Lebensfreude durch Vielfalt
„Verzettle Dich nicht im Leben! Konzentriere Dich auf das, was Du kannst!“, hörte ich meine Oma sagen. Ein zweifellos gut gemeinter Rat einer älteren, weisen Dame. Und tatsächlich sollte ich viel später, als „Erwachsener“ schnell spüren, dass Vielfalt von Interessen und ein möglichst breit gefächertes Wissen kaum jemanden interessieren. Die Konzentration von der meine Großmutter gesprochen hatte, schien das allumfassende Mantra unserer modernen Zeit. Es schien fast so, als hätte sich die Welt gegen Generalisten verschworen und bevorzugte nur noch solide Handwerker, die bestenfalls ein oder zwei Dinge richtig gut taten.
Aber das war nicht meine Welt, war nicht die Welt, wie ich sie liebte. Ich schätzte schon immer die Vielfalt, erhielt mir meine Neugier für Alles und Jedes. Ich wollte lernen und wachsen, alles in mich aufsaugen. So, wie es kleine Kinder natürlicherweise tun. Diese moderne Welt und ich – das schien nicht zusammen zu passen. Während wir als Kinder noch offen sein dürfen und wir durchaus ermutigt werden, möglichst viele Dinge auszuprobieren, so schien es doch einen klaren Pfad zu geben: Je älter man wurde, desto spezialisierter wurde man. Mehr noch: Wer sich möglichst stark spezialisierte, war bezüglich Reichtum, Macht und Status in der Königsklasse angekommen. Einkommen und Spezialisierung schienen direkt zusammenzuhängen.
Und genau da war die Crux: Die meisten Menschen um mich herum schienen westlich-kapitalistisch konditioniert: Je spezialisierter ich bin (Experte!), je mehr ich arbeite und je zielorientierter ich eine Karriere verfolge, desto mehr Geld verdiene ich und desto mehr Anerkennung meiner Vergleichsgruppe bekomme ich. Und genau das war offenbar das große Ziel der meisten. Hinzu kommt, dass die Mehrheit genau zu wissen glaubt, worauf es im Leben ankommt und dies mit den immer gleichen Plattitüden gleichsetzt: Erfolg, Geld, Macht, Status, vielleicht noch Dinge wie Glück (welches Glück genau?), Familie, Hund, Haus, großes Auto, Urlaub. Die Gesellschaft (und die Volkswirtschaft) freut sich natürlich über dermaßen strebsame und fokussierte Mitglieder.
Dass zu viel Fokus gleichermaßen Lebensvielfalt und damit Lebensfreude, Spaß, und Glück reduziert – das vergessen viele. Es tut dies auch unmerklich und schleichend. So, wie ein bisschen Naschen einen nicht von heute auf morgen dick macht, sondern über einen langen Zeitraum. Mit der Vielfalt bleibt nach und nach auch das Spielerische auf der Strecke. Die kindliche Neugier weicht dem „Ernst des Lebens“. Als Kinder gingen wir noch mit einem offenen Geist und großen Augen durch die Welt. Wir mussten alles anfassen, sensuell erfahren. Wir schauten jedem neuen Geräusch hinterher. Wo kam es her? Was hat das mit mir zu tun? Alles wollten wir ausprobieren. Manchmal ging das Ausprobieren in die Hose und wir taten uns weh. Meist haben wir daraus Schlüsse gezogen und etwas gelernt. Typische Selbstbeschränkungen der Erwachsenen kannten wir noch nicht. „Das geht nicht“ oder „das schaffe ich nicht“ kamen in aller Regel erst später. Alles, was uns als Kinder sehr schnell hat lernen und wachsen lassen, erodiert im Erwachsenenalter. Wir schränken uns unmerklich in unseren Erfahrungs- und Entfaltungsmöglichkeiten ein.
Als Jugendliche haben wir im Grunde einen Fulltime-Job als Schüler, lernen daneben aber noch ein Instrument, treiben mindestens zwei verschiedene Sportarten und studieren nebenbei noch die Kommunikation mit dem anderen Geschlecht. Das ist eine ganze Menge! In der Mitte unseres Lebens kommen wir oft nur noch geschafft vom Job nach Hause (der uns nachweislich vor allem deshalb so schafft, weil er keinem tieferen Sinn dient, uns nicht erfüllt) und quälen uns nur noch in einem Fitness-Studio, „weil man das halt so macht“. Keine Inspiration mehr, keine Leidenschaft! Als Schüler sind wir noch jeden Tag mit dem Fahrrad in die Schule gefahren, haben Fußball gespielt und uns auf dem Schulhof gerauft. Wir waren körperlich vergleichsweise fit. Heute schauen die Meisten an sich herunter und haben einen klaren Blick auf ihren Rettungsring in Form von Hüftspeck. Beim Treppensteigen geht der Atem sofort schneller und der Puls beginnt zu rasen. Das ist nicht normal!
In jungen Jahren haben wir noch wöchentlich neue Menschen kennen gelernt. Heute? Oft befinden wir uns in sub-optimalen Langzeitbedingungen aus denen wir nur deshalb nicht ausbrechen, weil wir so verdammt viel Angst vor dem Alleinsein haben. Sich von anderen Menschen inspirieren zu lassen? Wann ist uns das zum letzten Mal passiert? Sich einlassen auf einen anderen Blickwinkel auf die Welt? Wann haben wir zuletzt unsere Weltsicht ernsthaft in Frage gestellt? Früher sind wir gereist wie die Weltmeister, haben uns auf fremde Menschen und Kulturen eingelassen. Heute? Wie viele neue Länder haben wir im letzten Jahr bereist (und ich meine bereist, nicht in einem Vier- oder Fünf-Sterne-Hotel westlicher Prägung genächtigt)?
Wir reduzieren ständig die Vielfalt in unserem Leben – unmerklich und langsam zwar, aber real. Das tun wir vor allem auch deshalb, weil wir uns mit fortschreitendem Alter an mehr und mehr Komfort gewöhnen. Aus eben jenem Komfort auszubrechen, die sogenannte Komfortzone zu verlassen – damit tun sich viele schwer. In ihr fühlen wir uns wohl, alles ist so schön vertraut. Die Vielfalt, Lernen und Wachsen findet allerdings immer außerhalb dieser lieb gewonnenen Komfortzone statt. Wir alle kennen das nur zu gut: In dem Moment, in dem ich eine neue Fähigkeit beherrsche, die mir zuvor fremd war und mir Angst gemacht hat – in dem Moment entsteht nicht nur Lernen, sondern unsere Komfortzone weitet sich aus und damit einher geht ein sehr ursprüngliches Glücksgefühl. Wir sind an einer Herausforderung gewachsen und werden in Zukunft keine Angst mehr davor haben. Was zuvor noch Stress ausgelöst hat, ist nun vertrautes Terrain.
Was sollen wir tun? Schauen Sie wieder einmal Kindern zu, wie sie spielerisch lernen, wie sie offen auf das Unbekannte zugehen, Hinfallen und wieder aufstehen – aber fast immer dabei lernen und ihren Spielraum, ihre Komfortzone erweitern. Machen Sie die standardisierten Dinge ab morgen einfach einmal ganz anders. Entscheiden Sie sich bewusst dazu, etwas Neues zu lernen. Bringen Sie die Vielfalt zurück in Ihr Leben und erfreuen Sie sich an ihr.
http://www.jhschneider.de/lebensfreude-durch-vielfalt/
Aber das war nicht meine Welt, war nicht die Welt, wie ich sie liebte. Ich schätzte schon immer die Vielfalt, erhielt mir meine Neugier für Alles und Jedes. Ich wollte lernen und wachsen, alles in mich aufsaugen. So, wie es kleine Kinder natürlicherweise tun. Diese moderne Welt und ich – das schien nicht zusammen zu passen. Während wir als Kinder noch offen sein dürfen und wir durchaus ermutigt werden, möglichst viele Dinge auszuprobieren, so schien es doch einen klaren Pfad zu geben: Je älter man wurde, desto spezialisierter wurde man. Mehr noch: Wer sich möglichst stark spezialisierte, war bezüglich Reichtum, Macht und Status in der Königsklasse angekommen. Einkommen und Spezialisierung schienen direkt zusammenzuhängen.
Und genau da war die Crux: Die meisten Menschen um mich herum schienen westlich-kapitalistisch konditioniert: Je spezialisierter ich bin (Experte!), je mehr ich arbeite und je zielorientierter ich eine Karriere verfolge, desto mehr Geld verdiene ich und desto mehr Anerkennung meiner Vergleichsgruppe bekomme ich. Und genau das war offenbar das große Ziel der meisten. Hinzu kommt, dass die Mehrheit genau zu wissen glaubt, worauf es im Leben ankommt und dies mit den immer gleichen Plattitüden gleichsetzt: Erfolg, Geld, Macht, Status, vielleicht noch Dinge wie Glück (welches Glück genau?), Familie, Hund, Haus, großes Auto, Urlaub. Die Gesellschaft (und die Volkswirtschaft) freut sich natürlich über dermaßen strebsame und fokussierte Mitglieder.
Dass zu viel Fokus gleichermaßen Lebensvielfalt und damit Lebensfreude, Spaß, und Glück reduziert – das vergessen viele. Es tut dies auch unmerklich und schleichend. So, wie ein bisschen Naschen einen nicht von heute auf morgen dick macht, sondern über einen langen Zeitraum. Mit der Vielfalt bleibt nach und nach auch das Spielerische auf der Strecke. Die kindliche Neugier weicht dem „Ernst des Lebens“. Als Kinder gingen wir noch mit einem offenen Geist und großen Augen durch die Welt. Wir mussten alles anfassen, sensuell erfahren. Wir schauten jedem neuen Geräusch hinterher. Wo kam es her? Was hat das mit mir zu tun? Alles wollten wir ausprobieren. Manchmal ging das Ausprobieren in die Hose und wir taten uns weh. Meist haben wir daraus Schlüsse gezogen und etwas gelernt. Typische Selbstbeschränkungen der Erwachsenen kannten wir noch nicht. „Das geht nicht“ oder „das schaffe ich nicht“ kamen in aller Regel erst später. Alles, was uns als Kinder sehr schnell hat lernen und wachsen lassen, erodiert im Erwachsenenalter. Wir schränken uns unmerklich in unseren Erfahrungs- und Entfaltungsmöglichkeiten ein.
Als Jugendliche haben wir im Grunde einen Fulltime-Job als Schüler, lernen daneben aber noch ein Instrument, treiben mindestens zwei verschiedene Sportarten und studieren nebenbei noch die Kommunikation mit dem anderen Geschlecht. Das ist eine ganze Menge! In der Mitte unseres Lebens kommen wir oft nur noch geschafft vom Job nach Hause (der uns nachweislich vor allem deshalb so schafft, weil er keinem tieferen Sinn dient, uns nicht erfüllt) und quälen uns nur noch in einem Fitness-Studio, „weil man das halt so macht“. Keine Inspiration mehr, keine Leidenschaft! Als Schüler sind wir noch jeden Tag mit dem Fahrrad in die Schule gefahren, haben Fußball gespielt und uns auf dem Schulhof gerauft. Wir waren körperlich vergleichsweise fit. Heute schauen die Meisten an sich herunter und haben einen klaren Blick auf ihren Rettungsring in Form von Hüftspeck. Beim Treppensteigen geht der Atem sofort schneller und der Puls beginnt zu rasen. Das ist nicht normal!
In jungen Jahren haben wir noch wöchentlich neue Menschen kennen gelernt. Heute? Oft befinden wir uns in sub-optimalen Langzeitbedingungen aus denen wir nur deshalb nicht ausbrechen, weil wir so verdammt viel Angst vor dem Alleinsein haben. Sich von anderen Menschen inspirieren zu lassen? Wann ist uns das zum letzten Mal passiert? Sich einlassen auf einen anderen Blickwinkel auf die Welt? Wann haben wir zuletzt unsere Weltsicht ernsthaft in Frage gestellt? Früher sind wir gereist wie die Weltmeister, haben uns auf fremde Menschen und Kulturen eingelassen. Heute? Wie viele neue Länder haben wir im letzten Jahr bereist (und ich meine bereist, nicht in einem Vier- oder Fünf-Sterne-Hotel westlicher Prägung genächtigt)?
Wir reduzieren ständig die Vielfalt in unserem Leben – unmerklich und langsam zwar, aber real. Das tun wir vor allem auch deshalb, weil wir uns mit fortschreitendem Alter an mehr und mehr Komfort gewöhnen. Aus eben jenem Komfort auszubrechen, die sogenannte Komfortzone zu verlassen – damit tun sich viele schwer. In ihr fühlen wir uns wohl, alles ist so schön vertraut. Die Vielfalt, Lernen und Wachsen findet allerdings immer außerhalb dieser lieb gewonnenen Komfortzone statt. Wir alle kennen das nur zu gut: In dem Moment, in dem ich eine neue Fähigkeit beherrsche, die mir zuvor fremd war und mir Angst gemacht hat – in dem Moment entsteht nicht nur Lernen, sondern unsere Komfortzone weitet sich aus und damit einher geht ein sehr ursprüngliches Glücksgefühl. Wir sind an einer Herausforderung gewachsen und werden in Zukunft keine Angst mehr davor haben. Was zuvor noch Stress ausgelöst hat, ist nun vertrautes Terrain.
Was sollen wir tun? Schauen Sie wieder einmal Kindern zu, wie sie spielerisch lernen, wie sie offen auf das Unbekannte zugehen, Hinfallen und wieder aufstehen – aber fast immer dabei lernen und ihren Spielraum, ihre Komfortzone erweitern. Machen Sie die standardisierten Dinge ab morgen einfach einmal ganz anders. Entscheiden Sie sich bewusst dazu, etwas Neues zu lernen. Bringen Sie die Vielfalt zurück in Ihr Leben und erfreuen Sie sich an ihr.
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