positionieren. Wir passen uns dem technologisch-demagogischen Wandel an und sind in der Globalisierung ein aktiver Player. Dabei fokussieren wir vermehrt auf unsere Stärken und die zentralen Kerngeschäfte und schaffen mit dieser State-of-die Art eine win-win-Streitkultur, die uns eine Kultur der permanenten Denkanstösse verschafft. Deshalb freut es mich, Sie getreu unserem neuen Motto „Fi-Fo-Fu“ (fit-for-Future) zu Fisch-Fohlen und Fuchs-Spießen einzuladen“.

Hannes schaut auf die Uhr – die Orientierung geht bald los und er muss noch den Fisch bestellen. Hoffentlich bekommt der auch allen.

Fazit


Rhetorik in der Führung muss in erster Linie glaubwürdig sein. Damit sie das kann, ist es matchentscheidend, die Dinge beim Namen zu nennen und gleichzeitig auch das Gefühl zu geben, dass Emotionen ernst genommen werden.

Grundsätzlich ist es richtig, mit positiver Wortwahl zu reden. Aber wenn es regnet, soll ,,Regen’’ beim Namen genannt und nicht beschönigend mit ,,erlösendes Nass zur Rettung der Natur’’ umschrieben werden. Da sind Mitarbeitende heute kritischer und zu schlau, darauf rein zu fallen. Aussagen wie ,,ich muss eine Reorganisation nur gut verkaufen, dann findet man das gut’’ funktioniert nicht (mehr). ,,Gut verkaufen’’ heißt nicht mehr, tolle Worte und Bilder zu nutzen, sondern den Sinn zu erklären und auch Emotionen der Mitarbeitenden zu zulassen. Gepaart mit einer persönlichen Botschaft, Bitte und/oder einem Wunsch des CEO’s, dann ist der Mix zusammen, der eine gute Rede gerade über Reorganisationen auszeichnet.

Meine Tipps


- Führung muss gerade in der Rhetorik glaubwürdig sein
- klar heißt, nicht um den heißen Brei reden, sondern konstruktive Worte benutzen
- ,,gut verkaufen’’ heißt nicht, schönfärberisch zu reden, sondern die Emotionen der Zuhörenden ansprechen
- eine persönliche Bitte oder ein Wunsch ist zehn Mal mehr wert als ein Querverweis auf einen geschliffenen Leitbildsatz
- Rhetorik in der Führung heißt aber auch: selbst hinstehen, auch wenn es unangenehm ist oder man selbst vielleicht nicht der gewiefteste Redner ist.