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Wie Unternehmer mit ihrer Organisation mitwachsen

Vom allwissenden Gründer zum moderierenden Chef: Viele Unternehmen scheitern im Wachstum an der Transformation ihrer Führungskultur.
Nicolas Wandschneider | 30.11.2022
Wie Unternehmer mit ihrer Organisation mitwachsen © Freepik / branin
 

Jeder Unternehmensgründer ist anders, hat andere Werte, Schwerpunkte, Ideen. Und doch gibt es eines, was sie alle verbindet: Sie wollen immer erfolgreich sein, wachsen, neue Mitarbeiter einstellen, Werte schaffen. Hinter diesem großen Ziel, das alle anstreben, gerät allerdings häufig bei Gründern eine Sache in Vergessenheit: Ein wachsendes Unternehmen muss anders gemanagt werden als ein Betrieb in der Gründungsphase, besonders mit Blick auf seine Führung.

Wenn ein Unternehmen aus der Taufe gehoben wird, ist der Gründer alles in einer Person, Vertriebler, Kommunikator, Stratege, Personaler, Chef. Doch die Rolle von der eierlegenden Wollmilchsau verändert sich, wenn das Unternehmen größer wird. Denn dann müssen Strukturen und Hierarchien in Organisationen entstehen, die den Chef einerseits entlasten, andererseits dafür sorgen, dass sich die Firma inhaltlich spezialisieren kann, weil Mitarbeiter neue Kompetenzen mitbringen, die ein Gründer niemals alleine in einer Person vereinigen kann.

Wie also kann der Sprung des Gründers vom Kollegen zum echten Chef an der Spitze einer größeren, mittelständischen Organisation gelingen?

Was Gründer im Wachstum häufig übersehen

Studien zeigen, dass die meisten Gründungen am Geschäftsmodell, an der Finanzierung oder an der Organisationsstruktur und Führungskultur scheitern. Unternehmer unterschätzen häufig das Problem, dass eine wachsende Organisation auch ihre Strukturen und Hierarchien anpassen muss. Das ist mühsam und verbrennt Kapazitäten, die im operativen Geschäft fehlen. Und doch ist die Frage, wie der Gründer künftig als Geschäftsführer agiert, eine der zentralen Felder, auf dem sich die Spreu vom Weizen trennt, in dem sich erfolgreiche und stagnierende Unternehmen voneinander unterscheiden.

Der erste Schritt für den Gründer auf dem Weg zum Chef eines wachsenden Betriebs ist es, sich von der Rolle als Gründer zu lösen. Denn hier ist er, weil es gar nicht anders geht, alles in einer Person, CFO, CMO, CTO. Die Entscheidung, eines Tages aber einen CFO, CMO und CTO tatsächlich einzustellen, ist verbunden mit der Anerkennung der Tatsache, dass es auf all diesen Feldern Leute gibt, die dort besser sind als der Chef selbst. Diese Erkenntnis fällt dem Gründer aber bisweilen schwer, weil er Kompetenzen abgeben muss, von denen er meint, sie selbst zu besitzen. Oder anders formuliert: Ein CEO ist oft der Meinung, auf allen Gebieten der Beste sein zu müssen.

Vom Chef zum Moderator und Coach

Doch die echte Größe eines Geschäftsführers zeigt sich in der Fähigkeit, diese Transformation zu gestalten. Moderne Unternehmen sind geprägt von einer Generation, die sich von autoritären Hierarchiestrukturen lösen und in der die Führungskraft nicht das allwissende Alphatier ist, das auf allen Gebieten das letzte Wort hat. In diesen Organisationen wird der Chef zum Coach und Moderator, zum Befähiger und Förderer, der in der Mitte des Unternehmens Rahmenbedingungen und ein motivierendes Umfeld schafft und unterschiedliche Interessen und Ziele orchestriert, zum Wohle des Unternehmens.

Natürlich ist der Chef am Ende auch Entscheidungsträger, weil er für die Vision verantwortlich ist und damit die Leitplanken setzt, innerhalb derer sich das Unternehmen entwickeln soll. Doch innerhalb dieser Leitplanken lässt er seinen Mitarbeitern den Freiraum, den sie brauchen, um sich selbst entfalten zu können.

Kommunikation und Transparenz als Leitlinien moderner Führung

Führungskräfte setzen dabei als zentrales Instrument auf effektive und effiziente Kommunikation, auf transparente Strukturen und Prozesse und auf Offenheit für unterschiedliche Menschen und verschiedene Führungsansätze. Studien zeigen, dass Mitarbeiter je nach Kompetenz- und Leistungsniveau unterschiedlicher Ansprache und verschiedener Unterstützungs-Intensität bedürfen. Dem gegenüber steht die Feststellung, dass Führungskräfte sich oft nur eines Führungsstils bedienen, den sie auf alle Fälle gleichermaßen anwenden. Die Folgen aus solch einem Verständnis sind teuer, denn sie führen zu höherer Fluktuation, geringerer Leistungsbereitschaft, höherem Krankenstand, niedrigerer Qualität und Produktivität.

Für Gründer bedeutet das, dass der Weg zum Chef einer komplexeren Organisation einen Wandel nach sich zieht, der sich auf die Prioritäten und die Rolle der eigenen Person bezieht. So hart das klingen mag, aber der Gründer, der zu Anfang alles steuern, sich jeder Detailfrage stellen muss, löst sich mit der Zeit vollständig aus dem operativen Geschäft. Das tut er, indem er ein eigenständiges Management aufbaut, das genügend Freiraum erhält, um sich zu entfalten und damit die eigenen Fähigkeiten optimal in den Dienst des Unternehmens zu stellen.

Eine Gratwanderung für jeden Chef

Für den Chef ist das eine Gratwanderung, denn es handelt sich um einen evolutionären Prozess und nicht um ein revolutionäres Einmal-Ereignis. Vom Gründer zum Geschäftsführer, vom Kollegen zum Chef, das ist eine Entwicklung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, sukzessive ablaufen muss und in den Eitelkeiten und Egoismen unbedingt in den Hintergrund treten müssen. Wer als Unternehmer versteht, dass er nicht der allwissende Super-Experte sein muss, sondern wertvoller ist als Kommunikationszentrale, Coach und Moderator, der handelt im Sinne seines Unternehmens und der eigenen Person. Denn der Erwartung, alles in einer Person zu konzentrieren, kann niemand gerecht werden.

Wichtiger als der Glaube an die alleinige Kompetenz auf allen Gebieten ist ein klug zusammen gestelltes Führungsteam mit unterschiedlichen Kompetenzen und ein vielfältiger, auf die individuellen Bedürfnisse unterschiedlicher Mitarbeiter ausgerichtetes Führungsverständnis. Der Chef ist in diesem Konzept weiterhin stets greifbar, aber letztlich eher der primus inter pares, der nicht bei jeder Entscheidung konsultiert werden muss, aber doch stets als zentrale Führungsfigur akzeptiert wird, bei dem alle Fäden zusammenlaufen.

Aus diesem Ansatz entsteht eine Kultur, in der Wertschätzung, Eigenverantwortung, Entscheidungsfreiräume, Leistungsbereitschaft und Freude an der Arbeit die Organisation bestimmen und somit die Basis legen für ein gesundes Wachstum, von dem alle profitieren: das Unternehmen, die Mitarbeiter und letztlich dann auch der Chef.