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Gelingt es nicht, digitale Talente einzustellen und zu halten?

Vom Prinzip Pharmaindustrie können auch andere Branchen profitieren
Timm Urschinger | 01.12.2022
© shutterstock
 

Unternehmen jeder Größenordnung stehen gerade unter starkem Druck: Sie müssen die richtigen digitalen Talente finden, die sie dabei unterstützen können, erfolgreich Neuland zu betreten. Damit sich vielversprechende Ideen erkunden oder entdecken und umsetzen lassen, sollten Kandidaten idealerweise über ganz bestimmte Qualitäten verfügen: einen ausgeprägten Geschäftssinn, eine relevante Mischung aus branchenspezifischem und allgemeinem Wissen sowie eine hohe Affinität gegenüber der digitalen Welt. Was die Denkweise betrifft, so sollten (nicht nur neue) Mitarbeiter eine Leidenschaft für kontinuierliches Lernen und eine grundsätzlich kundenorientierte Einstellung an den Tag legen. Werfen wir einen Blick auf die Pharmaindustrie, können auch andere Branchen von deren Erfahrung und Erkenntnissen profitieren.

Bereits seit längerem sehen sich große Pharmaunternehmen mit noch nie dagewesenen Chancen und Risiken konfrontiert:

  • Stärkere Kundenorientierung durch die Definition neuer Geschäftsmodelle und Wege der Interaktion mit Patienten und Vertretern des Gesundheitswesens.
  • Bereitstellung von Real-World-Evidence/Real-World-Data (RWE/RWD) für die Regulierungsbehörden der Länder zum Zwecke des Marktzugangs und der Zulassung neuer Medikamente. 
  • Entwicklung von Medikamenten, die mehr und mehr personalisiert und auf die Behandlung spezifischer Krankheiten ausgerichtet sind. Als repräsentatives Beispiel sei hier die Einführung der CRISPR*-Technologie genannt.  CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats, eine Technologie, die zum Editieren von Genen verwendet werden kann.
  • Effektivere (z. B. durch eine bessere Auswahl von Wirkstoffen in der Pipeline) und effizientere (durch die Gewinnung von Erkenntnissen, wissenschaftlichen Daten und deren Auswertung) Arzneimittelforschung und -entwicklung von der präklinischen Phase bis zur Marktzulassung, um die Kosten zu senken.

 

Dies setzt vor allem die Fähigkeit voraus, die Bedürfnisse von Patienten und Kunden durch die Sammlung, Auswertung und Nutzung großer Datenmengen zu erfüllen. Neben den in der Einleitung genannten Qualitäten, ist bei Bewerbern deshalb vor allem technologisches Wissen (d. h. Informatik, rechnerische, mathematische und statistische Fähigkeiten, einschließlich Vertrautheit mit KI-Vorschriften und Cloud Computing) gefragt. Die Frage ist, wie gelingt es, die dafür benötigten digitalen Talente zu finden, einzustellen und langfristig zu begeistern? Schließlich ist die Wechselwilligkeit gerade enorm hoch. 

 

Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse ... gibt es auf beiden Seiten!

Die digitalen Talente gehören größtenteils zu einer Altersgruppe, die Autonomie, Freiheit und selbstorganisierte Arbeitsweisen mehr schätzt als jede andere Generation zuvor. Der Kampf um diese Talente ist hart, die Konkurrenz entsprechend groß. Ausgetragen wird der Wettbewerb vor allem von den großen Technologie-Konzernen (d. h. den Google-, Apple- und Amazon-Unternehmen dieser Welt), von IT-Unternehmen wie Salesforce, Veeva und SAP (um nur einige zu nennen) sowie von hochinnovativen Start-ups. Sie alle können einen Arbeitsplatz, eine Organisationsstruktur und eine Arbeitsweise bieten, die auf die Bedürfnisse, Anforderungen und Wünsche der Talente abgestimmt sind. 
Zum Glück für die Pharmaindustrie, ist es in den letzten Jahren einigen großen Unternehmen sehr gut gelungen, ihr Image – vor allem in den Augen der jungen Generation – von starren, hierarchischen und traditionellen Organisationen in das eines agilen und zielgerichteten „Labors“ zu verwandeln. Immer mehr Bewerber haben erkannt, dass dort beispiellose Innovationen stattfinden und Mitarbeiter die Möglichkeit haben, flexibel zu entscheiden, wie sie ihre Talente am besten einsetzen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: 


1. In einem großen Pharmaunternehmen in der Schweiz hat eine Abteilung innerhalb des Forschungsbereichs selbstorganisierte Teamstrukturen eingeführt. Das bedeutet, dass jedes Teammitglied nun über umfassende Entscheidungsbefugnisse verfügt und insbesondere die Möglichkeit hat, mit neuen Technologien und Lösungen zu experimentieren. Diese Umstellung hat zu sehr positiven Ergebnissen geführt und die digitale Transformation der Abteilung beschleunigt.


2. In einer ähnlichen Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines anderen großen Pharmaunternehmens in Skandinavien beschloss das Team nach einer internen Umstrukturierung, das traditionelle Managementteam in ein Team von dienenden Führungskräften umzuwandeln. Diese sollten sich nur auf die Bereitstellung von strategischer Beratung und die Schaffung guter Bedingungen für die Effizienz des Teams konzentrieren. Das Team selbst hat eine flexible, agile Struktur angenommen, was die Auflösung traditioneller Lenkungsausschüsse (und anderer Ausschüsse) und die Möglichkeit, Forschungsprojekte unabhängig voranzutreiben, zur Folge hatte. Projekte erhielten so relativ flüssig Ressourcenzuweisungen, was zu einer Verkürzung der Vorlaufzeit von einer Entwicklungsphase zur nächsten geführt hat. 

Fakt ist: Die großen Pharmaunternehmen waren regelrecht dazu gezwungen, agile Organisationsmodelle zu übernehmen, um eine Chance zu haben, einige der komplexen Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind (siehe oben), erfolgreich zu bewältigen. Infolgedessen haben sich ihre Kulturen weiterentwickelt und sie sind zu sehr attraktiven Arbeitgebern für digitale Talente geworden. Sie konnten ihnen genau das bieten, was sie am meisten schätzen: ein Arbeitsumfeld, in dem Entscheidungen von denjenigen getroffen werden, die den Kunden am nächsten stehen, multidisziplinäre Teams, End-to-End-Zuständigkeiten, eine verteilte Führung durch rollenbasiertes Arbeiten und Mut zu Experimenten, die wirklich Teil der Arbeitsweise aller geworden sind. Also wenn davon nicht auch andere Branchen und Unternehmen – unabhängig von der Größe – profitieren können!