Digitale Trends im stationären Handel
Ein Fachbeitrag von Irene Schröder und Michael Nordhausen Hat der stationäre Einzelhandel die digitale Welt vor wenigen Jahren noch als dunkle Bedrohung bewertet, wird die Digitalisierung zunehmend als Chance für das Filialgeschäft bewertet. Der Handel steht jetzt vor der Herausforderung, die richtigen Trends in der richtigen Dosis zu identifizieren, um diese Chance auch gewinnbringend zu nutzen – und nicht durch eine Überdosis an Daten und Technologien den Blick und das Gespür für das eigene Geschäft zu verlieren. Mobiler Datenzugriff am PoS Immer mehr stationäre Händler übertragen die Online-Shop-Logik in die Filiale und bessern dort nach, wo die Online-Shops ihnen voraus sind. Im Trend ist zum Beispiel der Einsatz von Mobiltechnologie für den direkten Datenzugriff am Point of Sale (PoS). Kunden haben beispielsweise die Möglichkeit, ausführliche Informationen zum Produkt direkt am PoS per Smartphone abzurufen. QR-Codes auf der Verpackung, Beacons oder Near Field Communication Tags (NFC) am Regal machen es möglich. Beispiele sind technische Details zu der Leistungsfähigkeit und Systemkompatibilität von elektronischen Geräten oder zu Lebensmitteln passende Kochrezepte. Verkäufer können im Kundengespräch per Tablet Detailinformationen zum Produkt abrufen, Kunden bei Bedarf direkt ein Erklär- oder Einsatzvideo zum Produkt zeigen oder ein sinnvolles Zusatzprodukt vorstellen. Ebenso lassen sich Lagerbestände oder die Warenverfügbarkeit in anderen Filialen abrufen und unmittelbar eine Bestellung aufnehmen, die der Kunde wahlweise in der Wunschfiliale abholen oder sich direkt nach Hause schicken lassen kann. Kundenbindungsmaßnahmen können per Tablet auf der Fläche umgesetzt werden. Beispiele sind die Registrierung von Kundenkarten oder das Anmelden zu Kundenevents und -aktionen. Auch der Bezahlprozess kann auf der Verkaufsfläche über Tablets oder Smartphones abgewickelt und der Kassenbon dem Kunden auf Wunsch per E-Mail zugeschickt werden. Customer Centricity Datengetriebene Aktivitäten bieten dem stationären Handel zudem vielfältige Möglichkeiten, Konsumenten im Sinne der allgemein im Trend liegenden „Customer Centricity“ (Kundenzentrierung) über verschiedene Kanäle passgenau anzusprechen: Ein Beispiel sind Location Based Services: Dem Konsumenten werden über das Smartphone spezielle Angebote oder Informationen über ein Produkt als Push-Nachricht in dem Moment zugespielt, wenn er an dem jeweiligen Store vorbeigeht. Zudem lassen sich Konsumenten über Social-Media-Kanäle wie Facebook, Instagram und Co. fortlaufend mit Bildern, Videos und Nachrichten zu Produkten, Trends, Aktionen und Events informieren. Sie werden dadurch enger an den Shop gebunden. Eine weitere Möglichkeit ist die Versorgung der Kunden mit individualisierten Angeboten: Sie erhalten abhängig von der über die Kundenkarte erfassten Umsätze und Artikelvorlieben spezielle Angebote und Rabatte per Mail oder über eine App. Multi-Channel-Strategie Weiterhin verstärken wird sich der Trend der Multi-Channel-Strategie, die On- und Offline-Angebote kombiniert. Essentiell für den Erfolg sind genaue Kenntnisse über die Einkaufsbedürfnisse der Kunden. Diesen Erkenntnisgewinn ermöglichen beispielweise Instrumente wie Intent Recognition im Online-Shop: Mittels KI-basierter Analytik wird die Kaufabsicht des Kunden antizipiert, um die Seiteninhalte, die Produktauswahl und die Kaufoptionen darauf auszurichten. Das gelingt unter anderem mittels spezieller Filtermethoden: Ausgehend von der Annahme, dass zwei Personen, die dieselben Produkte bestellen, auch ein Interesse an bestimmten weiteren Artikeln teilen, können Händler aus den bisherigen Käufen eines Nutzers Prognosen über seine Präferenzen ableiten und diese auf eine andere Produktgruppe oder auf neue Produkte, Kollektionen, Cross- und Upsales anwenden. Außerdem lässt sich die Shop-Suche so optimieren, dass dem Kunden auch Suchergebnisse zu einem Synonym verwendeten Begriff angezeigt werden: sucht ein User zum Beispiel nach „Sandalen“, werden auch Ergebnisse für die Begriffe „Sandaletten“, „Pantoletten“ und „Flip-Flops“ angezeigt. Zudem wird die Suche gleich mit passenden Trends verknüpft (Synonym Mapping). Der Handel kann sich zudem über die Analyse multidimensionaler Daten aus Tracking, Produktkatalogen und anderen Datenquellen ein genaues Bild des Nutzerverhaltens machen, um daraus passende Werbung oder Cross-Selling-Angebote abzuleiten. Über die Analyse von Social-Media-Plattformen lässt sich ermitteln, welche Interessen Verbraucher haben, über welche Themen sie in welcher Art und Weise am häufigsten sprechen und wie sie sich zu Produkten oder dem Kundenservice äußern. Aus diesen Informationen werden dann individuelle Marketingmaßnahmen abgeleitet. Digitalisierungsstrategien in der Praxis Eine allgemeine Dosierungsempfehlung in Sachen Digitalisierung gibt es nicht. Jedes Handelsunternehmen muss individuell entscheiden, wie viel digital gut tut. Die Digitalisierung in homöopathischen Dosen hat sich beispielsweise ein auf Bekleidung spezialisiertes Unternehmen im Handel der INTRO-Gruppe verordnet. Das betrifft etwa Services wie das Nachordern von Waren aus anderen Filialen in der Wunschgröße und -farbe in die Wunschfiliale und die Kommunikation mit den Kunden per WhatsApp oder E-Mail – zum Beispiel, um sie über die Verfügbarkeit der Ware zu informieren. Aktuell beschäftigt sich das Unternehmen mit den Möglichkeiten des Bezahlens direkt auf der Fläche, um den Check-out-Prozess für Kunden zu vereinfachen. Gleichzeitig konzentriert sich das Handelsunternehmen auf die Stärken, die der stationäre Handel gegenüber dem Online-Shopping hat: Einkaufen erlebbar zu machen, beispielsweise über die Beratung durch fachlich geschultes Personal, eine integrierte Kaffeebar und komplementäre Produktangebote auf der Fläche – etwa Wohnaccessoires. Einer der in Europa führenden Anbieter von Wohnaccessoires orientiert sich bereits seit einiger Zeit in Richtung Multi-Channel-Retail und bietet Kunden die Möglichkeit, über verschiedene Kanäle auf das Sortiment zuzugreifen. Dazu gehören neben mehreren Filialen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und einem Online Shop auch Verkaufsflächen im Einzelhandel nach dem Shop-im-Shop-Prinzip. Netz-Shopper können per Click and Collect bzw. Click and Reserve die Vorteile des stationären Händlers nutzen: Sie kaufen den Wunschartikel online ein, respektive reservieren ihn und holen ihn in der Wunschfiliale ab. Per In-Shop-Order ist es möglich, in der Filiale eine Bestellung online aufzugeben und nach Hause oder zur Abholung in die Filiale zu bestellen. Im Rahmen der vertriebskanalübergreifenden Kommunikationsstrategie nutzt der Händler zudem das Bonusprogramm Payback für die ganzheitliche Kundenverbindung. Auf Omni-Channel-Szenarien setzt auch die MediaMarkt Saturn Retail Group mit den Handelsmarken Saturn und MediaMarkt. Die Elektronikmärkte bieten ihren Kunden in den Filialen unter anderem Omni-Channel-Szenarien wie Click and Collect und Mobile Payment sowie – im Erprobungsstatus – Mobile Check-out, das kassenlose Bezahlen direkt am Regal per Smartphone. Digital sind auch die Preisschilder in den Filialen: Die Electronic Shelf Labels (ESL) ermöglichen es, schnell auf Preisänderungen zu reagieren. Die Mitarbeiter sind mit Tablets ausgestattet, um dem Kunden bei Bedarf weitere Produktinformationen zu geben. Die Popken Fashion Group vertreibt Bekleidung und Accessoires in Filialen, im Versand- und Internethandel sowie über ausgewählte B2B-Partner. Das Kundenkonto wird über alle Kanäle geführt. Kundinnen können im Versandhandel gekaufte Ware im Laden retournieren. Per Click and Ship kann Ware im Laden bestellt und an die Kundenadresse geliefert werden, umgekehrt können per Click and Reserve Artikel im Onlineshop bestellt und zur Abholung in die Filiale geschickt werden – mit der Option, die georderte Ware im Laden anzuprobieren und bei Nichtgefallen direkt zu retournieren. Die Verkaufsberater auf der Fläche können per Tablet jederzeit Bestände aus allen Filialen, dem Online Shop und aus weiteren Lagerorten abrufen. Worauf es ankommt Egal, ob der Handel die Digitalisierung informierend, verfügbarmachend oder logistisch unterstützend nutzt, ob punktuell oder durchgängig – erforderlich sind zum einen Daten: zu Kunden, zu Waren, zum Wetter, zum Wettbewerb, zum Lagerbestand, zur Kaufkraft, zu Preisen etc. und passende Technologien wie spezifische Schnittstellen, Business Intelligence und KI-basierte Analytik, um diese Daten aus unterschiedlichen Systemen extrahieren, verknüpfen und informativ abbilden zu können.