Warum der Stuhl des Regisseurs Armlehnen hat
Ob es frühmorgens oder zu nachtschlafender Stunde geschah, wissen wir nicht. Fest steht nur, dass sich am 22. März 2017 eine unbekannte Person genötigt fühlte, den Artikel „Content Marketing“ auf Wikipedia zu bearbeiten. Und obwohl ich zeitnahe Aktualisierungen natürlich lobenswert finde, bin ich vom Resultat doch etwas enttäuscht. Denn noch immer lässt der Artikel offen, was der Empfänger hören oder lesen will, um dem Absender die beiden wertvollsten Güter, also Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Mit der Handlungsanweisung „man solle die Zielgruppe mit informierenden, beratenden und unterhaltenden Inhalten ansprechen“ werden jedenfalls die wenigsten etwas anfangen können. Es muss wohl dem Adjektiv „unterhaltsam“ angelastet werden, dass die dumme Leerstelle inzwischen mit dem Buzzword „Storytelling“ gefüllt wurde. Aber das ist nur ein weiterer Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, solange Storytelling nicht als Methode gesehen wird, wie das menschliche Gehirn komplexe Informationen verarbeitet. Denn sobald wir unser neuronales Datenverarbeitungssystem genauer unter die Lupe nehmen, erkennen wir auch, wann es einer Geschichte seine Aufmerksamkeit schenkt. Und weil diese Regeln überzeitlichen Charakter haben, kann ich auch das Geheimnis lüften, weshalb der Stuhl eines Regisseurs zwei Armlehnen hat. Nicht um sich bei nackter Verzweiflung über das Gezeigte festzukrallen oder leicht verdreht ausruhen zu können. Die Armlehnen signalisieren, dass auf diesem Stuhl nur einer Platz hat. Denn damit die wichtigsten Regeln einer guten Geschichte bei deren Umsetzung auch wirklich eingehalten werden, braucht es eine hierarchische Struktur. Es braucht einen Regisseur, der führt, diese Regeln verinnerlicht hat und bei der Schlussfassung dafür sorgt, dass alles Überflüssige oder Unpassende gestrichen wird. Das heißt natürlich nicht, dass an einer guten Geschichte nicht mehrere Personen mitarbeiten. Aber wie der Abspann eines Films zeigt, haben diese genau definierte Funktionen und nicht das Recht, die Geschichte durch hoch gehaltene Hände in Teamsitzungen zu verwässern. Guter Content ist eine gute Geschichte. So einfach ist das. Daher möchte ich im Folgenden noch einige Hinweise geben, welche Regeln besonders beachtet werden müssen. Themen zeitübergreifend einbetten Wer informiert, verfällt häufig dem Irrtum, die Information an sich sei schon das Thema. Das ist zwar nicht falsch, aber aus Storytelling-Sicht nur die Hälfte der Wahrheit. Denn guter Content sollte überzeitlichen Charakter haben. Also muss man nach einer Klammer, einem so genannten Plot suchen, der allgemein Menschliches umfasst. „What’s the story?“ Findet Ihr Publikum darauf eine klare Antwort, geht’s bereits Richtung überdurchschnittlichem Content. Prägungen aufnehmen Es gibt Geschichten, an die sich unser autobiografisches Gedächtnis besser erinnert als an andere. Daher versucht guter Content, Assoziationen an solche Geschichten in Gang zu setzen. Und das ist nicht allzu schwierig, wenn wir mit einer Geschichte Erlebnisse aus der Kindheit, der Pubertät und vom ersten Mal abrufen. Erinnere ich Interessenten für Freizeitartikel an den Zeltstangensalat beim ersten Campingurlaub, habe ich bereits einen Impuls zur Beziehungsebene gegeben. An bereits Bekanntes andocken Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Alle guten Geschichten wurden schon einmal erzählt. Und weil das alle großen Schriftsteller und Drehbuchschreiber wissen, komponieren sie lieber geeignete Varianten bekannter Stücke als auf Teufel komm raus Originelles verbreiten zu wollen. Und weckt die Geschichte eines Produkts passende Assoziationen zu kulturell abgespeicherten Geschichten, spricht sie nicht nur ein größeres Publikum an, sondern hat auch höhere Glaubwürdigkeit. Titel als Lockvogel und Wegweiser betrachten Einen guten Titel zu finden, bringt nicht nur die Hälfte der Ernte ein, sondern hilft auch bei der Überprüfung, ob man die eigene Geschichte begriffen hat. Denn wo eine Kernaussage fehlt oder auf Nebenschauplätzen verloren geht, sind gute Titel eher Zufallsprodukt. Wer die Betreffzeile als Buchtitel einer Geschichte sieht, wird auch besseren Content liefern. Helden und Bösewichte positionieren Zu verinnerlichen, dass in jeder guten Story ein Held vorkommt, dem sich irgendwann ein Bösewicht in den Weg stellt, führt automatisch zu besseren Geschichten. Zudem erzählen wir so auch die Geschichten von Produkten, Dienstleistungen und Ideen anders. Und weil jeder Held und Bösewicht selbstverständlich Helfer hat, können wir die Regel eher einhalten, dass es in einer guten Geschichten nur einen Helden und nur einen Hauptfeind gibt. Kulissen und Requisiten aussuchen „What you see is all there is“, sagte der Nobelpreisträger Daniel Kahneman und zieht daraus die Schlussfolgerung, dass wir eine Aussage eher akzeptieren, wenn den unbewusst arbeitenden Hirnarealen auch passende Bilder präsentiert werden. Aber selbst in textbasierter Kommunikation lässt sich mit sorgfältig ausgewählten Wortkulissen eine Atmosphäre schaffen, die der Kernaussage noch mehr Gewicht gibt. Anfang und Ende Weil die schnelle Einschätzung einer Gefahr den evolutionären Zielen dient, sind wir beim Anfang einer Geschichte mehr bei der Sache. Und am Schluss wollen wir natürlich wissen, ob unsere Einschätzung richtig war oder nicht. Aber vor allem möchten wir, dass der Cowboy am Schluss in die Sonne reitet, die Prinzessin ihren Prinzen findet und die Welt besser ist, als uns die Medien täglich verklickern. Als unterhaltsame Weiterbildung zu diesem Punkt empfehle ich den Film „Forrest Gump“. Zumal uns der Satz „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man kriegt“ daran erinnert, dass Erfolg nur bedingt planbar ist.