Warum Sieger zuhören und Verlierer auf die Uhr schauen
Respektvolle Kommunikation: Warum Zuhören ein Erfolgsfaktor ist
Was könnten sich unsere Politiker nicht alles ersparen, wenn sie ihren Wählern besser zuhören würden. Den Ruf als überbezahlte, weltfremde Bürokraten zum Beispiel, die nur am eigenen Machterhalt interessiert sind. Peinliche Momente bei der Begegnung mit Wählern, etwa in Talkshows. Und: Wahlniederlagen wegen totaler Fehlinterpretation der Wählerbedürfnisse.
Besonders im Wahlkampf suchen die Bürger bei den Parteien Antworten auf ihre brennendsten Fragen. Gewählt wird, wer diese Fragen am besten beantworten kann. Da es sich dabei um existenzielle Fragen handelt, sind sie oft sehr kontrovers: Wahlfragen sind schwierige Fragen. Und doch findet die eine Partei immer treffendere Antworten als die andere. Warum ist das so? Was können wir von guten Wahlkämpfern lernen? Wie können wir mit besonders schwierigen Fragen umgehen, damit uns unsere persönlichen „Wahlniederlagen“ im Berufsleben und privat erspart bleiben?
Ein Politiker, der wirklich zuhört, kann Menschen erreichen – so effektiv sogar, dass sie ihn zu ihrem Präsidenten wählen. Einer, der nicht zuhört, kann sich dagegen blamieren bis auf die Knochen – und im Extremfall aus dem Amt gewählt werden, weil er eine schwierige Frage falsch beantwortet hat. So geschehen bei einer Wahldebatte, die der amerikanische Kommunikationscoach Jerry Weissman in seinem Buch „In the Line of Fire: How to Handle Tough Questions When It Counts” analysiert hat. Anhand einiger Zitate aus der Debatte möchte ich Ihnen nachfolgend verdeutlichen, warum Zuhören den Unterschied zwischen Siegern und Verlierern ausmachen kann.
Respektvolle Haltung: Zuhören ist Aufmerksamkeit schenken
Am 15. Oktober 1992 durften zum ersten Mal in Amerika Menschen aus der Bevölkerung bei einer politischen Podiumsdiskussion vor der Präsidentschaftswahl direkte Fragen an die Kandidaten richten. Zur Wahl standen der damals amtierende Präsident George H. Bush, der Gouverneur von Arkansas Bill Clinton und der Milliardär Ross Perot. Eine der Bürgerinnen und Bürger, die sich an diesem Tag an der Diskussion beteiligten, war die 26-jährige Afroamerikanerin Marisa Hall. Sie konfrontierte Präsident Bush mit folgender brisanten Frage: „Wie hat die Staatsverschuldung sich auf Ihr persönliches Leben ausgewirkt? Und wenn es keine Auswirkungen gab, wie können Sie ehrlich eine Lösung für die wirtschaftlichen Probleme der breiten Masse finden, wenn Sie keine Erfahrung mit dem haben, was sie plagt?“
Der Befragte hätte kaum eine respektlosere Haltung gegenüber seinen Wählern demonstrieren können, als er es in diesem Moment tat. Während Marisa Hall ihre Frage stellte, schaute George H. Bush nicht etwa in die Augen der jungen Frau – sondern auf seine Armbanduhr. Mit anderen Worten: Er hörte nicht zu. Er zeigte keinerlei Interesse für das Anliegen dieser potenziellen Wählerin. In Gedanken war er mutmaßlich woanders – bei einer anderen Veranstaltung, bei einem tagespolitischen Problem, vielleicht auch beim Abendessen. Bei Marisa Hall jedenfalls war er nicht.
Zuhören ist eine Fähigkeit, die eine respektvolle Haltung gegenüber dem Gesprächspartner voraussetzt. Beschäftigen wir uns nebenbei mit etwas anderem als mit seinem Anliegen, geben wir dem Gesprächspartner zu erkennen, dass sein Anliegen uns nicht wichtig ist. Dass er uns nicht wichtig ist. Dass wir lieber woanders wären.
Respektvolle Körpersprache: Zuhören geht nicht nur mit den Ohren
Respekt ist eine Haltung, die wir unserem Gegenüber durch Kommunikation vermitteln. Eine Möglichkeit, das zu tun, ist das aktive Zuhören. In der Wissenschaft wird es definiert als die affektive (also gefühlsbetonte) Reaktion des Zuhörers auf die Botschaft des Sprechers. Es drückt Aufmerksamkeit, Interesse und Akzeptanz aus. Da der Zuhörer selbst im Moment der Frage nicht spricht, stehen ihm für diese affektive Reaktion nur die Mittel der Körpersprache zur Verfügung. Die affektive Reaktion, die Präsident Bush Marisa Hall entgegenbrachte, als er auf die Uhr schaute, war … nun ja: bestenfalls Langeweile.
Zuhören findet nicht nur mit den Ohren statt. Respektvolle Körpersprache wäre in diesem Beispiel gewesen, der Fragenden in die Augen zu schauen, sich ihr zuzuwenden, eine offene Körperhaltung einzunehmen, vielleicht auch ermutigend zu nicken. Respekt können wir demonstrieren, ohne dass wir ein einziges Wort sagen – mit den Mitteln der Körpersprache. Die innere Haltung Respekt lässt sich also durch eine äußere Haltung vermitteln.
Respektvolle Perspektive: Zuhören bedeutet sich den Schuh anziehen
Um eine respektvolle Haltung – innerlich wie äußerlich – einzunehmen, ist es erforderlich, dass wir uns in unser Gegenüber hineinversetzen. Nur dann können wir erkennen, wie unser Gesprächspartner „tickt“, was ihn wirklich bewegt. An Präsident Bushs erstem Antwortversuch in der Diskussion mit Marisa Hall können wir erkennen, dass er sich keineswegs in sie hineinversetzte: „Also, ich denke, die Staatsverschuldung betrifft jeden. Offenbar …“ Doch die junge Frau hatte an Bushs Wortwahl (und wohl auch schon zuvor an seiner Körpersprache) erkannt, dass er die Frage nicht verstanden hatte. Sie hatte ihn nach seiner persönlichen Betroffenheit gefragt, doch der Präsident sprach über „jeden“. Marisa Hall unterbrach ihn deshalb: „Sie persönlich.“ Wenigstens an diesem Punkt hätte der Republikaner seinen Fehler erkennen und seinen Willen beweisen müssen, sich in das Anliegen der jungen Frau einzufühlen. Dass er das auch an dieser Stelle noch nicht tat, verstärkte den Eindruck seines Unwillens, sich mit der Frage zu identifizieren. Spätestens ab hier bewegte sich Bush in der Gunst des Publikums auf sehr dünnem Eis.
Wenn wir mit unserer Antwort auf eine schwierige Frage unser Ansehen beim Gesprächspartner steigern wollen, müssen wir ihm demonstrieren, dass wir wirklich verstehen wollen, was er sagt. Wir dürfen auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, dass wir nur hören, was wir hören wollen, und dann eine standardisierte Antwort aus einem vorbereiteten Floskelkatalog geben. In der Politik ist – auch von PR-Beratern gefördert – diese Praxis der „Falsche Frage-Antwort-Session“ (eine Formulierung von Jerry Weissman) sehr verbreitet. Sie ist ein Grund dafür, warum Politiker den Ruf haben, volksfremd zu sein. Marisa Hall hatte eine offene Frage gestellt, um herauszufinden, ob der Kandidat Bush in der Lage war, sich ihre Schuhe anzuziehen. Für ihn war das eine Chance, jenes Klischee zu widerlegen. Doch er scheiterte kläglich.
Respektvolle Interpretation: Zuhören heißt hören, was nicht gesagt wird
Die Situation spitzte sich daraufhin immer mehr zu: Der von Marisa Hall in die Pflicht genommene Bush fing auf ihren Einwand hin an, von Zinssätzen zu reden – anstatt von sich persönlich wie es die Frage erforderte. Also wurde er ein weiteres Mal unterbrochen, dieses Mal von der Moderatorin. Auch Marisa Hall versuchte erneut, ihre Frage zu verdeutlichen: „Sie, auf persönlicher Basis, wie sind SIE betroffen?“ Doch der Präsident schlitterte unaufhaltsam weiter auf dem dünnen Eis: „Ich bin sicher, das hat es. Ich liebe meine Enkel. Ich würde sagen, dass …“ Doch die junge Amerikanerin war nicht bereit, lockerzulassen. Sie wollte, dass der Politiker ihr zuhörte, und beharrte auf einer adäquaten Antwort: „Wie?“
Die beiden Dialogpartner bewegten sich hier auf unterschiedlichen Sinnebenen: Marisa Hall auf der persönlichen. George H. Bush auf der politisch-rhetorischen. Noch immer befand er sich nicht auf Augenhöhe mit der jungen Frau. Seine Respektlosigkeit gegenüber ihrem Anliegen kam aus Sicht der Zuschauer einer gefühlten Respektlosigkeit gegenüber allen Wählern gleich, für die Marisa Hall in diesem Moment stand. Er zementierte sie endgültig mit einer erneuten falschen Antwort, als er der Frau praktisch wahllos eine weitere Floskel aus seinem Wahlkampfprogramm kredenzte, bevor er schließlich einlenkte: „Ich würde sagen, dass sie in der Lage sein werden, ihre Ausbildung zu finanzieren. Das ist ein wichtiger Punkt wenn es darum geht, gute Eltern zu sein. Wenn die Frage ... vielleicht ... habe ich sie falsch verstanden. Meinen Sie, dass jemand nicht von der Finanzkrise betroffen ist, wenn er wohlhabend ist?“
Formal machte Bush hier endlich einmal etwas richtig: Er versuchte mit seiner Nachfrage zu ergründen, worum es Marisa Hall mit ihrer Frage eigentlich ging, was ihr wirkliches Anliegen war. Doch er interpretierte völlig falsch, denn noch immer versetzte er sich nicht in sie hinein, sondern blieb bei seiner eigenen Perspektive. Er selbst fühlte sich in diesem Moment in erster Linie angegriffen, und reagierte deshalb defensiv mit einer provokativen Gegenfrage. Er lenkte damit ab vom eigentlichen Anliegen der Frage – und stolperte so in eine weitere Falle der Respektlosigkeit. Die Motivationsfaktoren unserer Mitmenschen sehen nämlich oft ganz anders aus als das, was wir in gefühlten Konfliktsituationen überstürzt in ihr Verhalten hineininterpretieren. Marisa Hall hatte eine Frage gestellt; George H. Bush hatte auf eine andere geantwortet.
Respektvolle Antwort: Auf Anliegen konstruktiv reagieren
Als Marisa Hall auf Bushs vergrätzte Nachfrage hin anhob, ihre Frage ein viertes Mal zu erklären, erkannte Bush schließlich die verfahrene Situation, in die er sich durch seine Ignoranz gebracht hatte, und gab zu: „Ich weiß nicht, ob ich verstehe ... Helfen Sie mir mit der Frage, und ich werde versuchen, sie zu beantworten.“ Nachdem Marisa Hall daraufhin erläuterte, dass ihre Freunde ihre Arbeit verloren hatten und nicht mehr in der Lage waren, ihre Hypotheken zu bedienen, erklärte die hilfsbereite Moderatorin dem Präsidenten auch noch, dass sich die Frage auf die Rezession und die damit einhergehenden Einschnitte bei der Bevölkerung bezog. Und dennoch blieb Bush hartnäckig in der Rolle des beleidigten Politikers: „Gut, also, Stellen Sie sich vor, für einen Tag im Weißen Haus zu sein, und zu hören, was ich höre, zu sehen, was ich sehe, die Post zu lesen, die ich bekomme, und mit den Menschen in Kontakt zu kommen, mit denen ich hin und wieder in Kontakt komme. […] Ich denke nicht, dass es gerecht ist, zu sagen 'Sie haben noch keinen Krebs gehabt, deshalb wissen Sie nicht, wie es ist.“ Und so weiter, und so fort.
Bush redete weiterhin über sich. Um schwierige Fragen zu beantworten, müssen wir jedoch aus unserem Ego heraustreten und versuchen, dem Anliegen unseres Gesprächspartners mit konstruktiven Lösungsansätzen zu begegnen. Nur dadurch können wir ihm demonstrieren, dass wir seine Bedürfnisse respektieren und uns ihnen ernsthaft widmen wollen. Der Respekt, der mit dem aktiven Zuhören beginnt, setzt sich dann in einer lösungsorientierten Antwort fort.
Respektvoll zur Präsidentschaft: Zuhören für Fortgeschrittene
Jerry Weissman schreibt in seiner Analyse der Wahldebatte: „Für eine Nation, die gerade tief in eine wirtschaftliche Krise verstrickt war, kam Marisa Halls Frage genau richtig. Diese Szene sollte sich später als der Wendepunkt zum Negativen in George H. Bushs Karriere herausstellen.“ Tatsächlich fielen die Umfragewerte des Präsidenten innerhalb von 14 Tagen nach der Debatte von 36 auf 31 Prozent (Angaben nach Jerry Weissman).
Weitaus besser beraten war an diesem Tag ganz offensichtlich der spätere Gewinner der Wahl, Bill Clinton. Nachdem Bush sich wieder gesetzt hatte, erhob sich der Gouverneur, ging auf Marisa Hall zu und bat sie, ihr Anliegen zu vertiefen, indem er auf ihre Worte Bezug nahm und sie auf die Situation in ihrem Freundeskreis ansprach. Er näherte sich ihr an, wendete sich ihr zu, nahm Blickkontakt auf und demonstrierte damit verbal wie non-verbal sein Interesse. Und dann, von Angesicht zu Angesicht mit Marisa Hall, sagte er Folgendes: „Also, ich bin seit 12 Jahren Gouverneur eines kleinen Staates. Lassen Sie mich erklären, wie es mich betroffen hat. […] Ich habe gesehen, was in den letzten vier Jahren in meinem Staat passiert ist. Wenn jemand seine Stelle verliert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich ihn mit Namen kenne. Wenn eine Fabrik schließt, kenne ich die Leute, welche sie geleitet haben. Wenn Firmen pleite machen, dann kenne ich sie. Und nun bin ich seit dreizehn Monaten hier draußen unterwegs, in Zusammenkünften wie dieser, auf denen ich mit Menschen wie Ihnen spreche, und das überall in Amerika.“
Clinton machte auch im Rest seiner Antwort alles richtig, indem er zwischen den Zeilen las und Lösungsvorschläge für genau die Probleme anbot, die Marisa Hall aus ihrer Umgebung berichtet hatte. Doch schon, als er sagte, „Menschen wie Ihnen“, hatte er die Debatte faktisch gewonnen. Er beantwortete die schwierige Frage von Marisa Hall auf der persönlichen Ebene, auf der sie gestellt worden war. Er hörte genau auf ihre Worte, und er interpretierte treffsicher, auf welches persönliche Anliegen die junge Wählerin hinaus wollte. Er ging auf Augenhöhe und versetzte sich in dieses Anliegen hinein. Und er fand in seiner Antwort die richtigen Worte, um sowohl seinen Respekt vor ihrer Lebenssituation zum Ausdruck zu bringen als auch zu zeigen, dass er auf Probleme konstruktiv zu reagieren in der Lage war, anstatt in vorbereitete Wahlkampffloskeln auszuweichen. Bill Clinton erwies Marisa Hall seinen Respekt, indem er ihr zuhörte.
Noch einmal mit Respekt: Wie man mit schwierigen Fragen umgeht
Mit schwierigen Fragen haben es nicht nur Präsidentschaftskandidaten zu tun. Wir alle müssen immer wieder mit solchen Situationen umgehen – im Berufsleben, etwa in Konflikt- oder Verhandlungssituationen, genauso wie in der Familie oder mit Freunden. Mit der nötigen Achtsamkeit in schwierigen Gesprächssituationen und einer respektvollen Haltung können Sie auch Killerfragen souverän begegnen. Als kleinen Leitfaden zum Umgang mit schwierigen Fragen möchte ich Ihnen abschließend die Grundregeln kurz und knapp mit auf den Weg geben:
• Zeigen Sie Respekt! Wenn Ihr Gesprächspartner Ihnen eine schwierige Frage stellt, schenken Sie ihm Ihre volle Aufmerksamkeit – nicht etwa Ihrer Armbanduhr.
• Signalisieren Sie Interesse! Hören Sie aktiv zu, indem Sie sich Ihrem Gesprächspartner zuwenden und Blickkontakt aufnehmen; auch ein bestätigendes Nicken kann hilfreich sein.
• Versetzen Sie sich in die Lage Ihres Gesprächspartners hinein! Gehen Sie nicht in eine defensive Haltung, wenn es ernst wird, sondern lassen Sie den Perspektivwechsel zu.
• Lesen Sie zwischen den Zeilen – aber richtig! Versuchen Sie zu ergründen, was das eigentliche Anliegen Ihres Gegenübers ist, und lassen Sie dabei Ihr Ego außen vor.
• Reagieren Sie konstruktiv! Greifen Sie das Anliegen Ihres Gesprächspartners auf, machen Sie Lösungsvorschläge, und verzichten Sie auf vorbereitete Floskeln.
Kommen Sie gut an!
Ihr
René Borbonus
Was könnten sich unsere Politiker nicht alles ersparen, wenn sie ihren Wählern besser zuhören würden. Den Ruf als überbezahlte, weltfremde Bürokraten zum Beispiel, die nur am eigenen Machterhalt interessiert sind. Peinliche Momente bei der Begegnung mit Wählern, etwa in Talkshows. Und: Wahlniederlagen wegen totaler Fehlinterpretation der Wählerbedürfnisse.
Besonders im Wahlkampf suchen die Bürger bei den Parteien Antworten auf ihre brennendsten Fragen. Gewählt wird, wer diese Fragen am besten beantworten kann. Da es sich dabei um existenzielle Fragen handelt, sind sie oft sehr kontrovers: Wahlfragen sind schwierige Fragen. Und doch findet die eine Partei immer treffendere Antworten als die andere. Warum ist das so? Was können wir von guten Wahlkämpfern lernen? Wie können wir mit besonders schwierigen Fragen umgehen, damit uns unsere persönlichen „Wahlniederlagen“ im Berufsleben und privat erspart bleiben?
Ein Politiker, der wirklich zuhört, kann Menschen erreichen – so effektiv sogar, dass sie ihn zu ihrem Präsidenten wählen. Einer, der nicht zuhört, kann sich dagegen blamieren bis auf die Knochen – und im Extremfall aus dem Amt gewählt werden, weil er eine schwierige Frage falsch beantwortet hat. So geschehen bei einer Wahldebatte, die der amerikanische Kommunikationscoach Jerry Weissman in seinem Buch „In the Line of Fire: How to Handle Tough Questions When It Counts” analysiert hat. Anhand einiger Zitate aus der Debatte möchte ich Ihnen nachfolgend verdeutlichen, warum Zuhören den Unterschied zwischen Siegern und Verlierern ausmachen kann.
Respektvolle Haltung: Zuhören ist Aufmerksamkeit schenken
Am 15. Oktober 1992 durften zum ersten Mal in Amerika Menschen aus der Bevölkerung bei einer politischen Podiumsdiskussion vor der Präsidentschaftswahl direkte Fragen an die Kandidaten richten. Zur Wahl standen der damals amtierende Präsident George H. Bush, der Gouverneur von Arkansas Bill Clinton und der Milliardär Ross Perot. Eine der Bürgerinnen und Bürger, die sich an diesem Tag an der Diskussion beteiligten, war die 26-jährige Afroamerikanerin Marisa Hall. Sie konfrontierte Präsident Bush mit folgender brisanten Frage: „Wie hat die Staatsverschuldung sich auf Ihr persönliches Leben ausgewirkt? Und wenn es keine Auswirkungen gab, wie können Sie ehrlich eine Lösung für die wirtschaftlichen Probleme der breiten Masse finden, wenn Sie keine Erfahrung mit dem haben, was sie plagt?“
Der Befragte hätte kaum eine respektlosere Haltung gegenüber seinen Wählern demonstrieren können, als er es in diesem Moment tat. Während Marisa Hall ihre Frage stellte, schaute George H. Bush nicht etwa in die Augen der jungen Frau – sondern auf seine Armbanduhr. Mit anderen Worten: Er hörte nicht zu. Er zeigte keinerlei Interesse für das Anliegen dieser potenziellen Wählerin. In Gedanken war er mutmaßlich woanders – bei einer anderen Veranstaltung, bei einem tagespolitischen Problem, vielleicht auch beim Abendessen. Bei Marisa Hall jedenfalls war er nicht.
Zuhören ist eine Fähigkeit, die eine respektvolle Haltung gegenüber dem Gesprächspartner voraussetzt. Beschäftigen wir uns nebenbei mit etwas anderem als mit seinem Anliegen, geben wir dem Gesprächspartner zu erkennen, dass sein Anliegen uns nicht wichtig ist. Dass er uns nicht wichtig ist. Dass wir lieber woanders wären.
Respektvolle Körpersprache: Zuhören geht nicht nur mit den Ohren
Respekt ist eine Haltung, die wir unserem Gegenüber durch Kommunikation vermitteln. Eine Möglichkeit, das zu tun, ist das aktive Zuhören. In der Wissenschaft wird es definiert als die affektive (also gefühlsbetonte) Reaktion des Zuhörers auf die Botschaft des Sprechers. Es drückt Aufmerksamkeit, Interesse und Akzeptanz aus. Da der Zuhörer selbst im Moment der Frage nicht spricht, stehen ihm für diese affektive Reaktion nur die Mittel der Körpersprache zur Verfügung. Die affektive Reaktion, die Präsident Bush Marisa Hall entgegenbrachte, als er auf die Uhr schaute, war … nun ja: bestenfalls Langeweile.
Zuhören findet nicht nur mit den Ohren statt. Respektvolle Körpersprache wäre in diesem Beispiel gewesen, der Fragenden in die Augen zu schauen, sich ihr zuzuwenden, eine offene Körperhaltung einzunehmen, vielleicht auch ermutigend zu nicken. Respekt können wir demonstrieren, ohne dass wir ein einziges Wort sagen – mit den Mitteln der Körpersprache. Die innere Haltung Respekt lässt sich also durch eine äußere Haltung vermitteln.
Respektvolle Perspektive: Zuhören bedeutet sich den Schuh anziehen
Um eine respektvolle Haltung – innerlich wie äußerlich – einzunehmen, ist es erforderlich, dass wir uns in unser Gegenüber hineinversetzen. Nur dann können wir erkennen, wie unser Gesprächspartner „tickt“, was ihn wirklich bewegt. An Präsident Bushs erstem Antwortversuch in der Diskussion mit Marisa Hall können wir erkennen, dass er sich keineswegs in sie hineinversetzte: „Also, ich denke, die Staatsverschuldung betrifft jeden. Offenbar …“ Doch die junge Frau hatte an Bushs Wortwahl (und wohl auch schon zuvor an seiner Körpersprache) erkannt, dass er die Frage nicht verstanden hatte. Sie hatte ihn nach seiner persönlichen Betroffenheit gefragt, doch der Präsident sprach über „jeden“. Marisa Hall unterbrach ihn deshalb: „Sie persönlich.“ Wenigstens an diesem Punkt hätte der Republikaner seinen Fehler erkennen und seinen Willen beweisen müssen, sich in das Anliegen der jungen Frau einzufühlen. Dass er das auch an dieser Stelle noch nicht tat, verstärkte den Eindruck seines Unwillens, sich mit der Frage zu identifizieren. Spätestens ab hier bewegte sich Bush in der Gunst des Publikums auf sehr dünnem Eis.
Wenn wir mit unserer Antwort auf eine schwierige Frage unser Ansehen beim Gesprächspartner steigern wollen, müssen wir ihm demonstrieren, dass wir wirklich verstehen wollen, was er sagt. Wir dürfen auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, dass wir nur hören, was wir hören wollen, und dann eine standardisierte Antwort aus einem vorbereiteten Floskelkatalog geben. In der Politik ist – auch von PR-Beratern gefördert – diese Praxis der „Falsche Frage-Antwort-Session“ (eine Formulierung von Jerry Weissman) sehr verbreitet. Sie ist ein Grund dafür, warum Politiker den Ruf haben, volksfremd zu sein. Marisa Hall hatte eine offene Frage gestellt, um herauszufinden, ob der Kandidat Bush in der Lage war, sich ihre Schuhe anzuziehen. Für ihn war das eine Chance, jenes Klischee zu widerlegen. Doch er scheiterte kläglich.
Respektvolle Interpretation: Zuhören heißt hören, was nicht gesagt wird
Die Situation spitzte sich daraufhin immer mehr zu: Der von Marisa Hall in die Pflicht genommene Bush fing auf ihren Einwand hin an, von Zinssätzen zu reden – anstatt von sich persönlich wie es die Frage erforderte. Also wurde er ein weiteres Mal unterbrochen, dieses Mal von der Moderatorin. Auch Marisa Hall versuchte erneut, ihre Frage zu verdeutlichen: „Sie, auf persönlicher Basis, wie sind SIE betroffen?“ Doch der Präsident schlitterte unaufhaltsam weiter auf dem dünnen Eis: „Ich bin sicher, das hat es. Ich liebe meine Enkel. Ich würde sagen, dass …“ Doch die junge Amerikanerin war nicht bereit, lockerzulassen. Sie wollte, dass der Politiker ihr zuhörte, und beharrte auf einer adäquaten Antwort: „Wie?“
Die beiden Dialogpartner bewegten sich hier auf unterschiedlichen Sinnebenen: Marisa Hall auf der persönlichen. George H. Bush auf der politisch-rhetorischen. Noch immer befand er sich nicht auf Augenhöhe mit der jungen Frau. Seine Respektlosigkeit gegenüber ihrem Anliegen kam aus Sicht der Zuschauer einer gefühlten Respektlosigkeit gegenüber allen Wählern gleich, für die Marisa Hall in diesem Moment stand. Er zementierte sie endgültig mit einer erneuten falschen Antwort, als er der Frau praktisch wahllos eine weitere Floskel aus seinem Wahlkampfprogramm kredenzte, bevor er schließlich einlenkte: „Ich würde sagen, dass sie in der Lage sein werden, ihre Ausbildung zu finanzieren. Das ist ein wichtiger Punkt wenn es darum geht, gute Eltern zu sein. Wenn die Frage ... vielleicht ... habe ich sie falsch verstanden. Meinen Sie, dass jemand nicht von der Finanzkrise betroffen ist, wenn er wohlhabend ist?“
Formal machte Bush hier endlich einmal etwas richtig: Er versuchte mit seiner Nachfrage zu ergründen, worum es Marisa Hall mit ihrer Frage eigentlich ging, was ihr wirkliches Anliegen war. Doch er interpretierte völlig falsch, denn noch immer versetzte er sich nicht in sie hinein, sondern blieb bei seiner eigenen Perspektive. Er selbst fühlte sich in diesem Moment in erster Linie angegriffen, und reagierte deshalb defensiv mit einer provokativen Gegenfrage. Er lenkte damit ab vom eigentlichen Anliegen der Frage – und stolperte so in eine weitere Falle der Respektlosigkeit. Die Motivationsfaktoren unserer Mitmenschen sehen nämlich oft ganz anders aus als das, was wir in gefühlten Konfliktsituationen überstürzt in ihr Verhalten hineininterpretieren. Marisa Hall hatte eine Frage gestellt; George H. Bush hatte auf eine andere geantwortet.
Respektvolle Antwort: Auf Anliegen konstruktiv reagieren
Als Marisa Hall auf Bushs vergrätzte Nachfrage hin anhob, ihre Frage ein viertes Mal zu erklären, erkannte Bush schließlich die verfahrene Situation, in die er sich durch seine Ignoranz gebracht hatte, und gab zu: „Ich weiß nicht, ob ich verstehe ... Helfen Sie mir mit der Frage, und ich werde versuchen, sie zu beantworten.“ Nachdem Marisa Hall daraufhin erläuterte, dass ihre Freunde ihre Arbeit verloren hatten und nicht mehr in der Lage waren, ihre Hypotheken zu bedienen, erklärte die hilfsbereite Moderatorin dem Präsidenten auch noch, dass sich die Frage auf die Rezession und die damit einhergehenden Einschnitte bei der Bevölkerung bezog. Und dennoch blieb Bush hartnäckig in der Rolle des beleidigten Politikers: „Gut, also, Stellen Sie sich vor, für einen Tag im Weißen Haus zu sein, und zu hören, was ich höre, zu sehen, was ich sehe, die Post zu lesen, die ich bekomme, und mit den Menschen in Kontakt zu kommen, mit denen ich hin und wieder in Kontakt komme. […] Ich denke nicht, dass es gerecht ist, zu sagen 'Sie haben noch keinen Krebs gehabt, deshalb wissen Sie nicht, wie es ist.“ Und so weiter, und so fort.
Bush redete weiterhin über sich. Um schwierige Fragen zu beantworten, müssen wir jedoch aus unserem Ego heraustreten und versuchen, dem Anliegen unseres Gesprächspartners mit konstruktiven Lösungsansätzen zu begegnen. Nur dadurch können wir ihm demonstrieren, dass wir seine Bedürfnisse respektieren und uns ihnen ernsthaft widmen wollen. Der Respekt, der mit dem aktiven Zuhören beginnt, setzt sich dann in einer lösungsorientierten Antwort fort.
Respektvoll zur Präsidentschaft: Zuhören für Fortgeschrittene
Jerry Weissman schreibt in seiner Analyse der Wahldebatte: „Für eine Nation, die gerade tief in eine wirtschaftliche Krise verstrickt war, kam Marisa Halls Frage genau richtig. Diese Szene sollte sich später als der Wendepunkt zum Negativen in George H. Bushs Karriere herausstellen.“ Tatsächlich fielen die Umfragewerte des Präsidenten innerhalb von 14 Tagen nach der Debatte von 36 auf 31 Prozent (Angaben nach Jerry Weissman).
Weitaus besser beraten war an diesem Tag ganz offensichtlich der spätere Gewinner der Wahl, Bill Clinton. Nachdem Bush sich wieder gesetzt hatte, erhob sich der Gouverneur, ging auf Marisa Hall zu und bat sie, ihr Anliegen zu vertiefen, indem er auf ihre Worte Bezug nahm und sie auf die Situation in ihrem Freundeskreis ansprach. Er näherte sich ihr an, wendete sich ihr zu, nahm Blickkontakt auf und demonstrierte damit verbal wie non-verbal sein Interesse. Und dann, von Angesicht zu Angesicht mit Marisa Hall, sagte er Folgendes: „Also, ich bin seit 12 Jahren Gouverneur eines kleinen Staates. Lassen Sie mich erklären, wie es mich betroffen hat. […] Ich habe gesehen, was in den letzten vier Jahren in meinem Staat passiert ist. Wenn jemand seine Stelle verliert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich ihn mit Namen kenne. Wenn eine Fabrik schließt, kenne ich die Leute, welche sie geleitet haben. Wenn Firmen pleite machen, dann kenne ich sie. Und nun bin ich seit dreizehn Monaten hier draußen unterwegs, in Zusammenkünften wie dieser, auf denen ich mit Menschen wie Ihnen spreche, und das überall in Amerika.“
Clinton machte auch im Rest seiner Antwort alles richtig, indem er zwischen den Zeilen las und Lösungsvorschläge für genau die Probleme anbot, die Marisa Hall aus ihrer Umgebung berichtet hatte. Doch schon, als er sagte, „Menschen wie Ihnen“, hatte er die Debatte faktisch gewonnen. Er beantwortete die schwierige Frage von Marisa Hall auf der persönlichen Ebene, auf der sie gestellt worden war. Er hörte genau auf ihre Worte, und er interpretierte treffsicher, auf welches persönliche Anliegen die junge Wählerin hinaus wollte. Er ging auf Augenhöhe und versetzte sich in dieses Anliegen hinein. Und er fand in seiner Antwort die richtigen Worte, um sowohl seinen Respekt vor ihrer Lebenssituation zum Ausdruck zu bringen als auch zu zeigen, dass er auf Probleme konstruktiv zu reagieren in der Lage war, anstatt in vorbereitete Wahlkampffloskeln auszuweichen. Bill Clinton erwies Marisa Hall seinen Respekt, indem er ihr zuhörte.
Noch einmal mit Respekt: Wie man mit schwierigen Fragen umgeht
Mit schwierigen Fragen haben es nicht nur Präsidentschaftskandidaten zu tun. Wir alle müssen immer wieder mit solchen Situationen umgehen – im Berufsleben, etwa in Konflikt- oder Verhandlungssituationen, genauso wie in der Familie oder mit Freunden. Mit der nötigen Achtsamkeit in schwierigen Gesprächssituationen und einer respektvollen Haltung können Sie auch Killerfragen souverän begegnen. Als kleinen Leitfaden zum Umgang mit schwierigen Fragen möchte ich Ihnen abschließend die Grundregeln kurz und knapp mit auf den Weg geben:
• Zeigen Sie Respekt! Wenn Ihr Gesprächspartner Ihnen eine schwierige Frage stellt, schenken Sie ihm Ihre volle Aufmerksamkeit – nicht etwa Ihrer Armbanduhr.
• Signalisieren Sie Interesse! Hören Sie aktiv zu, indem Sie sich Ihrem Gesprächspartner zuwenden und Blickkontakt aufnehmen; auch ein bestätigendes Nicken kann hilfreich sein.
• Versetzen Sie sich in die Lage Ihres Gesprächspartners hinein! Gehen Sie nicht in eine defensive Haltung, wenn es ernst wird, sondern lassen Sie den Perspektivwechsel zu.
• Lesen Sie zwischen den Zeilen – aber richtig! Versuchen Sie zu ergründen, was das eigentliche Anliegen Ihres Gegenübers ist, und lassen Sie dabei Ihr Ego außen vor.
• Reagieren Sie konstruktiv! Greifen Sie das Anliegen Ihres Gesprächspartners auf, machen Sie Lösungsvorschläge, und verzichten Sie auf vorbereitete Floskeln.
Kommen Sie gut an!
Ihr
René Borbonus