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Der Unterschied zwischen starken und schwachen Leadern

Corona hat die Wirtschaft durchgeschüttelt. Nun geht es darum, wieder Fahrt aufzunehmen. Unternehmen müssen sich neu erfinden. Dies erfordert Führung.
Anne M. Schüller | 24.01.2022
Der Unterschied zwischen starken und schwachen Leadern © Freeepik
 

Überall auf der Welt definieren Visionäre gerade das Mögliche neu. Vor allem die technologischen Innovateure sind wie auf Speed. Über alle Grenzen hinweg entwickeln sie Initiativen, die Ideen, Wissen und Können neu miteinander verknüpfen - und so unser Leben verbessern. Disruptiv kombinieren sie Technologien und vernetzen die virtuelle mit der realen Welt auf immer neue, kühne, bahnbrechende Weise.

 

Neuerungen können aber nur dort entstehen, wo es den passenden Nährboden gibt:

 

  • die Erlaubnis zum Widerspruch,
  • ein freizügiges Teilen guter Ideen,
  • eine ergebnisoffene Lernkultur und
  • Freiraum zum Experimentieren.

 

Zudem braucht es Menschen, die sich als Pioniere ins Neuland wagen. Auch dorthin, wo noch niemand vor ihnen war. Solche Menschen werden Weiterdenker oder Neumacher, bisweilen auch Game Changer genannt. Sie sind Infragesteller, Wachrüttler, Wegbereiter, Vorwärtsbringer, Zukunftsgestalter. Sie sprühen vor Ideen, wie man das, was in die Jahre gekommen ist, besser machen könnte, sollte und müsste.

 

Schwache Leader verspielen die Zukunft

 

Zwangsläufig muss man sich von Veraltetem trennen, damit das notwendige Neue „werden kann“. Leider ist man mit solchen Gedankengängen vielen im Unternehmen ein Graus. Bloß nicht den Laden durcheinanderbringen, bloß nicht für Unruhe sorgen, bloß nicht das beschauliche „weiter so“ stören. „Wer sich der vorgegebenen Ordnung nicht fügt, den können wir hier nicht gebrauchen“, erklärte man mir neulich.

 

Neumachern den Mund verbieten? So sehen die Reaktionen schwacher Chefs aus, die Angst um ihren Status haben und andere deklassieren müssen, damit ihre eigene Kleinheit nicht so auffällig ist. Wer seine Mitarbeitenden kleinhält, wird von ihnen keine großen Jobs bekommen. Und wer sie nicht zum aktiven Mitdenken bringt, wird feststellen, dass es in seinem Bereich bald keine bedeutenden Leistungen mehr gibt.

 

Schwache Leader beharren auf vermeintlich Bewährtem, „weil es schon immer so war“. Regeln und Normen geben ihnen einen Sicherheitsrahmen. Neue Wege bedeuten für sie nicht Chance, sondern Gefahr. Sie präferieren Command & Control. Sie hüten Wissen, denn das gibt ihnen Macht. Sie erzeugen ein Umfeld von Unlust und blindem Gehorsam. Vorwärtsdenker stellen für sie ein permanentes Risiko dar. Sie verweigern ihnen Entfaltungsräume und neigen dazu, sie fertig zu machen.

 

Darüber hinaus sind schwache Leader defizitorientiert. Sie thematisieren die Schwächen ihrer Leute - und nicht deren Stärken. Sie heben deren Fehler und nicht deren Erfolge hervor. Sie können sich schlecht auf andere Sichtweisen einlassen. Selbst die genialsten Ideen werden sie niedertrampeln, wo es nur geht. Und in Wahrheit? In Wahrheit hat ihr Ego vor allem Sorge um Machtverlust – oder Angst vor dem Zeigen von Schwäche.

 

Starke Leader geben Freigeistern Raum

 

Starke Leader wissen, wie wichtig neues Denken und Handeln ist, um die Zukunft erreichen zu können. Sie geben keine Direktiven vor, sondern unterstützen autonome Entscheidungen in ihren Teams. Spielfelder des Experimentierens sind in ihrem Umfeld völlig normal. So sorgen sie für einen Nährboden stetigen Wandels und erzeugen Biotope für unkonventionelle Ideen. Neuesprobierern zollen sie Anerkennung. Weiterdenkern wird Wertschätzung entgegengebracht. Wagemut wird belohnt. Auf diese Weise beflügeln sie ihre Mitarbeiter:innen zu immer neuen Heldentaten.

 

Bei starken Leadern stehen nicht Vorgaben, Forderungen und Kontrollaktionen im Vordergrund, sondern das Befähigen und die vertrauensvolle Ermunterung. Sie stecken Spielfelder ab, in denen Handlungsoptionen für großartige Ideen und hohe Performance entstehen können. Sie öffnen Türen, entfernen Hürden und machen die Bahn frei, damit die Leute lossprinten können. Hie und da stellen sie - abhängig von Aufgabenstellung und Mitarbeitertypologie - auch ein paar Leitplanken auf, damit niemand in den Abgrund gerät. Wenige Spielregeln bestimmen, was geht und was nicht.

 

Zudem erleben starke Leader die Perspektiven anderer als bereichernd. Ihre eigene Meinung betrachten sie als eine von vielen Möglichkeiten. Ihnen ist sonnenklar: Die Menschen wollen wirksam werden, sie wollen erfolgreich sein und das Unternehmen nach vorne bringen. Man muss nur alles entfernen, was sie daran hindert. Spielraum und gefahrloses Ausprobieren lässt Menschen reifen. Eigenverantwortung macht sie selbstbewusst. Entscheidungskompetenz macht sie stark. Selbstinitialisierte Weiterentwicklung macht sie kreativ - und damit die Firma als Ganzes zukunftsfit.

 

Zukunftsmacher brauchen Rückendeckung

 

Als vor Jahren ein Software-Entwickler bei Atari an einem Videospiel namens Star Raiders arbeiten wollte, erklärte das Top-Management: „Ein Spiel, bei dem man im Weltraum herumfliegt und andere Raumschiffe abschießt? Das ist die dümmste Idee, die uns je untergekommen ist. Schreiben Sie das Projekt ab!“ Star Raiders ist nur deshalb fertiggeworden, weil der Entwickler vorgab, sich um die regulären Atari-Programme zu kümmern – und weil sein direkter Vorgesetzter ihn schützte. Das Spiel wurde nicht nur zu einem Verkaufsschlager, sondern von der Stanford University auch zu einem der zehn wichtigsten Computerspiele aller Zeiten gekürt.

 

Dies ist eins von vielen Beispielen, das zeigt: Freigeister muss man fliegen lassen. Wer sie domestizieren und ihnen die Flügel stutzen will, nimmt ihnen genau die Power, die sie so überaus wertvoll macht. Bevormundung und starre Regelkorsetts kommen für sie nicht in Betracht. Ihnen geht es um spannende Aufgaben und bereichernde Erfahrungen, an denen sie selbstwirksam arbeiten können. Folgende Überlegungen treiben sie an:

 

  • Macht es Sinn, was ich hier tue?
  • Kann ich mich fachlich einbringen und etwas zum Guten verändert?
  • Werde ich als wertvoll gesehen und in meinem Tun anerkannt?

 

Gute Ideen sind sehr zerbrechlich und werden leicht totgetrampelt. Ihnen und ihren Schöpfern weht oft eine steife Brise entgegen, weil sie sich gegen eine Vielzahl von Bremsern zur Wehr setzen müssen. Da Vorwärtsdenker:innen also schnell ins Abseits geraten, brauchen sie Rückendeckung. Nur dann kann sich ihre Wirkkraft voll entfalten. Andererseits müssen sie hie und da eingebremst werden, weil sie sich in ihrem Übereifer bisweilen vergaloppieren. Und ja natürlich, sie werden sich auch verlaufen. Doch wie heißt es so schön: Wer sich nie verirrt, findet auch keine neuen Wege.

 

Das Buch zum Thema – auch als Hörbuch erhältlich

Anne M. Schüller, Alex T. Steffen

Die Orbit-Organisation

In 9 Schritten zum Unternehmensmodell

für die digitale Zukunft

Gabal Verlag 2019, 312 Seiten

ISBN: 978-3869368993

Finalist beim International Book Award