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Land der Dichter und Denker

Raus aus der Heimat, rein in die große weite Welt.
Heimat ist da, wo ich genug verdiene.
Sebastien Philipp | 12.07.2007
Land der Dichter und Denker

Raus aus der Heimat, rein in die große weite Welt. In den deutschsprachigen Ländern Österreich und Schweiz sind Deutsche die am schnellsten wachsende Einwanderergruppe. Aber das sind nicht die einzigen Länder, an die wir einige hunderttausend Mitbürger verlieren. Hunderttausend Einwohner, die sich in anderen Ländern eine neue Existenz aufbauen, wären auch nicht weiter schlimm. Wenn es nicht gerade die qualifizierten Arbeitskräfte wären, die Deutschland verlassen. Einwanderer, die nach Deutschland kommen, sind weitaus schlechter ausgebildet. Deutschland ist zum Auswandererland geworden, seit einigen Jahren ist dies auch in der Wirtschaft spürbar. Die Entwicklungen gehen dahin, dass Fachkräfte spätestens im Jahr 2012 knapp werden.


Heimat ist da, wo ich genug verdiene

Peter E. steht neben seinen gepackten Koffern. Er umarmt seine Kinder zum Abschied und gibt seiner Frau einen letzten Kuss. Dann biegt schon das Taxi in die Straße ein, um ihn zum Flughafen zu bringen. Dieses Szenario spielt sich an jedem zweiten Wochenende ab. Schwer kann sich eine Familie nur an diese Trennung über das Wochenende gewöhnen. Aber die Aussicht lockt, im englischen Brighton dreimal soviel zu verdienen wie in seiner rheinischen Großstadt-Praxis. Das erleichtert den Abschied etwas. Über die Option mit Kind und Kegel ganz auf die britische Insel auszuwandern, dachte der Zahnarzt schon häufiger nach.

Postadresse zeigt das wahre Zuhause

Doch das eigene Häuschen und die Schulausbildung der Kinder sind zwei Faktoren, die ihn an Deutschland binden. Mit seinen lukrativen Wochenendtrips hält er sich immer noch eine Hintertür offen. Singles sind beim Thema Brain Drain wesentlich konsequenter. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik haben im vergangenen Jahr mehr Deutsche das Land verlassen als hierher zurückgekehrt sind. Offiziell wanderten 145.000 Deutsche aus, meldet das Statistische Bundesamt. Nur 128.000 meldeten sich zurück. Das ist jedoch nach Ansicht von Experten des Statistischen Bundesamtes nur die Spitze des Eisbergs. Die tatsächliche Zahl der Abwanderer liegt weit höher, da viele noch nach Jahren eine Postadresse in Deutschland haben. Es sind vor allem Menschen mit mittlerer Qualifikation, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt Probleme haben. Im Ausland bietet sich ihnen jedoch eine Chance, einen Job zu finden.

Trotz der rosigen Perspektiven im Ausland sind die Deutschen keine klassischen Auswanderer, denn sie wollen nicht unbedingt für immer ihre Heimat verlassen. So wie der 47jährige Fräser, dem sich plötzlich die Chance bietet, zwischen Hartz IV und leistungsgerecht vergüteter Arbeit in Norwegen zu entscheiden. Schnell ist klar: Arbeiten im hohen Norden und alle sechs Monate mal zu seiner Familie – alles andere wäre zu teuer. Er kann noch nicht sagen, ob die Auswanderung eines Tages endgültig sein wird.

Abfluss von Humankapital

Hauptanlaufpunkte für deutsche Auswanderer sind die Schweiz und die USA. Österreich ist ebenfalls ein sehr beliebtes Auswanderungsland. Das Alpenland Schweiz zieht Deutsche aus den unterschiedlichsten Gründen an und verdrängt damit die USA von Platz eins. In Zürich beispielsweise haben sich fast 20.000 Deutsche niedergelassen. Die Präferenzen der Deutschen liegen im Banken- und Versicherungsgewerbe, in der Industrie, im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Handwerk sowie in der florierenden Uhrenindustrie. Mehr als ein Drittel aller ausländischen Wissenschaftler sind Deutsche. So stammt ein Drittel der behandelnden Mediziner im Berner Inselspital aus der Bundesrepublik.


Was für das Arbeiten in der Schweiz spricht, ist der Verdienst, der viel höher ist als in Deutschland: Zudem kommt die seit Jahren starke Konjunktur und die geringe Wahrscheinlichkeit, gekündigt zu werden. Der größte Vorteil ist aber natürlich die gemeinsame Sprache. Das gilt auch für das Nachbarland Österreich. Da ist es dann nicht mehr verwunderlich, wenn jemand im Dirndl plötzlich sächselt. Denn vor allem die Ostdeutschen sind mit Begeisterung aus dem 1.000 Kilometer entfernten Mecklenburg-Vorpommern in den Nobel-Skiort Lech gekommen. Hier arbeiten sie hauptsächlich im Dienstgewerbe. In Österreich könnte der Tourismus ohne deutsche Mitarbeiter nicht funktionieren. Rund 8.000 Deutsche arbeiten als Kellner, Köche und Stubenmädchen in dem Alpenland.

Raus aus dem Land der Dichter und Denker

Über den Auswanderungstrend sorgen sich vor allem Fachleute, da es sich meist um hoch qualifizierte Fachkräfte handelt, die ins Ausland gehen. Wie zum Beispiel Spitzenforscher, die Deutschland mit Innovationen nach vorne bringen könnten. Ausländische Spitzenforscher zieht es aber nicht nach Deutschland. Die Entwicklung zeigt, die Bundesrepublik hat mehr gut Ausgebildete an das Ausland verloren, als dass neue zugewandert wären. Der Vorwurf an die Regierung lautet: Jahrzehntelanger organisierter Unterschichten-Import. In Australien und Kanada undenkbar, hier werden Einwanderer nach einem komplexen Punktesystem ausgewählt. Ausschlaggebend sind Schulabschluss und Sprachkenntnisse der Einwanderungswilligen.

In Deutschland wird die Einwanderung nicht wirklich gesteuert. In der Süssmuth-Kommission gab es zwar den Vorschlag, ein Zuwanderungsgesetz nach dem Punktesystem wie in Kanada, Neuseeland und Australien zu gestalten, aber im Vermittlungsausschuss wurde er schlicht gestrichen. So kommen die Fachkräfte nur, wenn sie angeworben werden. Und auf der politischen Agenda steht immer noch die Forderung: “Wir brauchen ein System, das auswählt, wer für Deutschland interessant ist.“ Doch die Frage stellt sich, ob ein qualifizierter Pole in Deutschland arbeiten möchte, wenn die deutsche Fachkraft das Land schon verlässt.



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