Die Konkurrenz zwischen Berufs- und Privatleben ist Unsinn
Bestimmt kennen Sie die Werbung, in der eine Hausfrau gefragt wird, was sie denn so mache. Nach kurzer Überlegung meint sie: „Ich führe ein kleines Familienunternehmen.“ Es folgt ein anerkennender Blick des Fragestellers. Wie wäre wohl der Blick ausgefallen, wenn sie gesagt hätte: „Ich bin Hausfrau.“ Eine Werbung, die auf charmante Art entlarvt, woran wir kranken: es fehlt in unserer Gesellschaft an der gleichberechtigten Anerkennung von erwerbstätiger und nicht-erwerbstätiger Arbeit. Daraus folgt eine Unfähigkeit, mit der Verträglichkeit von Familienleben und Berufsleben umgehen. Der Hauptfehler scheint mir dabei zu sein, dass wir hier eine Konkurrenz sehen, die zugunsten des Berufslebens ausgeht. Berufsleben scheint bedeutender zu sein. Für die Anerkennung ist das Privatleben offensichtlich eher ungeeignet. Dabei sollte beide eine Symbiose sein; nicht nur gesellschaftlich, sondern auch soziologisch und psychologisch. Die berufliche Anerkennung ist heute immer noch eine andere, als die private. Das Bedürfnis, in beiden Welten seine Persönlichkeit entfalten zu können, ist durchaus bei vielen Menschen vorhanden. Wir sollten nicht vergessen, dass Erfolg, Leistung und Anerkennung, die wir außerhalb des Beruflichen finden, immer noch nicht die gleiche Qualität wie im Beruf haben. Es ist sicher so, dass Leistung und Anerkennung immer in einer Spannung stehen. Nicht nur gestandene Psychologen, auch Philosophen und Soziologen sind sich durchaus einig, wenn es darum geht, die Verträglichkeit von Berufs- und Privatwelt kritisch zu betrachten. Erfolg, Leistung und Anerkennung, die wir außerhalb des Beruflichen finden, haben nicht die gleiche Qualität, wie im Beruf. Wir werden als Person erst EINE, wenn es gelingt, Beruf und Privates in einem gemeinsamen Lebenskonzept zu erfassen. Als Grundgedanke sollte es auch dem Geschlecht erlaubt sein, das nun einmal die Kinder bekommt, das zu erleben. Die Voraussetzungen, die wir derzeit in der Bundesrepublik haben, unterstützen Familien noch nicht genug, beiden Elternteilen zu helfen, Berufs- und Privatleben miteinander in Einklang zu bringen. Wer jedoch Beruf und Privates nicht in Einklang bringt, fördert seine Angst, Aggression und Niedergeschlagenheit. Und diejenigen, die sich ins Private flüchten, leben nur ihr halbes Leben und werden zum sozialen Krüppel!! Leider hat sich unsere Kultur dazu entschieden, stolz darauf zu sein, wenn es gelingt, Privat- und Berufsleben strikt voneinander zu trennen. Über die tragischen Folgen für das "Seelenheil" wird viel zuwenig nachgedacht, denn es gelingt wohl selten, einen Lebensbereich geordnet und den anderen Lebensbereich ungeordnet zu leben. Beides, Berufs- und Privatleben sollte Leben spenden. Ein Beruf soll nicht nur Leben kosten, sondern auch Leben spenden. Wer im Beruf sozial und psychisch verkümmert, der tut dies auch irgendwann im Privaten. Hier sind nun beide angesprochen, Mann und Frau. Die Überzeugung, die strikte Trennung von Berufs- und Privatleben sei gesellschaftlich richtig, ist für mich sicher auch eine Ursache für die derzeitige öffentliche Diskussion. Es fehlt an der Selbstverständlichkeit der Verbindung von Beidem. Es fehlt an der Anerkennung, dass beide gleichberechtigt sein müssen. Es fehlt an der Anerkennung, dass Menschen in beiden Lebensbereichen ihre Anerkennung suchen. Nur so ist es zu verstehen, dass jemand, der Kinder erzieht, für die andere Welt, die Berufswelt keine Zeit haben darf. Dabei ist der Beruf ein Ort des emotionalen und sozialen Entfaltens. Eine Flucht in eine schöne Privatwelt ist eine Flucht die eher misslingt. Menschen, die mit ihrem Beruf nichts anfangen können, können wahrscheinlich auch mit ihrem Privatleben nichts Rechtes anfangen. Für mich ist es sicher so, dass derjenige, der sich im Beruf nicht ausreichend sozial und emotional entfalten kann, dies nicht wird nachholen können außerhalb des Berufs. Vielleicht liegt hier der Grund darin, dass nicht wenige Frauen einen Großteil ihrer Sehnsüchte nicht befriedigen können, wenn sie sich ausschließlich der Familie widmen. Ich will nicht verschweigen, dass es vielen Frauen durchaus genügt, ohne ein Gefühl des Defizits zu haben. Was aber ist mit denjenigen, die die Reduktion auf das Familienleben als etwas begreifen, das sie nur ihr halbes Leben leben lässt? Gleichzeitig fehlt es in unserer Gesellschaft an der Gleichberechtigung von erwerbstätiger und nicht-erwerbstätiger Arbeit. Erst wenn diese Gleichberechtigung unser Bewusstsein erreicht, werden wir mit der Verträglichkeit von Berufs- und Privatleben leichter umgehen können. Solange die berufliche Anerkennung jedoch einen gesellschaftlich höheren Stellenwert genießt als die nicht-erwerbstätige Arbeit, solange werden daraus entstehende Sehnsüchte nach Anerkennung kaum eine sinnvolle Befriedigung erfahren. Woran erkenne ich nun, dass mein Privatleben mit meinem Berufsleben konkurriert? Solche Merkmale sind für mich zunächst einmal die Unfähigkeit, über seine Gefühle sprechen zu können. Nicht wenige Menschen meinen, Professionalität zeichne sich durch Gefühlskälte aus. "Wir wollen doch professionell sein", bedeutet oft: "lass die Gefühle komplett weg". So nimmt es nicht Wunder, dass immer mehr Managerinnen und Manager unter der Krankheit Alexithymie leiden. Das Wort stammt aus dem Griechischen, und meint "Stummheit der Seele". Ich kenne nicht wenige Menschen, die sich mittlerweile nur noch von einem traurigen Film im Fernsehen anrühren lassen, dass Leben rührt sie nicht mehr. Ein weiteres Merkmal ist der Gedanke, man könne seine Persönlichkeit nur in seinem Privatleben entfalten oder nur der Mensch, der etwas leistet, ist wertvoll. Auch gibt es Menschen, die außerhalb ihres Berufs nur noch Langeweile empfinden. Sie machen nicht mehr ausreichend Urlaub und können von ihren Sorgen nicht mehr abschalten. Oder das Gegenteil ist der Fall, Arbeit ist ihnen lästig. All das sind Merkmale, die auf die Konkurrenz zwischen Berufs- und Privatleben hinweisen. Auf der Strecke bleibt der Mensch. Er wird reduziert auf seine Funktion. Ich meine, nur wenn es gelingt, Berufs- und Privatleben miteinander in Einklang zu bringen, den Sinn des Lebens nicht nur auf den beruflichen Erfolg zu reduzieren, sich für Menschen, und nicht nur Funktionen zu interessieren, entgehen wir der Konkurrenz. Vor allen Dingen sollte man den beruflichen Erfolg nicht zur Messlatte des menschlichen Wertes machen. Für mich macht es wenig Sinn, sich selbst und andere auf sein Funktionieren zu reduzieren. Die sich daraus ergebenden Aussichten für ein sinnvoll geführtes Leben, eine sinnvolle Symbiose von Berufs- und Privatleben sind schauderlich. Es ist sicher tragisch, sein Selbstwertgefühl nur aus dem beruflichen Erfolg zu beziehen. Wegen unserer Leistungen werden wir wohl kaum geliebt, vielleicht geachtet, wenn es gut geht, meistens beneidet. Wenn meine Leistung, dass was ich geschafft habe (meistens wird dies reduziert auf das, was ich an Besitz angehäuft habe), das Einzige ist, das mir Befriedigung gibt, dann bin ich eine ziemlich armer Mensch, denn wenn ich all das verliere, dann habe ich mich selbst verloren. So entsteht bei nicht wenigen Menschen eine große Angst davor, ihren Besitz zu verlieren. Sie merken dabei kaum, dass ihr Besitz anfängt, sie zu besitzen. Es kommt also darauf an, ob wir es schaffen zu begreifen, dass berufliche Anerkennung eine andere Qualität besitzt, als die private Anerkennung, ob wir es schaffen, Menschen unserer Gesellschaft rahmenpolitische Voraussetzungen zu bieten, die die Verträglichkeit von Berufs- und Privatleben sicher stellt, damit wir es möglich machen, die vielen Rollen unseres Lebens auch wahrnehmen zu können und Menschen nicht auf eine einzige Rolle zu reduzieren, die zum Schluss in der Rollenvielfalt nur noch eine Maske sein kann. Ulf Posé