Klarnamenpflicht: Facebook muss Pseudonyme zulassen
Müssen Nutzer auf Facebook ihren Klarnamen angeben oder dürfen sie auch ein Pseudonym verwenden? Nach dem heutigen BGH-Urteil ist klar: Wer schon vor dem 25. Mai 2018 angemeldet war, darf weiterhin anonym bleiben. Wie es für neuere Nutzer und die Frage der Anonymität im Internet generell aussieht, ist wohl weiterhin unklar. Aus der Pressemitteilung ist nicht ersichtlich, dass der BGH den Anlass genutzt hat, um sich zur heutigen Situation zu äußern. Das Urteil erläutert RA Christian Solmecke:
„Dürfen wir in den sozialen Netzwerken anonym posten? Wie diese Frage aktuell zu entscheiden wäre, ist nach dem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) leider wohl weiterhin unklar. Denn das Urteil gilt nur für Altfälle. Das ist juristisch zwar nachvollziehbar. Allerdings nutzt der BGH gelegentlich die Möglichkeit, sich in einem „obiter dictum“ zu Rechtsfragen zu äußern, die nicht Gegenstand des Verfahrens sind. Zumindest aus der BGH-Pressemitteilung ist nicht ersichtlich, dass er das getan hätte, die Urteile im Volltext liegen noch nicht vor. Damit scheint die Frage weiterhin offen zu bleiben. Freuen können zumindest alle Nutzer, die sich vor dem 25. Mai 2018 anonym angemeldet hatten - sie dürfen wohl weiterhin anonym bleiben, denn die Argumentation des BGH gilt für alle alten Versionen von Facebooks Nutzungsbedingungen.
Die Entscheidung des BGH
Verfechter einer Klarnamenpflicht wollen damit vor allem Täter von Hass und Hetze im Internet abhalten. Befürworter des Rechts auf Anonymität – darunter fällt auch die aktuelle Bundesregierung - zielen gerade auf den Schutz der Opfer vor Hass und Hetze im Internet ab. Das Oberlandesgericht (OLG) München urteilte 2020 noch, dass Facebook die Nutzung von Pseudonymen verbieten dürfe. Der BGH sah das nun in zwei ähnlich gelagerten Fällen anders, kippte Facebooks entsprechende Nutzungsbedingungen und erlaubte die Pseudonyme der klagenden Nutzer (Urt. v. 27.01.2022, Az. III ZR 3/21 und III ZR 4/21).
Die Begründung des BGH: Facebooks AGB in der damals gültigen Fassung verstießen gegen § 13 Abs. 6 Telemediengesetz (TMG), worin steht: „Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist.“ Deswegen würden die Nutzer unangemessen benachteiligt. Facebook hätte zwar verlangen können, dass die Nutzer dem Dienst bei der Anmeldung ihren wahren Namen mitteilten. Es sei aber nicht notwendig gewesen, auch öffentlich unter dem echten Namen aufzutreten.
Urteil nicht auf die heutige Zeit übertragbar
Allerdings hat der BGH – anders als das OLG München – den Fall nach der alten Rechtslage und damit auf Grundlage der nicht mehr gültigen EU-Datenschutzrichtlinie entschieden. Das bedeutet immerhin: Nutzer, die sich vor dem 25. Mai 2022 auf der Plattform angemeldet haben, dürfen weiterhin ihr Pseudonyme auf der Plattform gebrauchen. Für neuere Nutzer gilt das Urteil hingegen nicht.
Das ist juristisch durchaus nachvollziehbar. Laut BGH sei nur die Rechtslage maßgeblich, die zum Zeitpunkt der Einbeziehung von Facebooks AGB galt. Das war aber in einem Fall das Jahr 2015 und im anderen Fall der 18.4.2018. Erst seit dem 25.5.2018 gilt aber EU-weit die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Deswegen ist das Urteil leider nicht auf die heutige Zeit übertragbar. Laut Pressemitteilung hat der BGH offenbar nicht die Gelegenheit genutzt, sich dazu zu äußern, wie der Fall nach heutigem Recht entschieden werden würde.
Anders das OLG München. Das Gericht hatte in der Vorinstanz noch folgendermaßen argumentiert: 13 Abs. 6 TMG stehe im Konflikt mit der aktuell gültigen DSGVO, welche gerade kein Recht auf Anonymität vorsieht. Dieses hatten deutsche Vertreter vergeblich versucht, in den Gesetzestext hineinzuverhandeln. Daher müsse die deutsche Norm entsprechend dem EU-Recht ausgelegt werden. Bei der Frage nach der Anonymität müsse daher letztlich eine Interessenabwägung zwischen Nutzern und Netzwerk stattfinden – die nach Ansicht des OLG München, für Facebook ausging: "Angesichts eines mittlerweile weit verbreiteten sozialschädlichen Verhaltens im Internet" habe Facebook ein berechtigtes Interesse daran, mit einer Verpflichtung zur Angabe des Klarnamens bereits präventiv auf seine Nutzer einzuwirken, so die Richter (Urt. v. 8.12.2020, Az. 18 U 2822/19 Pre und 18 U 5493/19 Pre).
Diese rechtliche Ansicht könnte für die heutige Zeit tatsächlich zutreffend sein. Ob soziale Netzwerke nun aber generell Pseudonyme erlauben müssen oder verbieten dürfen, wissen wir nach der aktuellen BGH-Pressemitteilung aber nicht. Die Rechtslage für die heutige Zeit bleibt damit weiterhin unklar.“
FAQ zum Urteil:
Was bedeutet das jetzt genau für alle Facebook-Nutzer?
Konkret bedeutet das, dass wohl alle Nutzer, die bereits seit vor dem 25. Mai 2018 angemeldet waren, ihren Fantasienamen behalten dürfen. Denn die entsprechenden AGB in zwei älteren Fassungen hat der BGH für unwirksam erklärt. Die Argumentation des BGH ist auch auf die AGB in den anderen Versionen übertragbar, denen wir alle damals zugestimmt haben.
Für alle Nutzer, die sich nach dem 25. Mai 2018 angemeldet haben, bleibt die Rechtslage hingegen weiterhin unklar. Denn der BGH hat sich wohl ausdrücklich nur auf die rechtliche Situation berufen, die in den beiden aktuellen Fällen galt. Für neue Nutzer bedeutet das: Wer sich aktuell mit einem Fantasienamen anmeldet, riskiert, von Facebook gesperrt zu werden. Dagegen könnte man erneut klagen und dadurch ein Urteil nach der aktuellen Rechtslage erwirken. Bis das aber wieder vor dem BGH landet, würde es Jahre dauern.
Ist damit zu rechnen, dass Facebook die Klarnamenspflicht aufgrund des aktuellen BGH-Urteils kippt?
Ich rechne gerade nicht damit, dass Facebook die Klarnamenpflicht kippt. Denn das OLG München hatte den Fall ja – anders als der BGH – nach der aktuellen Rechtslage beurteilt und die Klarnamenpflicht für rechtmäßig erklärt. Damit stehen die Chancen für Facebook gut, dass zumindest die aktuellen AGB rechtmäßig sind. An Facebooks Stelle würde ich daher abwarten, bis ein weiterer Nutzer aktuell klagt und die Rechtslage sich klärt.
Warum ist die Klarnamenpflicht überhaupt aus rechtlicher Sicht wichtig, um gegen Hatespeech vorzugehen?
Der BGH sagt – basierend auf der alten Rechtslage –, dass Facebook die Nutzer zwar durchaus verpflichten kann, bei der Anmeldung gegenüber dem Netzwerk den echten Namen anzugeben. Nur nach außen hin dürfen langjährige Facebook-Nutzer anonym bleiben. Reicht das nicht, um an den echten Namen eines Täters heranzukommen.
Es macht durchaus einen Unterschied, ob ich nach außen hin mit meinem echten Namen auftrete oder nur gegenüber Facebook. Denn weder für die Staatsanwaltschaften noch für betroffene Nutzer ist es immer so leicht, an die Daten, die bei Facebook hinterlegt sind, heranzukommen:
- Staatsanwaltschaften: Facebook ist ein US-amerikanisches Unternehmen, ein entsprechendes Recht muss deshalb erst einmal in den USA durchgesetzt werden. Teilweise – aber nicht immer – reagiert Facebook aber auch ohne förmliches Rechtshilfeersuchen auf Anfragen. Immerhin gilt nun nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) eine Meldepflicht bei bestimmten Straftaten wie Morddrohungen – dann kommen die Ermittler leichter an die Täter.
- Betroffene haben zwar in § 14 Abs. 3 NetzDG Nutzern einen Anspruch gegen die sozialen Netzwerke, ihnen Daten möglicher Hetzer zu geben. Das gilt allerdings nur, wenn Straftaten wie Beleidigungen oder Bedrohungen im Raum stehen, die vom NetzDG erfasst sind. Außerdem gilt dieser Auskunftsanspruch laut BGH nicht für den Messengerdienst (Beschl. v. 24.09.2019, Az. VI ZB 39/18).
Braucht es bessere rechtliche Instrumente gegen Hassrede im Internet?
Die letzten Bundesregierungen haben etwa mit dem NetzDG und dem Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet bereits einiges getan, um gegen den Hass vorzugehen. Inzwischen haben die Netzwerke die Pflicht, auf gewisse Strafbare Inhalte wie Beleidigungen oder Verleumdungen schnell zu reagieren und diese Kommentare zu löschen, damit sie sich nicht zu schnell verbreiten. Auch die Strafgesetze wurden verschärft und die Netzwerke haben bei gewissen Straftaten wie Morddrohungen eine Meldepflicht an die Strafverfolgungsbehörden. Das heißt nicht, dass alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft sind. Wichtig ist jetzt aber vor allem, dass die Staatsanwaltschaften konsequent auch strafrechtlich gegen Hetzer vorgehen.