Brand & User Experience-Design: Aus Liebe zur Marke
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Online-Marketing Band 2:
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Kann man sich in eine Marke verlieben? Vielleicht nicht auf den ersten Blick. Aber je öfter wir einer Marke begegnen, umso wahrscheinlicher ist es, dass wir eine tiefere Beziehung zu ihr aufbauen. Denken wir an einen ganz normalen Flug von Frankfurt nach Hamburg. Schon auf der Fahrt zum Flughafen sehen wir ein LED-Billboard mit den aktuellen Angeboten der Lufthansa. Das Smartphone vibriert, eine spezielle App informiert uns über das verlegte Gate, gibt Tipps fürs Parken, empfiehlt ein neues Restaurant in der HafenCity. Am Check-in lächelt uns eine junge Dame im LH-Outfit an. In der Lounge blättern wir im Frequent Flyer Magazine. Auf dem Weg zum Gate erhaschen wir einen Blick auf den Airbus, das Logo strahlt im Morgenlicht.
All das sind kleine Erlebnisse rund um die Marke Lufthansa. Was geht dabei in uns vor? Im Extremfall die ganze Bandbreite an Emotionen: Freude, Zuneigung, Skepsis, manchmal auch Ärger. Betrachten wir alle Erlebnisse im Zusammenhang, spricht man vom Markenerlebnis, der Brand Experience. Ein fast schon klassischer Begriff, der jedoch im Zeitalter der Digitalisierung neue Brisanz erfährt. Schließlich hat sich die Zahl der möglichen Kontaktpunkte einer Marke mit dem Verbraucher durch die digitalen Medien vervielfacht. Mehr Begegnungen, mehr Erlebnisse denn je sind möglich! Das bedeutet nicht nur viele neue Dialogchancen, sondern auch neue Herausforderungen für die Markenkommunikation.
Digitalisierung ändert alles
Die Spielregeln der Kommunikation haben sich geändert, der Kunde hat sich emanzipiert. Um erfolgreich zu bleiben, sollten Marken viel kreativer vorgehen als sie dies bislang getan haben. In einer Welt, in der Online und Offline zusammen wächst, stellen sie die Bedürfnisse des Verbrauchers in den Mittelpunkt, durch ein neues Verständnis der User Experience. Dadurch wandelt sich auch ihr Selbstverständnis. Als Gesamtstrategie für den Umgang mit diesen Herausforderungen bietet sich Brand & User Experience-Design an. Was diese spannende Disziplin ausmacht und was sie für Marken bewegen kann, beleuchten wir im Folgenden.
Der User wird zum Customer
Die User Experience spielt in der digitalen Kommunikation seit langem eine zentrale Rolle. Durch die Konzentration auf das Nutzungserlebnis von Websites und Anwendungen wurde bisher sehr im digitalen Silo gedacht. Eine vernetzte Erlebniskommunikation kann den Nutzer jedoch auf vielfache Weise erreichen.
Wenn man das Markenerlebnis als Summe aller Erlebnisse betrachtet, die ein User mit einer Marke hat, müsste die User Experience alle Touchpoints berücksichtigen, egal ob online oder offline. Reicht dafür die Fokussierung auf den Internetnutzer, der mit seiner Maus vorm Bildschirm sitzt? Sicherlich nicht. Weil wir Marken mit allen Sinnen an vielen Orten erleben, wollen wir den Begriff der User Experience viel weiter fassen.
Ein neuer Umgang mit dem Verbraucher
Auch die Brand Experience, ein zweiter zentraler Begriff in der Markenkommunikation, ist heutzutage ungleich vielschichtiger und anspruchsvoller zu betrachten. Diese Markenwahrnehmung stellt das Bild dar, das sich „in den Köpfen“ gebildet hat. Lange Zeit verließen sich Marken überwiegend auf klassische Einweg-Medien, wenn es um die Gestaltung der Brand Experience ging. Heerscharen von Werbern waren damit beschäftigt, Bedürfnisse zu wecken und so genannte „Imagewelten” zu erzeugen. In der Multichannnel-Realtime-Always-On-Welt von heute stößt dieses Verständnis von Markenwerbung an ihre Grenzen. Ein „Weiter so” wäre naiv und geradezu verhängnisvoll.
Digitale Emanzipation des Kunden
Was hat die Digitalisierung denn nun verändert? Warum müssen Marken ganz anders mit ihren Kunden und anderen Stakeholdern kommunizieren? Neben der digitalen Fragmentierung der Touchpoints, ist hierbei eine enorme Triebkraft die Emanzipation des Konsumenten durch das Internet. Zwei Beispiele:
Früher ließ man sich im Fachgeschäft beraten und vertraute dem Verkäufer, vielleicht mit etwas Bauchgrimmen. Der moderne kritische Verbraucher hingegen vergleicht die Preise im Web, googelt nach Erfahrungen von Käufern, bevor er dann online bestellt oder im Laden mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis kauft. Früher drohten bei Beschwerden über schlechten Service höchstens böse Kundenbriefe oder ein kritischer Zeitungsartikel. Heute kann dank der sozialen Netzwerke rasch eine Welle aus Schmähungen, negativen Kommentaren und Spott auf eine Marke hineinbrechen, der so genannte Shitstorm. Facebook, Twitter & Co. beschleunigen und verstärken den kaum kontrollierbaren Austausch von Meinungen ungemein.
Modernen Marken wird bewusst, dass die Kunden von heute eigensinnig sind und schwerer berechenbar. Sie wollen für voll genommen werden und betrachten Markenwerbung und Serviceversprechen so kritisch wie nie zuvor.
Mehr erreichen dank Customer Experience
Wenn uns die Begriffe User Experience und Brand Experience nur bedingt hilfreich erscheinen, sollten wir zu einem neuen Begriff greifen, der besser verdeutlicht, um was es geht: die Customer Experience. Sie umfasst das gesamte Markenerlebnis und vereint Marke, Werbung, Service, Vertrieb, Produkte und mehr – Dinge also, die wir bislang nur allzu gern getrennt betrachtet und bewertet haben. Obwohl wir ja wissen, dass „Otto Normalverbraucher“ Marken seit eh und je ganzheitlich erlebt und nicht so fein differenziert, wie Marketingmenschen sich das wünschen. Entweder man mag eine Marke oder nicht.
Chancen der digitalen Kommunikation
Zum Glück schafft die Digitalisierung nicht nur neue Herausforderungen, sondern stellt auch viele neue spannende Ansätze bereit, die Customer Experience zu gestalten:
Direkte Interaktion mit dem Kunden verbessert den Dialog, bringt frische Erkenntnisse für die Markenführung.
Kreative digitale Lösungen ermöglichen neue Kontaktpunkte, aufregendere Erlebnisse und die Chance auf freiwilliges Involvement.
Kollaborative Modelle beziehen den Verbraucher zum Beispiel in die Produktentwicklung mit ein und erzeugen dadurch eine völlig neue Form der Absicherung von Marktentscheidungen [1].
Transaktionen finden ohne Medienbruch statt, der Weg von der Kommunikation zum Vertrieb wird schneller und flüssiger, der Nutzwert steigt.
Die Customer Experience legt den Fokus konsequent auf den Verbraucher. Das hat Folgen für das Selbstverständnis der Marke und die Weise, wie sie ihre Kommunikation gestalten sollte.
Marken erfinden sich neu
Die Marke wird zum Lebensbegleiter, sie erfüllt die Bedürfnisse der Menschen, statt ständig neue zu wecken. Die Bedürfnisse werden durch Services erfüllt, die nützlich sind und Spaß machen. Service-Design als fachliche Disziplin bringt Marken hierbei voran. Service meint hier nicht länger nur den Vorgang, der dem Kauf nachgelagert ist. Sondern das ganzheitliche Erlebnis mit einer Marke über alle Kontaktpunkte hinweg, unabhängig davon, ob man schon Kunde ist oder noch nicht. Auch ein Produkt, eine Werbemaßnahme oder einen Event verstehen wir demnach als Service. Service-Design ist die Fähigkeit, für den Kunden hoch integrierte, einfach zu bedienende Services zu entwickeln, die interessant, nützlich und unterhaltsam sind.
Serviceprozesse laufen für den Verbraucher in der Regel unsichtbar ab. Wir werfen einen Brief in den Postkasten, wir steigen in den Zug, wir kaufen ein T-Shirt im Laden. Jedes Mal verbirgt sich dahinter ein komplexer Prozess, der für uns kaum transparent ist. Meist denken wir erst genauer nach, wenn wir mit einem Ergebnis unzufrieden sind. Der ICE ist verspätet oder ein Paket geht verloren. Dann wird uns bewusst, dass es sich überhaupt um Prozesse, also die systematische Verkettung einzelner Ereignisse, handelt.
Analog und digital werden eins
Digitale Services sind prinzipbedingt besonders anspruchsvoll. Oft handelt es sich um brandneue Entwicklungen, die noch nicht endlose Verbesserungsschleifen durchlaufen konnten. Sie sind meist komplexer, weil viele Aufgaben auf den Nutzer verlagert werden und dieser somit mehr Verantwortung trägt und aktiver Teil der Inszenierung wird. Man denke nur an die Schritte beim Einkauf in einem Onlineshop. Artikel auswählen, Adresse und Zahlungsdaten eingeben, Versandoptionen wählen et cetera oder an die Entscheidungen des Nutzers bei der Steuerung eines interaktiven Films.
Zudem wachsen digitale und analoge Services mehr und mehr zusammen. In unserem Alltag erleben wir dies täglich. Zum Beispiel wenn wir eine Pizza online zusammenstellen und dann beim Italiener um die Ecke abholen. Oder wesentlich komplexer bei einer Flugreise, mit Onlinebuchung, Gepäcktransport, Hotelaufenthalt, Kreditkartenabrechnung und mehr. Auch wenn in beiden Fällen mehrere Services ineinander greifen, in unserer Wahrnehmung ist das alles jeweils ein Gesamterlebnis, das wir schlicht als Mittagessen oder Urlaub bezeichnen. Mit zunehmender Digitalisierung der Lebenswelt werden uns die Grenzen zwischen analog und digital, offline und online, bald kaum noch bewusst sein.
Erlebnisse gestalten über Grenzen hinweg
Es gibt eine junge Disziplin, die sich auf umfassende Weise mit der Gestaltung des Markenerlebnisses beschäftigt: das Experience-Design. Dieses zielt darauf, eine möglichst wertvolle Customer Experience zu schaffen. Das gelingt nur, wenn man über reine Funktionalitäten hinaus denkt und das menschliche Erleben in seiner ganzen Fülle berücksichtigt. Deshalb stellt Experience-Design einen noch anspruchsvolleren Ansatz als das erwähnte Service-Design dar. Es will dabei helfen, dass die Marke eine echte Beziehung zum Menschen aufbaut.
Multidisziplinäres Denken
Beim Experience-Design wird in vielen Disziplinen gedacht. Produktdesign, Markenstrategie, Informationsarchitektur, Psychologie, Linguistik, Haptik, Storytelling, Dramaturgie und vieles mehr. Experience-Design ist multidisziplinär angelegt und erfordert nicht nur, dass im Unternehmen viele Spezialisten an einen Tisch kommen, sondern dass auch externe Experten involviert werden. Kommunikationsprofis, Informatiker, Netz-Spezialisten, Wissenschaftler, Künstler und andere arbeiten Hand in Hand. Produkte, Prozesse, Services, Events und Umgebungen werden von ihnen so gestaltet, dass die angestrebte Markenwahrnehmung erlebbar wird.
Definierte Markenwerte vermitteln
Die Konsistenz der Customer Experience ist extrem wichtig. Eine Marke, zu deren Wertekosmos Zuverlässigkeit oder Offenheit zählen, muss diese definierten Werte über alle Kontaktpunkte glaubhaft vermitteln. Sei es am Bankschalter, auf Facebook oder im TV-Spot.
Eine derart konsistente Kommunikation schafft ein nachhaltiges Markenerlebnis. Die Marke ist greifbar, glaubhaft, überzeugend – und mithin attraktiver als andere, schlechter kommunizierende Marken. Große Marken wie Apple, IKEA oder McDonald’s zeigen, wie es geht. Sie werden von ihren Kunden regelrecht geliebt und stehen als jeweilige Marktführer hervorragend da.
Praxisbeispiel: edding „Wall of Fame”
Die Traditionsmarke edding zeigt, wie man die Customer Experience mit digitalen Mitteln gestaltet. Auf der interaktiven Mitmachplattform „Wall of Fame” können sich wichtige Zielgruppen wie Werber, Designer, Illustratoren und Künstler spielerisch verewigen. Man nimmt in dieser Webanwendung einen von acht edding-Stiften „in die Hand” und hinterlässt dann auf der riesigen virtuellen Wall seine Zeichnung, während andere dabei zuschauen und kommentieren.
Schon kurze Zeit nach Eröffnung der „Wall of Fame” haben begeisterte Fans 75.000 Zeichnungen geschaffen, die Live-Zeichenfläche muss stetig erweitert werden. Häufig kommt es sogar zu Wartezeiten, weil gerade kein edding-Stift frei ist. edding hat den Nerv der Zielgruppe getroffen, mit einem erfüllenden Erlebnis, das Spaß macht, gerne an Freunde weitergeleitet wird und nachhaltig wirkt – denn jede Zeichnung bleibt hier auf ewig: www.wall-of-fame.com.
So meistern Marken die digitale Herausforderung
Brand Experience, Costumer Experience, Service-Design, Experience-Design – die wichtigsten Stichworte unserer kleinen Tour d’Horizon über Markenkommunikation und Digitalisierung [2]. Was können moderne Marken nun tun, um erfolgreich zu bleiben? Wie nutzen sie die Chancen der digitalisierten Multichannel-Welt am besten? Hier einige Empfehlungen an Markenmacher in Unternehmen und Agenturen:
Faszinierend bleiben. Denn einem interessanten Gesprächspartner hört man gerne zu. Eine Marke, die begeisternd auftritt, schafft viele positive Erlebnisse. So steigt die Beziehungsqualität. Digitale Medien erleichtern es, an vielen Kontaktpunkten ein relevantes und damit attraktives Angebot zu präsentieren.
Lebenspartner werden. Keine Bedürfnisse wecken, sondern erkennen, was der Kunde wünscht oder braucht, und dann überzeugende Angebote liefern. Darauf kommt es heute an. Die Customer Experience stellt den Kunden in den Mittelpunkt, nicht die Marke, und schon gar nicht das Marketing!
Empathie zeigen. Wer auf Teufel komm raus verkaufen will, trifft in den sozialen Netzwerken des Internets schnell auf taube Ohren. Marken weiterzuempfehlen beruht auf Freiwilligkeit. Daher ist nichts Gewinn versprechender als positive Erlebnisse mit der Marke, von denen die Menschen reden.
Multidisziplinär denken und handeln. Um ein ganzheitliches Markenerlebnis zu erzeugen, sollte man ganzheitlich vorgehen. Das heißt, dass über Abteilungs- und Unternehmensgrenzen hinweg in Teams gearbeitet wird, die aus Spezialisten verschiedener Disziplinen bestehen. Fähigkeiten für neue Formen der Zusammenarbeit sind also gefragt.
Digitale Kompetenz ausbauen. Vernetzung und übergreifende Zusammenarbeit fußen auf technologischen Prozessen. Ein fundiertes Verständnis der digitalen Technologien muss daher vorhanden sein, um in Zeiten der Digitalisierung effektiv zu kommunizieren.
Chancen ausschöpfen. Multiple Touchpoints, neue kreative Lösungen für Interaktion mit dem Kunden. So viele Möglichkeiten für spannende Markenkommunikation gab es noch nie.
Auf richtige Strategie setzen. Brand & User Experience-Design ist eine noch junge Disziplin, die bewährte Ansätze nutzt. Das multidisziplinäre Vorgehen erfordert ein hohes Maß an Ausdauer, Teamgeist und Leidenschaft. Neue Dienstleister, die Marken bei der Gestaltung eines umfassenden Markenerlebnisses beraten, stehen bereit. Es ist höchste Zeit für neues Denken und Handeln in der Markenführung.
Checkliste für Markenmacher
Sind die Werte Ihrer Marke eindeutig definiert und klar kommunizierbar?
Engagieren Sie sich in sozialen Netzwerken und berücksichtigen Sie Lerneffekte?
Werden alle analogen und digitalen Touchpoints zum Verbraucher und anderen Stakeholdern systematisch erfasst und proaktiv gemanaged?
Wird über alle Kontaktpunkte hinweg betrachtet ein ganzheitliches Markenerlebnis angestrebt und hat jeder Beteiligte die Markenwerte verinnerlicht, die erlebbar gemacht werden sollen?
Arbeiten Sie bereits abteilungs- und disziplinübergreifend zusammen, um die Customer Experience zu gestalten?
Literatur
[1] Fallbeispiele für kooperatives Marketing von Starbucks, Tchibo, simyo und anderen Marken liefert eine Studie des BDVW: Kooperatives Marketing. Erfolgreich mit Kunden zusammenarbeiten. Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V., ISBN-Nummer: 978-3-942262-11-8.
[2] Ein umfassendes Werk zu den Themen Service Design und Customer Experience, mit vielen Praxisbeispielen und Tipps für die Umsetzung: Lockwood, Thomas: Design Thinking: Integrating Innovation, Customer Experience and Brand Value. – 256 S., Allworth Press, 3. Aufl., 2009.
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Kann man sich in eine Marke verlieben? Vielleicht nicht auf den ersten Blick. Aber je öfter wir einer Marke begegnen, umso wahrscheinlicher ist es, dass wir eine tiefere Beziehung zu ihr aufbauen. Denken wir an einen ganz normalen Flug von Frankfurt nach Hamburg. Schon auf der Fahrt zum Flughafen sehen wir ein LED-Billboard mit den aktuellen Angeboten der Lufthansa. Das Smartphone vibriert, eine spezielle App informiert uns über das verlegte Gate, gibt Tipps fürs Parken, empfiehlt ein neues Restaurant in der HafenCity. Am Check-in lächelt uns eine junge Dame im LH-Outfit an. In der Lounge blättern wir im Frequent Flyer Magazine. Auf dem Weg zum Gate erhaschen wir einen Blick auf den Airbus, das Logo strahlt im Morgenlicht.
All das sind kleine Erlebnisse rund um die Marke Lufthansa. Was geht dabei in uns vor? Im Extremfall die ganze Bandbreite an Emotionen: Freude, Zuneigung, Skepsis, manchmal auch Ärger. Betrachten wir alle Erlebnisse im Zusammenhang, spricht man vom Markenerlebnis, der Brand Experience. Ein fast schon klassischer Begriff, der jedoch im Zeitalter der Digitalisierung neue Brisanz erfährt. Schließlich hat sich die Zahl der möglichen Kontaktpunkte einer Marke mit dem Verbraucher durch die digitalen Medien vervielfacht. Mehr Begegnungen, mehr Erlebnisse denn je sind möglich! Das bedeutet nicht nur viele neue Dialogchancen, sondern auch neue Herausforderungen für die Markenkommunikation.
Digitalisierung ändert alles
Die Spielregeln der Kommunikation haben sich geändert, der Kunde hat sich emanzipiert. Um erfolgreich zu bleiben, sollten Marken viel kreativer vorgehen als sie dies bislang getan haben. In einer Welt, in der Online und Offline zusammen wächst, stellen sie die Bedürfnisse des Verbrauchers in den Mittelpunkt, durch ein neues Verständnis der User Experience. Dadurch wandelt sich auch ihr Selbstverständnis. Als Gesamtstrategie für den Umgang mit diesen Herausforderungen bietet sich Brand & User Experience-Design an. Was diese spannende Disziplin ausmacht und was sie für Marken bewegen kann, beleuchten wir im Folgenden.
Der User wird zum Customer
Die User Experience spielt in der digitalen Kommunikation seit langem eine zentrale Rolle. Durch die Konzentration auf das Nutzungserlebnis von Websites und Anwendungen wurde bisher sehr im digitalen Silo gedacht. Eine vernetzte Erlebniskommunikation kann den Nutzer jedoch auf vielfache Weise erreichen.
Wenn man das Markenerlebnis als Summe aller Erlebnisse betrachtet, die ein User mit einer Marke hat, müsste die User Experience alle Touchpoints berücksichtigen, egal ob online oder offline. Reicht dafür die Fokussierung auf den Internetnutzer, der mit seiner Maus vorm Bildschirm sitzt? Sicherlich nicht. Weil wir Marken mit allen Sinnen an vielen Orten erleben, wollen wir den Begriff der User Experience viel weiter fassen.
Ein neuer Umgang mit dem Verbraucher
Auch die Brand Experience, ein zweiter zentraler Begriff in der Markenkommunikation, ist heutzutage ungleich vielschichtiger und anspruchsvoller zu betrachten. Diese Markenwahrnehmung stellt das Bild dar, das sich „in den Köpfen“ gebildet hat. Lange Zeit verließen sich Marken überwiegend auf klassische Einweg-Medien, wenn es um die Gestaltung der Brand Experience ging. Heerscharen von Werbern waren damit beschäftigt, Bedürfnisse zu wecken und so genannte „Imagewelten” zu erzeugen. In der Multichannnel-Realtime-Always-On-Welt von heute stößt dieses Verständnis von Markenwerbung an ihre Grenzen. Ein „Weiter so” wäre naiv und geradezu verhängnisvoll.
Digitale Emanzipation des Kunden
Was hat die Digitalisierung denn nun verändert? Warum müssen Marken ganz anders mit ihren Kunden und anderen Stakeholdern kommunizieren? Neben der digitalen Fragmentierung der Touchpoints, ist hierbei eine enorme Triebkraft die Emanzipation des Konsumenten durch das Internet. Zwei Beispiele:
Früher ließ man sich im Fachgeschäft beraten und vertraute dem Verkäufer, vielleicht mit etwas Bauchgrimmen. Der moderne kritische Verbraucher hingegen vergleicht die Preise im Web, googelt nach Erfahrungen von Käufern, bevor er dann online bestellt oder im Laden mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis kauft. Früher drohten bei Beschwerden über schlechten Service höchstens böse Kundenbriefe oder ein kritischer Zeitungsartikel. Heute kann dank der sozialen Netzwerke rasch eine Welle aus Schmähungen, negativen Kommentaren und Spott auf eine Marke hineinbrechen, der so genannte Shitstorm. Facebook, Twitter & Co. beschleunigen und verstärken den kaum kontrollierbaren Austausch von Meinungen ungemein.
Modernen Marken wird bewusst, dass die Kunden von heute eigensinnig sind und schwerer berechenbar. Sie wollen für voll genommen werden und betrachten Markenwerbung und Serviceversprechen so kritisch wie nie zuvor.
Mehr erreichen dank Customer Experience
Wenn uns die Begriffe User Experience und Brand Experience nur bedingt hilfreich erscheinen, sollten wir zu einem neuen Begriff greifen, der besser verdeutlicht, um was es geht: die Customer Experience. Sie umfasst das gesamte Markenerlebnis und vereint Marke, Werbung, Service, Vertrieb, Produkte und mehr – Dinge also, die wir bislang nur allzu gern getrennt betrachtet und bewertet haben. Obwohl wir ja wissen, dass „Otto Normalverbraucher“ Marken seit eh und je ganzheitlich erlebt und nicht so fein differenziert, wie Marketingmenschen sich das wünschen. Entweder man mag eine Marke oder nicht.
Chancen der digitalen Kommunikation
Zum Glück schafft die Digitalisierung nicht nur neue Herausforderungen, sondern stellt auch viele neue spannende Ansätze bereit, die Customer Experience zu gestalten:
Direkte Interaktion mit dem Kunden verbessert den Dialog, bringt frische Erkenntnisse für die Markenführung.
Kreative digitale Lösungen ermöglichen neue Kontaktpunkte, aufregendere Erlebnisse und die Chance auf freiwilliges Involvement.
Kollaborative Modelle beziehen den Verbraucher zum Beispiel in die Produktentwicklung mit ein und erzeugen dadurch eine völlig neue Form der Absicherung von Marktentscheidungen [1].
Transaktionen finden ohne Medienbruch statt, der Weg von der Kommunikation zum Vertrieb wird schneller und flüssiger, der Nutzwert steigt.
Die Customer Experience legt den Fokus konsequent auf den Verbraucher. Das hat Folgen für das Selbstverständnis der Marke und die Weise, wie sie ihre Kommunikation gestalten sollte.
Marken erfinden sich neu
Die Marke wird zum Lebensbegleiter, sie erfüllt die Bedürfnisse der Menschen, statt ständig neue zu wecken. Die Bedürfnisse werden durch Services erfüllt, die nützlich sind und Spaß machen. Service-Design als fachliche Disziplin bringt Marken hierbei voran. Service meint hier nicht länger nur den Vorgang, der dem Kauf nachgelagert ist. Sondern das ganzheitliche Erlebnis mit einer Marke über alle Kontaktpunkte hinweg, unabhängig davon, ob man schon Kunde ist oder noch nicht. Auch ein Produkt, eine Werbemaßnahme oder einen Event verstehen wir demnach als Service. Service-Design ist die Fähigkeit, für den Kunden hoch integrierte, einfach zu bedienende Services zu entwickeln, die interessant, nützlich und unterhaltsam sind.
Serviceprozesse laufen für den Verbraucher in der Regel unsichtbar ab. Wir werfen einen Brief in den Postkasten, wir steigen in den Zug, wir kaufen ein T-Shirt im Laden. Jedes Mal verbirgt sich dahinter ein komplexer Prozess, der für uns kaum transparent ist. Meist denken wir erst genauer nach, wenn wir mit einem Ergebnis unzufrieden sind. Der ICE ist verspätet oder ein Paket geht verloren. Dann wird uns bewusst, dass es sich überhaupt um Prozesse, also die systematische Verkettung einzelner Ereignisse, handelt.
Analog und digital werden eins
Digitale Services sind prinzipbedingt besonders anspruchsvoll. Oft handelt es sich um brandneue Entwicklungen, die noch nicht endlose Verbesserungsschleifen durchlaufen konnten. Sie sind meist komplexer, weil viele Aufgaben auf den Nutzer verlagert werden und dieser somit mehr Verantwortung trägt und aktiver Teil der Inszenierung wird. Man denke nur an die Schritte beim Einkauf in einem Onlineshop. Artikel auswählen, Adresse und Zahlungsdaten eingeben, Versandoptionen wählen et cetera oder an die Entscheidungen des Nutzers bei der Steuerung eines interaktiven Films.
Zudem wachsen digitale und analoge Services mehr und mehr zusammen. In unserem Alltag erleben wir dies täglich. Zum Beispiel wenn wir eine Pizza online zusammenstellen und dann beim Italiener um die Ecke abholen. Oder wesentlich komplexer bei einer Flugreise, mit Onlinebuchung, Gepäcktransport, Hotelaufenthalt, Kreditkartenabrechnung und mehr. Auch wenn in beiden Fällen mehrere Services ineinander greifen, in unserer Wahrnehmung ist das alles jeweils ein Gesamterlebnis, das wir schlicht als Mittagessen oder Urlaub bezeichnen. Mit zunehmender Digitalisierung der Lebenswelt werden uns die Grenzen zwischen analog und digital, offline und online, bald kaum noch bewusst sein.
Erlebnisse gestalten über Grenzen hinweg
Es gibt eine junge Disziplin, die sich auf umfassende Weise mit der Gestaltung des Markenerlebnisses beschäftigt: das Experience-Design. Dieses zielt darauf, eine möglichst wertvolle Customer Experience zu schaffen. Das gelingt nur, wenn man über reine Funktionalitäten hinaus denkt und das menschliche Erleben in seiner ganzen Fülle berücksichtigt. Deshalb stellt Experience-Design einen noch anspruchsvolleren Ansatz als das erwähnte Service-Design dar. Es will dabei helfen, dass die Marke eine echte Beziehung zum Menschen aufbaut.
Multidisziplinäres Denken
Beim Experience-Design wird in vielen Disziplinen gedacht. Produktdesign, Markenstrategie, Informationsarchitektur, Psychologie, Linguistik, Haptik, Storytelling, Dramaturgie und vieles mehr. Experience-Design ist multidisziplinär angelegt und erfordert nicht nur, dass im Unternehmen viele Spezialisten an einen Tisch kommen, sondern dass auch externe Experten involviert werden. Kommunikationsprofis, Informatiker, Netz-Spezialisten, Wissenschaftler, Künstler und andere arbeiten Hand in Hand. Produkte, Prozesse, Services, Events und Umgebungen werden von ihnen so gestaltet, dass die angestrebte Markenwahrnehmung erlebbar wird.
Definierte Markenwerte vermitteln
Die Konsistenz der Customer Experience ist extrem wichtig. Eine Marke, zu deren Wertekosmos Zuverlässigkeit oder Offenheit zählen, muss diese definierten Werte über alle Kontaktpunkte glaubhaft vermitteln. Sei es am Bankschalter, auf Facebook oder im TV-Spot.
Eine derart konsistente Kommunikation schafft ein nachhaltiges Markenerlebnis. Die Marke ist greifbar, glaubhaft, überzeugend – und mithin attraktiver als andere, schlechter kommunizierende Marken. Große Marken wie Apple, IKEA oder McDonald’s zeigen, wie es geht. Sie werden von ihren Kunden regelrecht geliebt und stehen als jeweilige Marktführer hervorragend da.
Praxisbeispiel: edding „Wall of Fame”
Die Traditionsmarke edding zeigt, wie man die Customer Experience mit digitalen Mitteln gestaltet. Auf der interaktiven Mitmachplattform „Wall of Fame” können sich wichtige Zielgruppen wie Werber, Designer, Illustratoren und Künstler spielerisch verewigen. Man nimmt in dieser Webanwendung einen von acht edding-Stiften „in die Hand” und hinterlässt dann auf der riesigen virtuellen Wall seine Zeichnung, während andere dabei zuschauen und kommentieren.
Schon kurze Zeit nach Eröffnung der „Wall of Fame” haben begeisterte Fans 75.000 Zeichnungen geschaffen, die Live-Zeichenfläche muss stetig erweitert werden. Häufig kommt es sogar zu Wartezeiten, weil gerade kein edding-Stift frei ist. edding hat den Nerv der Zielgruppe getroffen, mit einem erfüllenden Erlebnis, das Spaß macht, gerne an Freunde weitergeleitet wird und nachhaltig wirkt – denn jede Zeichnung bleibt hier auf ewig: www.wall-of-fame.com.
So meistern Marken die digitale Herausforderung
Brand Experience, Costumer Experience, Service-Design, Experience-Design – die wichtigsten Stichworte unserer kleinen Tour d’Horizon über Markenkommunikation und Digitalisierung [2]. Was können moderne Marken nun tun, um erfolgreich zu bleiben? Wie nutzen sie die Chancen der digitalisierten Multichannel-Welt am besten? Hier einige Empfehlungen an Markenmacher in Unternehmen und Agenturen:
Faszinierend bleiben. Denn einem interessanten Gesprächspartner hört man gerne zu. Eine Marke, die begeisternd auftritt, schafft viele positive Erlebnisse. So steigt die Beziehungsqualität. Digitale Medien erleichtern es, an vielen Kontaktpunkten ein relevantes und damit attraktives Angebot zu präsentieren.
Lebenspartner werden. Keine Bedürfnisse wecken, sondern erkennen, was der Kunde wünscht oder braucht, und dann überzeugende Angebote liefern. Darauf kommt es heute an. Die Customer Experience stellt den Kunden in den Mittelpunkt, nicht die Marke, und schon gar nicht das Marketing!
Empathie zeigen. Wer auf Teufel komm raus verkaufen will, trifft in den sozialen Netzwerken des Internets schnell auf taube Ohren. Marken weiterzuempfehlen beruht auf Freiwilligkeit. Daher ist nichts Gewinn versprechender als positive Erlebnisse mit der Marke, von denen die Menschen reden.
Multidisziplinär denken und handeln. Um ein ganzheitliches Markenerlebnis zu erzeugen, sollte man ganzheitlich vorgehen. Das heißt, dass über Abteilungs- und Unternehmensgrenzen hinweg in Teams gearbeitet wird, die aus Spezialisten verschiedener Disziplinen bestehen. Fähigkeiten für neue Formen der Zusammenarbeit sind also gefragt.
Digitale Kompetenz ausbauen. Vernetzung und übergreifende Zusammenarbeit fußen auf technologischen Prozessen. Ein fundiertes Verständnis der digitalen Technologien muss daher vorhanden sein, um in Zeiten der Digitalisierung effektiv zu kommunizieren.
Chancen ausschöpfen. Multiple Touchpoints, neue kreative Lösungen für Interaktion mit dem Kunden. So viele Möglichkeiten für spannende Markenkommunikation gab es noch nie.
Auf richtige Strategie setzen. Brand & User Experience-Design ist eine noch junge Disziplin, die bewährte Ansätze nutzt. Das multidisziplinäre Vorgehen erfordert ein hohes Maß an Ausdauer, Teamgeist und Leidenschaft. Neue Dienstleister, die Marken bei der Gestaltung eines umfassenden Markenerlebnisses beraten, stehen bereit. Es ist höchste Zeit für neues Denken und Handeln in der Markenführung.
Checkliste für Markenmacher
Sind die Werte Ihrer Marke eindeutig definiert und klar kommunizierbar?
Engagieren Sie sich in sozialen Netzwerken und berücksichtigen Sie Lerneffekte?
Werden alle analogen und digitalen Touchpoints zum Verbraucher und anderen Stakeholdern systematisch erfasst und proaktiv gemanaged?
Wird über alle Kontaktpunkte hinweg betrachtet ein ganzheitliches Markenerlebnis angestrebt und hat jeder Beteiligte die Markenwerte verinnerlicht, die erlebbar gemacht werden sollen?
Arbeiten Sie bereits abteilungs- und disziplinübergreifend zusammen, um die Customer Experience zu gestalten?
Literatur
[1] Fallbeispiele für kooperatives Marketing von Starbucks, Tchibo, simyo und anderen Marken liefert eine Studie des BDVW: Kooperatives Marketing. Erfolgreich mit Kunden zusammenarbeiten. Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V., ISBN-Nummer: 978-3-942262-11-8.
[2] Ein umfassendes Werk zu den Themen Service Design und Customer Experience, mit vielen Praxisbeispielen und Tipps für die Umsetzung: Lockwood, Thomas: Design Thinking: Integrating Innovation, Customer Experience and Brand Value. – 256 S., Allworth Press, 3. Aufl., 2009.