Weblogs verändern Wertschöpfung der Medienhäuser
Die Medienlandschaft und damit die Publikation und Wahrnehmung von medialen Inhalten befindet sich in einem radikalen Umbruchprozess. Das ist die Quintessenz einer Diskussionsrunde mit namhaften Experten, die gestern Abend im Rahmen des Frankfurter MedienMittwochs stattfand. Die vom BVDW unterstützte Veranstaltung stand unter dem Motto "Weblogs: Revolution des Journalismus oder überschätztes Phänomen?" und förderte dabei die unterschiedlichen Perspektiven auf das seit Monaten boomende Blogging, dem Schreiben von Online-Journalen und –Tagebüchern, zu Tage. Rund 250 zufriedene Besucher konnten sich im Laufe der Diskussion einen sehr guten Überblick über das Thema verschaffen.
So kontrovers wie das Thema war auch das Podium besetzt. Eingeführt durch einen Impulsvortrag von Julius Endert (Handelsblatt), der den traditionellen Verlagshäusern einen ähnlichen Verlust der Deutungshoheit prophezeite wie ihn zur Zeit Martin Luthers die katholische Kirche erlitten hat, entsponn sich eine lebhafte Diskussion. Nicht zuletzt Rainer Meyer, in der Bloggerszene besser bekannt als "DonAlphonso", lancierte immer wieder gezielte Verbalattacken auf die vor allem an der kommerziellen Verwertung des Phänomens interessierten Unternehmen, wie etwa Yahoo (vertreten durch Volker Gläser) oder Burda (in Person von Dr. Marcel Reichart). Womit eines der wichtigsten Spannungsfelder bereits genannt ist: Was für die einen, vorwiegend privat motivierten Blogger, eine Tummelwiese für die eigene Selbstdarstellung ist, ist für die anderen – überwiegend professionell motivierten Blogger - eine neue Form des (interaktiven) Journalismus. Einig waren sich hingegen alle in dem Punkt, dass das Bloggen das Internet zu einem Publikationsmedium für alle werden lässt.
Medienhäuser müssen umdenken
“Die Währung unserer Zeit ist die Aufmerksamkeit” so Julius Endert, der vor allem darauf einging, dass sich die Verlagshäuser davor fürchteten, die Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppen zu verlieren. Endert prognostizierte einen radikalen Wandel der Medienlandschaft, wenn jeder zum potentiell Medienschaffenden werde und Information kostenlos zur Verfügung stelle. "In Weblogs und Wikis findet Kommunikation statt. Die Medienhäuser müssen lernen, diese Gespräche zu moderieren und an den Diskussionen teilzunehmen," mahnte der 41-Jährige zu einem Umdenken in den traditionellen Medienhäusern: "Sie müssen ein Stück Kontrolle aufgeben, um die Kontrolle zu behalten." Dadurch sei nicht das Ende des Journalismus eingeläutet, viel mehr verändere sich die Wertschöpfung. "In der Zukunft wird der Umsatz nicht nur aus der Erstellung eigener Inhalte kommen, sondern auch aus der Bereitstellung von Infrastruktur" schließt der Leiter der Online-Redaktion des Handelsblatts.
Christoph Schultheis, Betreiber des Grimme-Preis-bedachten bildblog.de, plädierte in seinen Beiträgen vor allem für einen sensiblen Umgang mit Blogs. Nicht alle Weblogs könnten mit denen gleichgesetzt werden, die einen journalistischen Hintergrund hätten. Entscheidend sei die Quelle. Wie bei jedem anderen Medium müssten Leser lernen, zwischen seriösen und unprofessionellen Quellen zu unterscheiden. Für diesen Prozess der Meinungsbildung sei eine gewisse Medienkompetenz erforderlich. Schultheis bemängelt schon seit längerem, dass "im Gegensatz zu etablierten Titeln und Formaten, häufig ein erkennbar professioneller Rahmen fehlt, der die Einschätzung der journalistischen Glaubwürdigkeit und Qualität der Berichterstattung erleichtert.“
Obwohl selbst journalistisch tätig, beruft sich der schon zu Zeiten des von ihm betriebenen Portals dotcomtod.com berüchtigte DonAlphonso, weniger auf die journalistische als auf die narrative Seite des Bloggens. Für ihn zeichnen sich gute Blogs vor allem durch gute Geschichten aus. Die Individualität und Subjektivität vieler Blogs führe dazu, dass sich unendlich viele Mikrokosmen herausbilden würden. Dabei sei das kreative Momentum aber auch durchaus schützenswert. So verwahre er sich dagegen, dass das Urheberrecht von Weblog-Inhalten häufig mit Füßen getreten werde. Er widersprach damit zum Teil der durchaus verbreiteten Sicht, dass das Selbstverständnis vieler Blogger, eine ungefragte und unentgeltliche Weiterverwertung von Texten geradezu nahe legen würde.
Deutschland im Dornröschenschlaf
Mit rund 200.000 geschätzten Blogs deutschlandweit befindet sich die Entwicklung hierzulande noch in einem Frühstadium. Volker Gläser (Yahoo Deutschland) verwies darauf, dass - wie so oft - in den USA, aber auch in einigen asiatischen Ländern bereits weitaus selbstverständlicher gebloggt würde. Für ihn zeige die Tatsache, dass noch vor drei Jahren niemand Musik für einen portablen MP3-Player aus dem Internet heruntergeladen habe, was heute selbstverständlich sei, welche Potenziale gerade im Entertainmentbereich noch schlummerten. So gesehen seien Weblogs nur ein erster Schritt in einem durch Podcasts und Vodcasts (Audio-/Video-Journale bzw. -Tagebücher im Internet) weitergeführten, dynamischen Prozess. Natürlich gebe es hier für die großen Player einige interessante Ansätze, diese Entwicklung zu monetarisieren.
Auch im Bezug auf den Einsatz von Blogs in der Unternehmenskommunikation steht Deutschland nach Meinung von Stefan Keuchel (Google Deutschland) noch ganz am Anfang: "In Deutschland schlafen Corporate Blogs noch einen Dornröschenschlaf. Doch immer mehr Unternehmen erkennen das Potenzial von Weblogs für die Unternehmenskommunikation. Ob aktiv oder passiv - an dem Thema Weblogs kommen die Kommunikationsabteilungen deutscher Unternehmen nicht vorbei". Dieser Meinung schloss sich auch Dr. Marcel Reichart (Burda) an. Für ihn sei neben dem Monitoring des Stimmungsbildes in der Bloggerszene, aber auch der eigene Unternehmensblog durchaus interessant. Dieser sollte nach Keuchels Auffassung aber durchaus "etwas schräg" sein, sonst würde er kaum gelesen.
Nach rund 90 Minuten, in denen viele Facetten des Phänomens Weblog beleuchtet wurden, dürfte allen Zuhörern klar geworden sein, dass in den vergangenen Monaten ein Prozess in Gang gesetzt worden ist, der auf kurz oder lang zu tiefgreifenden Veränderungen in der Medienlandschaft führen wird. Zufrieden zeigte sich auch Mit-Veranstalter und BVDW-Gesamtvorstand Tobias Kirchhofer (Blue Mars): "Die hochkarätige Zusammensetzung des Podiums zeigt einmal mehr, dass sich der MedienMittwoch zu einer deutschlandweit relevanten Diskussionsplattform auch für digitale Themen entwickelt hat. Wir sind auf einem sehr guten Weg, mit der Unterstützung des BVDW, der Digitalen Wirtschaft eine noch breitere Öffentlichkeit zu verschaffen. Durch das außerordentliche Publikumsinteresse der gestrigen Veranstaltung sehen wir uns darin bestätigt."
Die gesamte Diskussion wurde live gebloggt. Interessierte können sich unter http://weblog.medienmittwoch.de/... ein eigenes Bild machen. Der nächste MedienMittwoch Frankfurt mit Unterstützung des BVDW findet im April statt. Genauer Termin und Veranstaltungsort werden noch bekannt gegeben.