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Dienstleistungsökonomie braucht smarte Unternehmer

Frühjahrsausgabe der Zeitschrift NeueNachricht
marketing-BÖRSE | 15.03.2006
Bonn, 15. März 2006 - Die Äußerung von IBM-Deutschland-Chef Johann Weihen zur Überbetonung des Servicegeschäftes seines Unternehmens hat nach Expertenmeinung für die Geschäftsstrategie deutscher Unternehmen keine Relevanz: „Das sind hausgemachte Probleme, die durch personelle Überkapazitäten bei einfachen IT-Dienstleistungen entstanden sind. Für die deutsche Wirtschaft gilt das nicht. Wir leiden unter dem Gegenteil. Das Wirtschaftssystem, die großen Unternehmerverbände, Wissenschaft, Gewerkschaften und Politik definieren Deutschland immer noch stur als Industrieland. Ein Blick in die Statistik belegt allerdings eindeutig, dass das schon lange nicht mehr der Fall ist: Deutlich mehr als zwei Drittel aller Erwerbstätigen in Deutschland verdienten 2005 ihr Geld mit Dienstleistungen. Das sind über zehn Prozentpunkte mehr als noch im Jahr 1991. Alle anderen Sektoren haben dagegen deutlich an Beschäftigten verloren. Neun Prozentpunkte weniger waren 2005 im produzierenden Gewerbe tätig als 14 Jahre zuvor“, schreibt Michael Müller, Geschäftsführer der auf IT-Dienstleistungen spezialisierten a & o-Gruppe, in einem Namensbeitrag für die Frühjahrsausgabe der Zeitschrift NeueNachricht. Selbst was die Industrie hervorbringe, sei von Dienstleistungen geprägt, etwa bei der Inbetriebnahme oder der Steuerungssoftware. „Auch die industrielle Forschung wird zwar statistisch dem produzierenden Gewerbe zugeordnet, ist aber eindeutig eine Dienstleistung. Auch der Handel mit Industriegütern zählt dazu. Und hier hat Deutschland sogar eine Menge zu bieten. Nur die Produktion dieser Güter findet nur noch selten bei uns statt“, so Müller.

Deutschland beherberge zwar die meisten Industriemessen. Im Unterschied zu früher, komme heute ein wachsender Wertanteil der im deutschen Industriebasar angebotenen Produkte aus dem billigeren Ausland, zumeist aus dem osteuropäischen Hinterland. Die dortigen Niedriglöhne ermöglichten der deutschen Industrie, der asiatischen Konkurrenz die Stirn zu bieten und sich auch nicht über einen Preiswettbewerb verdrängen zu lassen. „Diese Entwicklung ist kein Beinbruch, sondern muss nur zu konsequenten Schlussfolgerungen der wirtschaftlichen und politischen Entscheider führen. In der heimischen Industrieproduktion können wir keine positiven Beschäftigungseffekte mehr erzielen. Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Heute sind zu wenige Menschen mit der Herstellung von Gütern beschäftigt, als dass ihre Produktivität noch entscheidend wäre. Sie stehen nur noch für ein Fünftel der arbeitenden Bevölkerung“, führt Müller aus. Das viel größere Problem sei, dass die politischen Akteure und Industrieprotektionisten den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft aufhalten. Dabei führe einer konsequenten Dienstleistungsstrategie zu einer größeren Robustheit der Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb.

„Auch für mittelständische Unternehmen macht es keinen Sinn, weiter zu versuchen, die Produktion hier im Land zu halten. Engineering, Marketing, Vertriebssteuerung, Service, auch das sind alles Bausteine der Wertschöpfungskette eines Produktes. Die Auslagerung der Produktion ist nur ein Modul darin, und wie wir schon seit vielen Jahren am Beispiel zahlloser Automobil-Produkte sehen, keineswegs das Wichtigste. Hierzulande ist die Vorstellung von Wertschöpfung noch viel zu sehr mit dem Bild von Fließbändern und maschinengefüllten Hallen behaftet“, kritisiert Müller, der als Wirtschaftssenator beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) aktiv ist. Ein hohes Umsatzwachstum sei nur noch mit Produkten zu erzielen, die auch ein intelligentes Dienstleistungskonzept vorweisen. Das sogenannte Service-Engineering ist der wichtigste Antrieb für die technische Entwicklung in den nächsten Jahren. „Da müssen wir besser werden, denn das sind Leistungen, die sich kaum ins Ausland verlagern lassen. Im härteren Wettbewerb ist der Einstieg ins Servicegeschäft längst keine Frage des ‚Ob’, sondern des ‚Wie’ und des ‚Wann’“, so Müller.

Bislang erzielen deutsche Unternehmen nach einer Accenture-Umfrage weniger als 25 Prozent ihres Umsatzes mit dem Servicegeschäft und liegen im internationalen Vergleich deutlich zurück. 85 Prozent der befragten Firmen sehen sich zudem nicht in der Lage, diese Situation in den kommenden drei Jahren zu verändern. Den meisten Industriegüterherstellern fehlen schlichtweg Ideen, um das Kundendienst- und Servicegeschäft zu einer stärkeren Quelle von Umsatz und Ertrag zu entwickeln und begeben sich damit in eine Abwärtsspirale. Es mangelt an innovativen, integrierten Informationssystemen. 70 Prozent der deutschen Unternehmen kämpfen mit zersplitterten Informations- und Dokumentationssystemen. Lediglich ein Viertel der Hersteller ist dazu in der Lage, in der gesamten Serviceorganisation einheitliche Qualitäts- und Leistungsstandards durchzusetzen. Auch in der Ersatzteillogistik und im Anlagenmanagement werden die Innovationspotentiale moderner Technologien noch von zu wenigen Unternehmen genutzt.

„Innovative Ideen zur Serienreife bringen und umsetzen, Erfahrung sammeln, Know-how und Konzepte verkaufen, das sind Strategien, an denen es seit Jahren in deutschen Unternehmen mangelt. Beispielsweise beim servicegerechten Design von Produkten. Man kann Produkte mit Sensoren entwerfen, die Betriebszustände und den Einsatz in Echtzeit überwachen und rückmelden. Man kann Maschinen und Anlagen im Baukastensystem so planen, dass sie sich modular an den technischen Fortschritt anpassen. Wir sollten uns mehr mit intelligenten Umgebungen und smarten Alltagsgegenständen auseinandersetzen, die mit digitaler Logik, Sensorik und der Möglichkeit zur drahtlosen Vernetzung ausgestattet sind“, betont Müller und schreibt weiter: „Die in Asien produzierte Hardware ist für unsere Zukunft, für neue Arbeitsplätze und Wachstum nicht mehr entscheidend. Mit die Billiglohnländern können wir als Produktionsstandort nicht mithalten. Wir treten jetzt in eine Phase ein, die viel stärker von Softwarespezialisten, Logistikern, Produktmanagern, Marketing- und Vertriebsmanagern geprägt wird. Und da brauchen wir uns nicht zu verstecken. Wir müssen nur lernen, die Dynamik neuer Technologien zu verstehen und die Richtung und das Tempo des technischen Wandels im voraus abzuschätzen. Solange die neue Technik von einem einsamen Daniel Düsentrieb-Erfinder ausging, der außerhalb der Wirtschaft wirkte, war ein solches Verständnis nicht notwendig. Wenn aber eine bereits entwickelte und wachsende Wirtschaft rascher Neuerungen und Veränderungen fähig sein soll, müssen ihre Unternehmer die Innovationen frühzeitig antizipieren und imstande sein, diese Vorteile auch auszunützen“.

Die traditionellen Industrien ließen allerdings selten ihre besten Köpfe an grundlegenden Veränderungen arbeiten. Müller: „Sie neigen dazu, ihre Kräfte bei der verzweifelten Anstrengung zu vergeuden, den Zustand von gestern noch eine Zeitlang zu halten. In einer solchen Lage müssen schöpferische und gescheite Unternehmer außerhalb der Industrie an die Arbeit gehen. In der Dienstleistungsökomomie ist Wissen der elementare Treibstoff für das Zünden einer neuen Wohlstandsrakete und nicht Hierarchien, Befehlsorganisationen, verknöchertes Lobbyistentum oder die Verteidigung des Status Quo. Für neue Ideen, Marketingstrategien und Massenmärkte benötigen wir intellektuelles Kapital und mehr Experimentierfreude. Und nicht den Grundsatz von großen Organisationen: ‚Vom Fuß diese Baumes zur Kron’ fließen munter Ideen hinauf und Vetos hinunter’“.

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