Wertschätzung als kritisches Element in der Führung
Ob Touristik, Gastronomie oder Handwerk: die Preise steigen, die Qualität sinkt und die Wartezeiten werden länger. Es mangelt an Fachkräften und die Kündigungsquote klettert in ungeahnte Höhen. Geht es um Mitarbeitergewinnung und -bindung, taucht aktuell immer öfter das Thema Wertschätzung als zentrales Erfolgskriterium auf. Doch wie kann man echte Wertschätzung im Führungsalltag etablieren? Und lässt sich wertschätzende Kommunikation tatsächlich lernen? Antworten darauf gibt Christian Bernhardt im neuen Buch „Echte Wertschätzung“ (BusinessVillage, ISBN 978-3-86980-666-2) und hier in diesem Interview.
Herr Bernhardt, warum ist Wertschätzung gerade heute so wichtig?
Christian Bernhardt: Wertschätzung hat sich in den letzten Jahren zum kritischen Element in der Führung und beim Wettbewerb um die besten Mitarbeiter entwickelt. Die drei wichtigsten Gründe lauten:
1. Sie stellt im D-A-CH Raum den zentralen Faktor attraktiver Arbeit dar.
2. Sie entscheidet darüber, ob Mitarbeiter bleiben oder gehen.
3. Sie prägt die Attraktivität des Arbeitgebers und seinen Zugang zu guten Mitarbeitern.
Können Sie uns dazu etwas mehr erzählen?
Christian Bernhardt: Sehr gerne, beginnen wir mit dem ersten Grund. Bereits 2018 zeigte eine Studie der Boston Consulting Group mit global über 360.000 Teilnehmern, dass im D-A-CH Raum das entscheidendste Merkmal guter Arbeit ist, ob diese wertgeschätzt wird. Neben dem Gehalt als Hygienefaktor ist letztlich ausschlaggebend, ob Organisation und Führungskraft den Einsatz ihrer Mitarbeiter auf der emotionalen Ebene honorieren. Zum 2. Grund: Im Frühjahr 2021 baute sich in den USA eine riesige Kündigungswelle auf, die mittlerweile Europa erreicht hat. Sie spülte die Mitarbeiter aus den Unternehmen und ließ diese ratlos zurück. Als McKinsey die Gründe untersuchte, wegen derer die Mitarbeiter gingen und diese mit den Annahmen verglich, die die Arbeitgeber hinsichtlich der Kündigungen hatten, kam es zu einer Überraschung: Von den vier wichtigsten Gründen, wegen derer Mitarbeiter ihre Unternehmen verlassen, schätzten letztere lediglich den vierten richtig ein (mangelnde Work-Life Balance). Die Top 3 Kündigungs-Gründe (mangelnde Wertschätzung durch die Organisation, mangelnde Wertschätzung durch die Führungskraft und mangelndes Zugehörigkeitsgefühl) verorteten die Unternehmen auf den Plätzen 11, 19 und 14, also unter „ferner liefen“! Viele Unternehmen segeln im Blindflug an den wirklichen Bedürfnissen ihrer Belegschaft vorbei. Schließlich der 3. Punkt. Wenn Mitarbeiter gehen, gibt es Gründe. Und diese behalten sie nur selten für sich. Eine vergraulte Fachkraft teilt ihren Unmut durchschnittlich mit 8 weiteren Fachkräften, also genau mit jenen Talenten, die es bräuchte, um die freigewordene Position neu zu besetzen. Werden die negativen Erfahrungen auf Plattformen geteilt, verschärft das die Situation zusätzlich. Immerhin orientieren sich von den begehrten Young Professionals bis zu 70 % an den Beurteilungen auf Kununu und Glassdoor. Die Hälfte verwirft ihre Bewerbung, wenn das Rating eines Arbeitgebers nicht stimmt.
Wir alle kennen zwar den Begriff Wertschätzung, dennoch hat er eine subjektive Komponente. Wo fängt Wertschätzung an, wo hört sie auf?
Christian Bernhardt: Das ist ein guter Punkt, denn Wertschätzung wird tatsächlich mit zweierlei Maß gemessen! Einerseits ist fast jeder der Meinung, er würde sie ausreichend erweisen. Andererseits wird sie sehr häufig vermisst, weil man das Gefühl hat, dass sie einem selbst gegenüber nicht in dem Ausmaß erwiesen wird, wie man sie eigentlich verdient und erwartet hätte. Aber damit nicht genug: Neben dem subjektiven Charakter hat sich das Verständnis darüber, was Wertschätzung ist, im Laufe der Jahre verändert. Vom Wortursprung her geht es um eine ökonomische Bedeutung: Der Wert von etwas wurde geschätzt, um ihn angemessen zu vergüten. Und so ist das aus Sicht der Führung oft heute noch: Ein Mitarbeiter, der eine gute Leistung bringt, wird dafür geschätzt. Ein anderer, bei dem es dauernd Probleme gibt, eher nicht. Daneben entwickelte sich jedoch ein zweites, humanistisch geprägtes Verständnis des Begriffs. Nach diesem soll jeder einfach für sein Mensch-sein geschätzt werden.
Dabei erwartet Führungskräfte sicher das ein oder andere Hindernis, richtig?
Christian Bernhardt: Definitiv! Zum Beispiel die selbsterfüllende Prophezeiung: Wenn verschiedene Mitarbeiter immer wieder typische Böcke schießen, liegt die Versuchung nahe, irgendwann alle über einen Kamm zu scheren. Man weiß genau, „wie Mitarbeiter ticken“. Das Problem dabei: Die sozialpsychologische Forschung, Stichwort Pygmalion Effekt, belegt, dass die Haltung der Führungskraft dazu führt, dass sie jene Mitarbeiter erhält, die ihrer inneren Einstellung entsprechen. Ein wirksames Kredo in der Führung sollte von daher sein: Du bist als Mensch voll akzeptiert, aber für dein Verhalten auch voll verantwortlich! Das Einfordern einer vereinbarten Leistung muss möglich sein, ohne dass sich jemand persönlich entwertet fühlt. Es kann, soll und darf nicht sein, dass Mitarbeiter sich auf das humanistische Verständnis von Wertschätzung zurückziehen, wenn es nicht so läuft wie geplant. Gleichzeitig dürfen Unternehmen nicht die Augen vor den sich verändernden Machtverhältnissen am Fachkräftemarkt verschließen! Auch hier regelt die Nachfrage den Preis. Der War for Talents ist vorbei; die Talente haben gewonnen!
Was können Führungskräfte also ganz konkret tun, um ihren Mitarbeitern mehr Wertschätzung entgegenzubringen?
Christian Bernhardt: Eine alte Kommunikations-Regel besagt, dass der Empfänger die Botschaft macht. Das Verhalten einer Führungskraft ist also nur dann wertschätzend, wenn es vom Mitarbeiter auch so empfunden wird. Da Menschen unterschiedlich sind, gelingt wertschätzende Führung umso besser, je individueller diesen Unterschieden Rechnung getragen wird. Dafür braucht es Empathie, Interesse am Einzelnen und das Wissen darum, worauf es zu achten gilt. Unter anderem darauf, aus was für einer Wertewelt der Mitarbeiter kommt. Wertschätzung ist eng mit jenen Ansichten verbunden, die unser Verhalten, Handeln und Fühlen prägen. Die Herausforderung für die Führung liegt also darin, die Verschiedenheiten der Wertewelten ihrer Mitarbeiter zu integrieren. Ein erster Schritt könnte darin liegen, gemeinsam über die unterschiedlichen Wertewelten zu sprechen und dann zu schauen, was das für die gemeinsame Arbeit bedeutet. Werte sind ja nicht statisch, sondern entstehen und entwickeln sich im gemeinsamen Diskurs. Was grundsätzlich nicht mehr geht, ist eine „friss oder stirb Haltung“ der Führung. Wenn diese nach dem Motto „solange ich dein Gehalt bezahle, übernimmst du meine Werte“ fordert, dass Mitarbeiter eigene Überzeugungen übergehen, wird das nicht klappen. Es braucht eine Führung, die sich der Individualität der Mitarbeiter bewusst ist und ihr Rechnung trägt.
Wie kann das gelingen?
Christian Bernhardt: Wir wissen, dass Mitarbeiter hinsichtlich der Wertewelten unterschiedlich sind, aber auch in Bezug darauf, wie sie Anerkennung wahrnehmen. Während ein Mitarbeiter gelobt werden will, reagiert ein anderer stärker auf Hilfsbereitschaft. Der Dritte fühlt sich durch gemeinsam verbrachte Zeit und gute Gespräche anerkannt, während der Vierte materielle Zuwendungen bevorzugt. Darauf kann man sich als Führungskraft einstellen. Führung wird auch zukünftig noch benötigt, sie muss jedoch empathischer, non-direktiver und individueller werden. Das Schöne ist, dass die Konzentration auf den Menschen ebenfalls direkt dazu führt, dass die Zahlen stimmen. Aber es geht eben nur in diese Richtung: Wer die Menschen den Zahlen opfert, verliert schlussendlich beide. Wer dagegen bereit ist, die Zahlen den Menschen zu opfern, gewinnt beide. Die Reihenfolge machts.