print logo

Marketing und Verkauf müssen organischer werden

Das anorganische im Vertrieb, in der Verkäufermotivation und auch SEM stören eine gesunde Unternehmens- und Markenentwicklung.

Arbeitet organisch!
Klaas Kramer | 20.12.2011
Fast schon wieder vergessen ist die Sexparty der HMI-Vertreter im Budapester Gellert Bad. Gewundert hat sich sowieso niemand, hat sie doch das verbreitete Klischee bestätigt, Strukturvertriebler seien grobschlechtige kulturlose Dumpfbolzen, vom unstillbaren Geltungsbedürfnis getrieben, rocken sie sich in der Pyramide nach oben, sehen jedoch von außen aus wie Gefangene einer Sekte mit einem eindimensionalen Heilsversprechen: „Durch Verkaufen zur finanziellen Glückseeligkeit“.

Lange Zeit funktionierten OVB, AWD und HMI (heute ERGO) gerade deshalb so gut, weil sie auf einfache Weise das quantitative Wachstum der Organisation durch Gleichschaltung mit Verkaufserfolgen jedes einzelnen Mitglieds kombinieren konnten. Bis vor kurzem noch orientierten sich am Wertesystem des Finanzstrukturvertriebs Vertriebsarbeiter sämtlicher Branchen und auch nicht wenige Erfolgstrainer.

Die über das Internet geschaffene Transparenz wirkt der Nachhaltigkeit künstlich gepushter Verkaufserfolge entgegen. Das Herumoptimieren an äußeren Umständen ist kein effektiver Hebel. Die tiefer liegende Dynamik setzt sich immer gegen jeden Kaschier-Versuch durch.

Symtomverkauf

Geschätzte 90 Prozent aller, die im Vertrieb arbeiten, sind damit beschäftigt, innere Hindernisse zu bewältigen: Angst vor dem Verkaufsabschluss, Angst vor dem „Nein“, Angst vor dem „Vorzimmerdrachen“, Angst vor dem arroganten Einkäufer und vor allem Angst vor der Geringschätzung durch Akademiker. In der täglichen Vertriebsarbeit wird diese Angst verdrängt durch Ignorieren der eigenen Feinsinnigkeit. Viele Vertriebsarbeiter können einen Großteil dessen was sie täglich tun mit ihren Werten eigentlich nicht vertreten. Nur 5 bis 10 Prozent lieben das Verkaufen wirklich mit vollem Herzen. Der Rest trägt enorme Konflikte mit sich herum. Zur Unterdrückung dieses Konfliktes konsumieren diese Menschen Trainings und Coachings. Sie kaufen die zahlreichen Bücher und Schulungs-DVDs und füttern damit einen Markt, der von der Abarbeitung an Symptomen profitiert.

Intrinsik

Das Wort Intrinsik habe ich soeben erfunden. Es bedeutet so viel wie „Von Innen heraus, aus dem Selbst, ganz natürlich – kurzum: organisch.“ Intrinsik im Verkauf kommt ohne aufgesetzte Manipulation aus, ohne dass Menschen ihr Selbst verleugnen müssen, um eine Rolle spielen zu können. Intrinsik ist auch in jeder starken Marke vorhanden. Sie erzeugt aus sich heraus Sogkraft ohne verkopfte Nutzenargumentationen. Sie muss und darf gar nicht mit „erborgten Machtmitteln“ arbeiten, wie es der Urgroßvater der Markenlehre Hans Domizlaff vor über 80 Jahren formuliert hat:

„Die Einführungsarbeit einer Markenware ist Sache des Verkaufsapparates. Dabei ist jedoch zu beachten, daß ebenso wie eigenwillige Reklame auch alle sonstigen erborgten Machtmittel außer der suggestiven Kraft der reinen Verkaufskunst Abwehrinstinkte des Marktes wachrufen können.“

SEM ist anorganisch

Search Engine Marketing (SEM) ist auch ein erborgtes Machtmittel. Es erzeugt künstliche (=anorganische) Anziehungskraft. Über Suchmaschinen-Marketing lassen sich zwar Klicks und Leads produzieren. Am menschlichen Körper erschöpft sich jedoch die Anziehung, eben weil sie anorganisch ist.

Suchmaschinen-Marketing ist nur dem ersten Anschein nach eine Maßnahme des Sog-Marketing. Zwar ist der erste Schritt das Eingeben eines Suchbegriffs durch einen Nutzer. Alle folgenden Schritte, die ja bereits programmiert sind, verwandeln den Prozess in ihrer Vollständigkeit und Promptheit der Anwendung in ein aggressives Druck-Marketing. Sobald der Jagdinstinkt eines Vertriebssystems überdeutlich wird, erodiert sie sich selbst. Was mit Kraft und Druck daherkommt, passt nicht ins Internetzeitalter.

Die Sehnsucht nach schnellen Ergebnissen ist menschlich. Die Annahme, Penetranz würde Omnipotenz erzeugen und Omnipotenz würde Größe, Stärke und zwingendes „Habenwollen“ verursachen, ist naiv und wird durch die Marketingpraxis mindestens der letzten 50 Jahre widerlegt. Wer glaubt, Marlboro hätte vor 45 Jahren durch Zuplakatieren des öffentlichen Raumes sich seinen Marktanteil „gekauft“? Wer glaubt, so etwas könne man heute im Internet auch machen? Der Unterschied: Jedes Plakat hat Geld gekostet und setzte die Potenz eines Tabakkonzerns voraus. Penetranz im Internet beruht nicht einmal auf Omnipotenz.

Organische natürlich gewachsene Attraktivität ist heute klarer denn je die einzig nachhaltige Erfolgsstrategie: im Vertrieb, einer Marke, eines Unternehmens. (Siehe Abbildung)