Wann hört endlich der Kontrollwahnsinn auf?
Da hat uns Lenin eine schöne Bescherung hinterlassen: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Wenn er nur Recht hätte!
Die Enron-Affäre hat ein Monster geschaffen: Compliance. Die Kontrollwut hat dadurch noch zugenommen. Wer in den Vereinigten Staaten börsennotiert ist, muss Compliance-Regeln verfassen, und diese auch ständig kontrollieren. Damit soll Missbräuchen Einhalt geboten werden. Wäre Compliance tatsächlich wirkungsvoll, dann dürfte es ja kaum noch Fehlverhalten in Unternehmen geben. Wieso konnte der Abgasskandal bei VW und anderen passieren oder der Luxusnutten-Skandal unter Peter Hartz? Wieso konnten Journalisten von Telekommitarbeitern bespitzelt werden? Wieso kam es zu Bestechungen bei Daimler, obwohl der oberste Chef der internen Aufsicht Louis Freeh immerhin vor seinem Amt bei Daimler der Chef der us-amerikanischen Bundesbehörde FBI war. Die Deutsche Bank ist auch nicht ganz unschuldig. 145 Millionen Dollar als außergerichtlicher Vergleich, weil die DB riskante Produkte an Genossenschaftsbanken verkauft hat. Die Amerikaner sind überzeugt, dass die DB maßgeblich am Finanzskandal 2008 beteiligt war. Und der Libor-Skandal ist auch noch nicht ausgestanden. In Frankreich kam es für e.on knüppeldick. 550 Millionen Euro Strafe für Ausbeutung der Verbraucher. 92 Millionen Euro Strafe für Henkel in Frankreich wegen illegaler Absprachen mit dem Wettbewerb. Bei Infineon trat der gesamte Vorstand wegen Bestechlichkeit und Korruption zurück. MAN musste 150 Millionen Euro wegen Bestechung zahlen. Den Vogel schoss Siemens ab mit rund 4.000 Missbrauchsfällen. Und alle hatten Ethik-Kodizees und Complianceabteilungen. Hätte also eigentlich nichts passieren dürfen. Kontrollinstrumente gab und gibt es genug. Und sie sind richtig teuer!
Dabei halten nicht wenige Führungskräfte im Unternehmen Kontrollen für notwendig. Es gilt, Fehler frühzeitig zu entdecken und zu beseitigen. Es könnte ja sein, dass ein früh gemachter Fehler in Arbeitsabläufen oder bei der Produktherstellung sich fortsetzt, und Folgefehler auftreten. Das kann dann auch sehr teuer werden. Die Analyse der Fehler führt zu Korrekturmaßnahmen. Die Annahme ist, dass der betroffene Mitarbeiter sich seiner Stärken und Schwächen noch bewusster wird, und die Schwächen und Fehler abstellt. Die Theorie geht davon aus, dass Mitarbeiter Fehler vermeiden wollen und werden, wenn Ihnen bekannt ist, dass sie durch eine Kontrolle auffliegen können. Allerdings räumt die Theorie ein, dass es dazu vertrauenswürdiger und sachkundiger Mitarbeiter bedarf. (Wer hätte das gedacht?!)
Wieso funktioniert das Kontrollwesen trotzdem nicht? Wieso ist Kontrolle meistens wirkungslos und demotivierend?
Die Erklärung ist eigentlich ganz einfach. Wenn Chefs den Mitarbeitern misstrauen, und sie deshalb stärker kontrollieren, dann kann dieses Misstrauen berechtigt und unberechtigt sein.
Ist das Misstrauen berechtigt, dann überlegen sich Mitarbeiter, wie sie die Kontrollmechanismen aushebeln können. Und da sind sie erfinderisch. Vermeidungsaktivitäten, Vertuschungsprojekte, sich rausreden, abschwächen, Fehler nicht zugeben, andere bezichtigen kann recht gut von eigenen Fehlern ablenken.
Was aber passiert, wenn das Misstrauen unberechtigt ist? Denn es soll ja Mitarbeiter geben, die Kontrollen als Bedrohung und auch als Ausdruck des Misstrauens werten. Da hält man sich doch lieber zurück. Man geht mit noch mehr Vorsicht an die Aufgabe oder startet den oft erfolgreichen Versuch der Rückdelegation. Und es kommt auch noch auf die Kontrollkriterien an. Was wird kontrolliert, nur Quantität oder auch Qualität? Es gibt heute noch nicht wenige Pharmaunternehmen, die ihre Pharmareferenten kontrollieren. Die Referenten müssen ein Buch mitführen, in das jede besuchte Arztpraxis den Praxisstempel drückt. So müssen die Praxisbesuche nachgewiesen werden. In aller Regel zehn am Tag. Ja und? Was sagt das über die Qualität des Besuchs? Es soll Pharmareferenten geben, die nur kurz in der Praxis vorbeischauen, sich schnell den Stempel abholen, und weg sind sie wieder. Ein besserer Abverkauf der Präparate wird dadurch sicher nicht gewährleistet.
Letztlich wird der Mitarbeiter durch Kontrollen unsicher, hat Stress, traut sich immer weniger zu. Besser nix tun, als etwas falsch zu machen, scheint dann die Devise. Bei ständig kontrollierten Mitarbeitern sinkt nicht die Fehlerquote, sie erhöht sich! Das wiederum senkt die Produktivität. Kurzum: Kontrollen, die aus Misstrauen entstehen, und mit denen vertrauenswürdige Mitarbeiter konfrontiert werde, sind eigentlich nur Eines: demotivierend.
Was aber hilft, was ist sinnvoll? Interessanterweise ist das längst untersucht. Claudia Vogel und Jonathan Tan konnten schon 2008 nachweisen, dass Menschen mit moralischen und/oder religiösen Werten sich aufgrund moralischer Prinzipien anständiger benehmen, als Menschen ohne eine moralische oder religiöse Orientierung. Im gleichen Jahr hat Frau Professor Nina Mazar mit einem interessanten Experiment nachweisen können, dass Menschen, die an moralisch-ethische Standards erinnert werden, sich anständiger verhalten, als Menschen, die völlig ohne Kontrolle und Hinweise moralischer Natur arbeiten dürfen oder ständig kontrollierte Menschen. Frau Mazar ließ Studenten an der Yale Universität zehn Rechenaufgaben lösen. Damit das Experiment realistisch war, bekam jeder für jede gelöste Aufgabe 5 Dollar, die behalten werden durften. Die erste Gruppe musste die gelösten Aufgaben einem Kontrollgremium übergeben. Durchschnittlich richtig gerechnete Aufgaben dieser Gruppe: 3,4. Die zweite Gruppe sollte nur mitteilen, wie viele Aufgaben richtig gelöst wurden. Da waren es 6,1 Treffer. Die dritte Gruppe wurde vor den Rechenaufgaben an ethische Standards erinnert. Dieser Gruppe wurde ein Schriftstück vorgelegt, in dem stand: „Mir ist bewusst, dass diese Studie unter den Ehrenkodex des MIT von Yale fällt“. Diesen Satz sollten sie unterschreiben. Abgesehen davon, dass das MIT gar keinen Ethikkodex hat, war das anschließende Ergebnis interessant. Die dritte Gruppe hatte eine Trefferquote von 3,1 Punkten, war also noch ehrlicher als die kontrollierte Gruppe.
Genau diesen Effekt des Erinnerns an moralische Werte hatten schon einige Jahre zuvor (2005) Gino und Ariely untersucht. Sie ließen Studenten so viele Gebote aus der Bibel aufschreiben wie ihnen einfielen. Dann kam ein Test. Witzigerweise schummelten selbst Atheisten danach weniger. Und noch etwas haben Forscher herausgefunden. Wenn man die Beteiligten bittet, einen Ethikkodex nicht nur zu lesen, sondern zu unterschreiben, dass man sich daran halten wird, ist die Rate der Aufrichtigkeit am höchsten.
Das bedeutet für Unternehmen, wer will, dass sich Mitarbeiter an ethische Standards halten, erreicht dies nicht durch Kontrolle. Das Gegenteil ist eher der Fall. Anständige Mitarbeiter werden dadurch demotiviert, und die, die betrügen wollen, finden nur andere Wege dafür. Es gilt mehr zu investieren in das Vertrauen in die Mitarbeiter. Einen Ethikkodex zu formulieren, sich unterschreiben zu lassen, dass man sich daran halten wird, und immer wieder einmal an ethische Standards zu erinnern, bringt mehr als Kontrolle und Compliance.
Ulf Posé
Die Enron-Affäre hat ein Monster geschaffen: Compliance. Die Kontrollwut hat dadurch noch zugenommen. Wer in den Vereinigten Staaten börsennotiert ist, muss Compliance-Regeln verfassen, und diese auch ständig kontrollieren. Damit soll Missbräuchen Einhalt geboten werden. Wäre Compliance tatsächlich wirkungsvoll, dann dürfte es ja kaum noch Fehlverhalten in Unternehmen geben. Wieso konnte der Abgasskandal bei VW und anderen passieren oder der Luxusnutten-Skandal unter Peter Hartz? Wieso konnten Journalisten von Telekommitarbeitern bespitzelt werden? Wieso kam es zu Bestechungen bei Daimler, obwohl der oberste Chef der internen Aufsicht Louis Freeh immerhin vor seinem Amt bei Daimler der Chef der us-amerikanischen Bundesbehörde FBI war. Die Deutsche Bank ist auch nicht ganz unschuldig. 145 Millionen Dollar als außergerichtlicher Vergleich, weil die DB riskante Produkte an Genossenschaftsbanken verkauft hat. Die Amerikaner sind überzeugt, dass die DB maßgeblich am Finanzskandal 2008 beteiligt war. Und der Libor-Skandal ist auch noch nicht ausgestanden. In Frankreich kam es für e.on knüppeldick. 550 Millionen Euro Strafe für Ausbeutung der Verbraucher. 92 Millionen Euro Strafe für Henkel in Frankreich wegen illegaler Absprachen mit dem Wettbewerb. Bei Infineon trat der gesamte Vorstand wegen Bestechlichkeit und Korruption zurück. MAN musste 150 Millionen Euro wegen Bestechung zahlen. Den Vogel schoss Siemens ab mit rund 4.000 Missbrauchsfällen. Und alle hatten Ethik-Kodizees und Complianceabteilungen. Hätte also eigentlich nichts passieren dürfen. Kontrollinstrumente gab und gibt es genug. Und sie sind richtig teuer!
Dabei halten nicht wenige Führungskräfte im Unternehmen Kontrollen für notwendig. Es gilt, Fehler frühzeitig zu entdecken und zu beseitigen. Es könnte ja sein, dass ein früh gemachter Fehler in Arbeitsabläufen oder bei der Produktherstellung sich fortsetzt, und Folgefehler auftreten. Das kann dann auch sehr teuer werden. Die Analyse der Fehler führt zu Korrekturmaßnahmen. Die Annahme ist, dass der betroffene Mitarbeiter sich seiner Stärken und Schwächen noch bewusster wird, und die Schwächen und Fehler abstellt. Die Theorie geht davon aus, dass Mitarbeiter Fehler vermeiden wollen und werden, wenn Ihnen bekannt ist, dass sie durch eine Kontrolle auffliegen können. Allerdings räumt die Theorie ein, dass es dazu vertrauenswürdiger und sachkundiger Mitarbeiter bedarf. (Wer hätte das gedacht?!)
Wieso funktioniert das Kontrollwesen trotzdem nicht? Wieso ist Kontrolle meistens wirkungslos und demotivierend?
Die Erklärung ist eigentlich ganz einfach. Wenn Chefs den Mitarbeitern misstrauen, und sie deshalb stärker kontrollieren, dann kann dieses Misstrauen berechtigt und unberechtigt sein.
Ist das Misstrauen berechtigt, dann überlegen sich Mitarbeiter, wie sie die Kontrollmechanismen aushebeln können. Und da sind sie erfinderisch. Vermeidungsaktivitäten, Vertuschungsprojekte, sich rausreden, abschwächen, Fehler nicht zugeben, andere bezichtigen kann recht gut von eigenen Fehlern ablenken.
Was aber passiert, wenn das Misstrauen unberechtigt ist? Denn es soll ja Mitarbeiter geben, die Kontrollen als Bedrohung und auch als Ausdruck des Misstrauens werten. Da hält man sich doch lieber zurück. Man geht mit noch mehr Vorsicht an die Aufgabe oder startet den oft erfolgreichen Versuch der Rückdelegation. Und es kommt auch noch auf die Kontrollkriterien an. Was wird kontrolliert, nur Quantität oder auch Qualität? Es gibt heute noch nicht wenige Pharmaunternehmen, die ihre Pharmareferenten kontrollieren. Die Referenten müssen ein Buch mitführen, in das jede besuchte Arztpraxis den Praxisstempel drückt. So müssen die Praxisbesuche nachgewiesen werden. In aller Regel zehn am Tag. Ja und? Was sagt das über die Qualität des Besuchs? Es soll Pharmareferenten geben, die nur kurz in der Praxis vorbeischauen, sich schnell den Stempel abholen, und weg sind sie wieder. Ein besserer Abverkauf der Präparate wird dadurch sicher nicht gewährleistet.
Letztlich wird der Mitarbeiter durch Kontrollen unsicher, hat Stress, traut sich immer weniger zu. Besser nix tun, als etwas falsch zu machen, scheint dann die Devise. Bei ständig kontrollierten Mitarbeitern sinkt nicht die Fehlerquote, sie erhöht sich! Das wiederum senkt die Produktivität. Kurzum: Kontrollen, die aus Misstrauen entstehen, und mit denen vertrauenswürdige Mitarbeiter konfrontiert werde, sind eigentlich nur Eines: demotivierend.
Was aber hilft, was ist sinnvoll? Interessanterweise ist das längst untersucht. Claudia Vogel und Jonathan Tan konnten schon 2008 nachweisen, dass Menschen mit moralischen und/oder religiösen Werten sich aufgrund moralischer Prinzipien anständiger benehmen, als Menschen ohne eine moralische oder religiöse Orientierung. Im gleichen Jahr hat Frau Professor Nina Mazar mit einem interessanten Experiment nachweisen können, dass Menschen, die an moralisch-ethische Standards erinnert werden, sich anständiger verhalten, als Menschen, die völlig ohne Kontrolle und Hinweise moralischer Natur arbeiten dürfen oder ständig kontrollierte Menschen. Frau Mazar ließ Studenten an der Yale Universität zehn Rechenaufgaben lösen. Damit das Experiment realistisch war, bekam jeder für jede gelöste Aufgabe 5 Dollar, die behalten werden durften. Die erste Gruppe musste die gelösten Aufgaben einem Kontrollgremium übergeben. Durchschnittlich richtig gerechnete Aufgaben dieser Gruppe: 3,4. Die zweite Gruppe sollte nur mitteilen, wie viele Aufgaben richtig gelöst wurden. Da waren es 6,1 Treffer. Die dritte Gruppe wurde vor den Rechenaufgaben an ethische Standards erinnert. Dieser Gruppe wurde ein Schriftstück vorgelegt, in dem stand: „Mir ist bewusst, dass diese Studie unter den Ehrenkodex des MIT von Yale fällt“. Diesen Satz sollten sie unterschreiben. Abgesehen davon, dass das MIT gar keinen Ethikkodex hat, war das anschließende Ergebnis interessant. Die dritte Gruppe hatte eine Trefferquote von 3,1 Punkten, war also noch ehrlicher als die kontrollierte Gruppe.
Genau diesen Effekt des Erinnerns an moralische Werte hatten schon einige Jahre zuvor (2005) Gino und Ariely untersucht. Sie ließen Studenten so viele Gebote aus der Bibel aufschreiben wie ihnen einfielen. Dann kam ein Test. Witzigerweise schummelten selbst Atheisten danach weniger. Und noch etwas haben Forscher herausgefunden. Wenn man die Beteiligten bittet, einen Ethikkodex nicht nur zu lesen, sondern zu unterschreiben, dass man sich daran halten wird, ist die Rate der Aufrichtigkeit am höchsten.
Das bedeutet für Unternehmen, wer will, dass sich Mitarbeiter an ethische Standards halten, erreicht dies nicht durch Kontrolle. Das Gegenteil ist eher der Fall. Anständige Mitarbeiter werden dadurch demotiviert, und die, die betrügen wollen, finden nur andere Wege dafür. Es gilt mehr zu investieren in das Vertrauen in die Mitarbeiter. Einen Ethikkodex zu formulieren, sich unterschreiben zu lassen, dass man sich daran halten wird, und immer wieder einmal an ethische Standards zu erinnern, bringt mehr als Kontrolle und Compliance.
Ulf Posé