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Auswirkungen der Corona-Krise auf den B2C-Handel

Die Corona-Krise wird sich auf die gesamte Wirtschaft disruptiv auswirken. Was das genau bedeutet, lässt sich heute ansatzweise voraussehen.
Brian Walker | 06.04.2020
Auswirkungen der Corona-Krise auf den B2C-Handel © Pexels / Polina Tankilevitch
 

Dieser Ausblick zeigt, was langfristig auf Händler zukommen könnte.  

 

Um die Pandemie zu verlangsamen, sollen die Menschen jetzt zu Hause bleiben und ihre sozialen Kontakte auf das Nötigste beschränken. Dies bringt ein verändertes Einkaufsverhalten hervor. Es ist davon auszugehen, dass Kunden die neuen Gewohnheiten zum Teil beibehalten werden, auch wenn die Einschränkungen des öffentlichen Lebens in einigen Wochen bis Monaten wieder aufgehoben sind. Der moderne Durchschnittsmensch war bereits vor Corona ein Digitaljunkie, der sich tagtäglich im Web informiert, dort einkauft sowie im Rahmen von Omnichannel-Commerce flexibel zwischen Online- und Offline-Touchpoints wechselt. Trotzdem generierten Unternehmen den Großteil der Umsätze noch in stationären Ladengeschäften. Diese sind nun eine potenzielle Gefahrenzone – und Kunden weichen auf die digitalen Kanäle aus. Laut einer Analyse von Bloomreach ist zum Beispiel der Traffic aus Suchanfragen im Bereich Lebensmittel und Retail, also u. a. bei Großhändlern, Drogerien und Apotheken, in der Woche vom 15. bis zum 21. März um 322 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, die Verkäufe gingen insgesamt um rund 61 Prozent nach oben. In den Bereichen Lebensmittel und Drogerie machen Online-Käufe bislang nur rund ein Prozent des Gesamtumsatzes aus. Zum Vergleich: Im gesamten Einzelhandel liegt der Online-Anteil bereits bei 15 Prozent. Die aktuellen Schutzmaßnahmen vor dem Virus könnten dazu beitragen, dass Kunden auch Waren des täglichen Bedarfs verstärkt im Web ordern.

Digital schlecht aufgestellt

Egal ob via Mobilgerät oder Desktop-PC, Waren jeglicher Art werden jetzt online eingekauft: von haltbaren Lebensmitteln bis hin zu Konsumgütern, die Kunden aus einem spontanen Impuls heraus bestellen. Die Lieferung an die Haustür ersetzt den Gang in die Innenstadt und könnte sich für den typischen urbanen Konsumenten auch langfristig zur Norm entwickeln. Für Händler, die weder effektive digitale Absatzkanäle noch Wege besitzen, um mit ihren Kunden online in Kontakt zu treten, markiert dies den Beginn einer Krise. Je nach Warengattung und Grundfläche der Ladengeschäfte ist es für sie überlebenswichtig, Services wie Lieferung am selben Tag oder Online-Bestellung mit Abholung am stationären Point-of-Sale ad-hoc einzuführen. Der Händlerbund hat Unternehmen befragt, wie sie den Einfluss der Corona-Krise auf ihr Geschäft einschätzen: Während 9 Prozent der Händler der Meinung sind, ihr Business profitiere von der Situation, fürchtet mehr als die Hälfte (55 Prozent) negative Auswirkungen. Bei fast jedem zweiten Händler (45 Prozent) sind diese in Form eines sinkenden Umsatzes bereits spürbar. Zudem sehen sich die Unternehmen mit Behinderungen beim Versand, eingeschränkter Warenverfügbarkeit, zunehmenden Stornierungen, unterbrochenen Lieferketten und abgesagten Messeterminen konfrontiert.

Amazon jetzt nicht das Feld überlassen

Obwohl Amazon und andere E-Commerce-Plattformen von denselben Herausforderungen betroffen sind, könnte sich deren Anteil am Online- und am gesamten Handel in der aktuellen Krise noch vergrößern. Die chinesischen Marketplace-Händler sind durch das Virus zwar vorübergehend beeinträchtigt, doch Amazon wandelt sich mehr und mehr zur Anlaufstelle für den Erwerb von Waren, die Kunden bisher offline eingekauft haben. 2019 besaßen in Deutschland bereits mehr als 17 Millionen Haushalte ein Amazon-Prime-Abo. Da in einem Haushalt auch mehrere Personen leben können, entspricht das ungefähr der doppelten Anzahl an Menschen. Diese Marktmacht von Amazon in Kombination mit seinen effizienten Fulfillment-Prozessen, dem riesigen Sortiment und dem hohen Stellenwert für Konsumenten ist nicht erst seit Corona eine Bedrohung für den Einzelhandel. Marken und Händler können es sich nicht leisten, noch mehr Kunden an Amazon zu verlieren. Sogar diejenigen, die den Marktplatz bislang erfolgreich als Verkaufskanal genutzt haben und darin jetzt eine kurzfristige Chance auf mehr Umsatz sehen, laufen Gefahr, ihre eigene Markenpositionierung und -differenzierung auf lange Sicht zu untergraben. Anstatt dazu beizutragen, dass sich die Nachfrage noch stärker auf Amazon konzentriert, sollten Händler darauf hinarbeiten, den eigenen Marktanteil zu steigern oder wenigstens zu behaupten.

Der große Sturm

Abgesehen von einigen Ausnahmen – Händler, die einen Nischenmarkt bedienen oder deren Geschäftsmodell auf niedrigen Margen und kurzen Verkaufszyklen basiert –, ist der Handel ernsthaft in Bedrängnis. Viele Marken haben ihre stationäre Präsenz über die letzten zwei Jahrzehnte hinweg aufgebaut und sitzen jetzt buchstäblich in der Falle: Sie stecken fest in zu vielen Mietverträgen für Stores, deren Gewinne schon vor der Krise zu wünschen übrig ließen. Außer im Lebensmittelhandel kommt in diesen Läden der Verkauf jetzt komplett zum Erliegen. Und bei den meisten dieser Händler sind die digitalen Kanäle, geschweige denn Omnichannel-Services, noch nicht weit genug entwickelt, um die Verluste auffangen zu können. Unterbrochene Lieferketten und weltweites Logistikchaos tun ihr Übriges. So geraten von heute auf morgen nicht wenige an den Rand der Insolvenz. Auch wer jetzt noch gut dasteht, wird angesichts eines erschütterten Kundenvertrauens und veränderten Konsumverhaltens in einer Phase der wirtschaftlichen Stagnation oder Rezession massiv zu kämpfen haben.

Das eigene Geschäft neu denken

Wie kann und wird der Handel reagieren? Zu erwarten ist, dass E-Commerce-Treibende das digitale Kundenerlebnis mit vielfältigerem Content weiterentwickeln und dabei intensiver mit neuen Technologien wie Augmented und Virtual Reality (AR/VR) experimentieren werden. Es wird mehr digitale Innovationen und kreative Kanäle geben, beispielsweise das Einkaufen über Social-Media oder Online-Shopping-Streams. Viele dieser Versuche werden ein Flop sein, manche ein Erfolg. Es bleibt zu hoffen, dass dank der angekündigten staatlichen Hilfen die große Mehrheit der Unternehmen die kommenden Monate überstehen wird. Sobald die akute Krise überwunden ist, wird es nötig sein, das eigene Geschäft ganz neu zu denken. Denn so viel ist sicher: Der „Schwarze Schwan“ verändert gerade von Grund auf die Art und Weise, wie Konsumenten zu den verschiedenen Online- und Offlinekanälen stehen und diese nutzen.

Img of Brian  Walker

Brian Walker ist Chief Strategy Officer bei Bloomreach, Anbieter einer Digital-Experience-Plattform (DXP).