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Eine Sport-Marke aufbauen, wie geht das?

Die Eisbären Berlin zeigen wie man im Kampf um Zuschauer punktet. Best-Practice Fallbeispiel. Erschienen im November 2009 im Kommunikationsmanager.
Anna Hansen | 12.04.2010
Berlin ist Hauptstadt, internationale Kulturmetropole und Deutschlands Sportstadt Nummer eins. Das Freizeitangebot ist riesig. Für Vereine wie Hertha BSC und Union (Fußball), Alba (Basketball), die Eisbären Berlin (Eishockey) und Füchse (Handball) ist der Wettbewerb um die Gunst der Zuschauer und Sponsoren härter, als in jeder anderen deutschen Stadt.

Wie man im Kampf um Zuschauer trotzdem erfolgreich punktet und ausverkaufte Hallen zum Toben bringt, zeigt das Beispiel der Eisbären Berlin. Der Eishockeyverein hat seine Besucherzahlen verdreifacht. 2008/2009 sahen im Schnitt 13.800 Menschen die Heimspiele. Die Eisbären Berlin zählen damit – als einziger Nicht-Fußball-Klub – zu den 30 am besten besuchten Sportvereinen Deutschlands.

Ausgangssituation: Vom Ost-Kultklub zum Spitzenteam der Deutschen Eishockey Liga

Dass sich der ehemalige DDR-Verein nach der Wende auf höchster Ebene etablieren konnte, verdankt er dem US-Unternehmer Philip F. Anschutz. 1999 übernahm dessen Anschutz Entertainment Group die Eisbären Berlin und läutete eine neue Ära ein: Die wirtschaftliche Stabilität ermöglichte den Aufbau professioneller Strukturen und eröffnete sportlich neue Spielräume. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich der ehemalige Ost-Kultklub zum Spitzenteam der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Die Eisbären gelten als Trendsetter für offensives und attraktives Eishockey. Vier Mal holte sich das technisch versierte Team seit 2005 den Titel „Deutscher Eishockeymeister“.

„Ohne die großen sportlichen Erfolge der Mannschaft wären wir nicht da, wo wir heute sind. Aber unsere hohe Bekanntheit und die dauerhafte Steigerung der Zuschauerzahlen sind auch auf den Umzug in die O2 World und unsere systematische Kommunikations- und Marketingarbeit zurückzuführen,“ stellt Billy Flynn, Geschäftsführer der Eisbären Berlin, fest.

Das finanzielle Engagement bei den Eisbären Berlin war für den Eishockey-Fan und Milliardär Philip F. Anschutz von Beginn an mit der Vision von einer eigenen Multifunktionsarena in der Hauptstadt verknüpft. In ihr sollten neben Konzerten vor allem Sportereignisse stattfinden. Dass Eishockeyspiele spannende Sport-Events sind, die große Hallen füllen können, hatten Vereine wie die Kölner Haie und die Düsseldorfer Eislaufgemeinschaft bereits bewiesen. Aber als im März 2002 die Anschutz Entertainment Group das Grundstück für den Bau der O2 World kaufte, waren die Eisbären noch weit davon entfernt, als Publikumsmagnet zu gelten. In dieser Zeit galten sie noch als Ex-Spitzenklub der DDR. Im selten ausverkauften „Wellblechpalast“ (4.695 Plätze) jubelten die Fans: „Ost – Ost – Ost-Berlin!“ Wie sollten dieser Verein 14.200 Plätze in der künftigen Spielstätte füllen? „Das klappt doch nie, da kommen ja nicht mal mehr die 5.000 echten Fans,“ unkte die Berliner Schnauze.

Bis zur Fertigstellung der neuen Spielstätte blieben dem DEL-Verein sechs Jahre Zeit. 2002 suchte sich das Management professionelle Unterstützung bei der Vermarktung. „Wer als Sportveranstalter in Berlin Erfolg haben will, braucht einen Partner, der die Besonderheiten des Sportmarketings beherrscht, sich aber auch in der Stadt gut auskennt und das Wesen des Berliner Fans versteht,“ sagt Lothar Radü, der Marketingmanager der Eisbären Berlin, „darum fiel die Entscheidung auf Brandt & de Gelmini, die heute Heymann Brandt de Gelmini heißen. Gemeinsam haben wir in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich daran gearbeitet, die Eisbären zu einer gesamtberliner Marke zu machen.“

Zu Beginn der Zusammenarbeit im Jahr 2003 legten Agentur und Verein zunächst die Kommunikations- und Marketingstrategie bis zum Umzug 2008 in die O2 World fest.

Folgende strategische Ziele sollten in drei aufeinander aufbauenden Phasen erreicht werden:
1. Behutsame Neupositionierung – bis Ende der Saison 2005/2006
2. Erhöhnung der Zuschauerzahlen im Wellblechpalast – bis Ende der Saison 2007/2008
3. Umzug in die O2 World und Verdreifachung der Zuschauerzahl – bis Ende der Saison 2008/2009

Behutsame Neupositionierung

Anfang 2003 zählten die Eisbären-Fans zu den treuesten, aber auch ältesten Fans im Vergleich zu den Basketball- oder Fußballanhängern der Stadt. Zu einer der wichtigsten Aufgaben zählte daher die Verjüngung des Publikums. Mit ihr einher ging die behutsame Neupositionierung. Aus Sicht des Geschäftsführers der Werbeagentur Michael de Gelmini bestand die Herausforderung dabei darin, die Traditionsmarke „Eisbären Berlin“ nicht zu beschädigen: „Vereine sind Marken. Ihren Kern bilden die Geschichte, das Team, die Spieler und die Fans, ohne die kein Verein überlebt. Bei einer Neupositionierung dürfen die alten Fans nie das Gefühl bekommen, dass ihr Verein seine Wurzeln preisgibt. Man muss die emotionale Bindung ernst nehmen und auf Augenhöhe mit den Fans kommunizieren.“

Die Faszination des schellen Mannschaftsports setzten die Kreativen in eine kämpferisch-emotionale Text- und Bildsprache um. Mit dem neuen Claim: „Eisbären Berlin – die Welt ist eine Scheibe“ brachten sie das Lebensgefühl der Fans – irgendwo zwischen Verklärtheit und Größenwahn – auf den Punkt. Mit verschiedenen abwechslungsreichen Kampagnen, setzte die Agentur nach und nach an die Stelle der Ostidentität ein Selbstverständnis, das heute von Attributen wie Modernität, Unterhaltung und Dynamik geprägt ist.

Da der verhältnismäßig geringe Mediaetat es kaum möglich machte, ein „Power-Play“ auf Berlins Plakatwänden zu veranstalten, gestaltete Brandt & de Gelmini immer wieder sehr kreative, auffällige Motive. Mit ihren Werbeaktionen erreichten die Eisbären so ein deutlich jüngeres Publikum, aber auch die Berliner Medien. Immer wieder widmeten die Zeitungen den Eisbären-Kampagnen redaktionelle Artikel und sorgten mit teilweise großflächigen Abbildungen für zusätzliche Aufmerksamkeit.

Möglich wurde dieses Medieninteresse durch die weiteren Erfolge der Mannschaft auf dem Eis. Lange Zeit galt Eishockey als Randsportart. Das änderte sich, als die Mannschaft 2005 das erste Mal Deutscher Meister wurde. Daniel Goldstein, Pressesprecher der Eisbären Berlin: „Mit der wachsenden Zahl unserer Siege und Titel, erweiterte sich der Raum für die Berichterstattung. Die Journalisten schrieben von da an nicht nur häufiger, sondern auch ausführlicher über uns. In vielen Artikeln thematisierten sie darüber hinaus die Atmosphäre in der Halle, das einmalige Live-Erlebnis, die Dynamik des Spiels... Damit förderten sie unbewusst die angestrebte Neupositionierung.“ Seine Aufgabe war es in dieser Phase u.a., das Interesse der „West“-Medien sowie der wachsenden Internetgemeinde auf die Eisbären zu lenken.

Erhöhnung der Zuschauerzahlen im Wellblechpalast

Das Medieninteresse verstärkte sich mit Baubeginn der O2 World im März 2006. Solange am Ostbahnhof nur langsam arbeitende Bagger zu sehen waren, lieferten die über das Eis flitzenden Eishockeyspieler und ihre jubelnde Fans attraktive Bilder zum Thema. Die Eisbären waren zu diesem Zeitpunkt der einzige bekannte künftige Top-Act für die mit Spannung erwartete und gleichzeitig umstrittene Multifunktionsarena. Wer bis dahin noch kein Spiel gesehen hatte, machte sich auf den Weg in den Ost-Berliner Bezirk Hohenschönhausen, um den Ostalgie-Klub auf seine Tauglichkeit für ein breites Berliner Publikum zu überprüfen.

Mit verschiedenen Maßnahmen warb der Club nun auch gezielt außerhalb seines Stammbezirks. Wer in Kreuzberger Lokalen beispielsweise die Toilette aufsuchte, konnte auf Sprüche stoßen wie: „Bessere Stehplätze gibt es bei den Eisbären“ oder „Steh auf, wenn Du ein Eisbär bist!“

Das Bedürfnis die legendäre Atmosphäre im „Welli“ selbst mitzuerleben, teilten viele Neugierige mit einer wachsenden Fangemeinde. Angesichts des nahenden Umzugs war der Wellblechpalast in der Saison 2007/2008 überwiegend ausverkauft. Auch sportlich endete die letzte Saison in der alten Spielstätte mit zwei Höhepunkten, dem Gewinn der dritten deutschen Meisterschaft und dem ersten Pokal-Sieg.

Umzug in die O2 World und Verdreifachung der Zuschauerzahl

Zum Start der neuen Saison zogen die Eisbären Berlin im September 2008 in ihr neues Domizil. Um auch hier vor ausverkauften Rängen zu spielen, mussten sie die Zuschauerzahl verdreifachen. „Unsere These war: Die meisten Berliner werden einen Anfahrtsweg akzeptieren, der nicht länger als 30-Minuten ist. Auf diesen Umkreis konzentrierten wir unsere Anstrengungen,“ beschreibt Michael de Gelmini die Überlegungen der Werbeagentur. Insgesamt 1,5 Millionen Menschen wohnen in dem auf diese Weise abgesteckten Gebiet.

Bereits im März 2008 startete die Umzugskampagne mit ersten Plakaten. Unter dem Motto „Eishockey wie noch nie“ wurde außerdem eine Website online gestellt, auf der Sportfans Tickets gewinnen konnten. Promotet durch Außenwerbung und virale Spots verzeichnete die Seite schnell hohe Zugriffsraten (125.000 im ersten Monat) und tausende User bekundeten Interesse an regelmäßigen Informationen. „Direktmarketing ist eines unserer stärksten Instrumente. E-Mails und Newsletter sowie Briefe fördern den Ticket-Verkauf unmittelbar. Neue Adressen sind daher aus Marketingsicht ungeheuer wichtig. Sie sind aber auch ein Vertrauensvorschuss, mit dem wir sehr behutsam umgehen,“ erklärt der Marketingmanager Lothar Radü. Bis zum ersten Bully im Eröffnungsspiel verschickten die Eisbären 40.000 Anschreiben an Sponsoren, Freunde und Interessenten.

Zum Saisonstart im September kamen noch Anzeigen-, Hörfunk- und Verkehrsmittelwerbung und Online-Banner hinzu. Ein Motiv mit Comedy-Star Oliver Pocher und PR rundete die Maßnahmen im November ab. Den Kartenverkauf kurbelte das Management außerdem mit einer umfangreichen Kooperation mit Lidl an: Über 30.000 Tickets verkaufte man mit Hilfe des Discounters vor allem in den ehemaligen West-Bezirken.

„Alles richtig gemacht!“ konnten sich Spieler, Trainer, Management und Agentur am Ende der Saison 2008/2009 gegenseitig bescheinigen: Die Mannschaft brachte den vierten Meistertitel innerhalb von fünf Jahren nach Hause und das Kommunikations-Team gewann für seine Leistung den „M Berliner Marketing Award“: Über 20 Mal war die O2 World bis auf den letzten Platz besetzt. Fast eine halbe Million Menschen sahen insgesamt die Eishockeyspiele in der neuen Heimspielstätte. Der Zuschauerschnitt verdreifachte sich und betrug 13.746. Dieser Erfolg ist umso bemerkenswerter, als die meisten DEL-Vereine in den letzten Jahren eher Zuschauer verloren haben.

Ein weiterer Erfolg: Die Eisbären haben sich eine neue Heimat in der Großarena geschaffen. Das Publikum kommt jetzt aus West und Ost. Und statt „Dynamo“, wie der Club zu DDR-Zeiten hieß, ertönt in der Halle am Ostbahnhof jetzt der gemeinsame Schlachtruf: „Berlin, Berlin, Eisbären Berlin.“

Ihren Widerhall finden die deutsch-deutschen Schlachtgesänge sogar in Amerika. Anlässlich der Berichterstattung zum 20. Jahrestag des Mauerfalls schrieb die New York Times: „Ice Hockey Helps Raze Berlin Wall in the Mind“. Ob das Märchen vom ehemaligen DDR-Club, der an der Nahtstelle zwischen Ost und West die Mauer in den Köpfen einreißt, wahr wird? „Das hängt vor allem davon ab, ob es uns gelingt aus sporadischen Zuschauer treue Eisbären-Fans zu machen,“ sagt Manager Billy Flynn. Die Saison 2009/2010 jedenfalls hat gut begonnen. Und wenn die zu Eisbären mutierten Fans der neuesten Kampagne nicht gestorben sind, dann singen sie bestimmt auch morgen wieder: „Hey, wir wollen die Eisbären sehen!“