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Resilienz steckt in Jedem

Jeder besitzt die Kraft, sogar aus den schwersten Traumata wieder in die Realität zurückzufinden.
Denis Mourlane | 18.12.2012
Alle Menschen sind resilient und tragen in sich die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen. Man kann das ganz einfach daran erkennen, dass nur eine sehr geringe Anzahl von Menschen auch bei schweren Traumata eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt und die Hilfe eines externen Beraters oder Psychologen benötigt. Wir können es nicht genau sagen, aber vielleicht ist ja auch hier die Evolution dafür verantwortlich, dass unsere wenig-resilienten Vorfahren von der Natur ausgesondert wurden, weil sie eben nicht die Fähigkeit besaßen, nach einem Rückschlag wieder aufzustehen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes sitzen geblieben sind. Entsprechend sollten Sie sich auch nicht die Frage stellen, ob Sie resilient sind, sondern vielmehr, wie resilient Sie sind und auch in welchen Situationen Sie es besonders sind. Wir wissen aus der Forschung, dass sich die Resilienz eines Menschen im Laufe seiner Entwicklung verändern kann. Erlebt ein Mensch zum Beispiel innerhalb kürzester Zeit viele schwere Rückschläge, so kann seine sonst sehr hohe Resilienz für einen gewissen Zeitraum eingeschränkt sein. Ebenso wissen wir, dass es Menschen gibt, die zum Beispiel im Beruf über eine außerordentlich hohe Resilienz verfügen, während es ihnen schwerfällt, private Rückschläge zu verarbeiten. Wir sprechen dann von einer ausgeprägten situativen Resilienz. Wenn Sie also selbst Ihre Resilienz weiterentwickeln möchten, wird es wichtig sein, zu schauen, in welchen Situationen ein erhöhtes Maß an Resilienz für Sie von Nutzen sein könnte.

Die Sache mit dem Schwamm

Stellen Sie sich bitte vor, wie Sie einen Schwamm in der Hand halten – oder besser: Sollten Sie einen Schwamm in Reichweite haben, nehmen Sie diesen wirklich kurz in die Hand. Er kann trocken oder feucht sein, das ist egal. Drücken Sie ihn jetzt ganz fest zusammen, machen Sie ihn so klein wie möglich, treten Sie meinetwegen auf ihm herum, werfen sie ihn gegen die Wand und beschimpfen Sie ihn, wenn Sie möchten. Nun schauen Sie ihn sich erneut an. Sie werden feststellen, dass der Schwamm zwar kurz seine Form verändert hat, aber nun, nach dem ganzen Druck und der ganzen Gewalt, die Sie auf ihn ausgeübt haben, immer noch so aussieht wie zuvor. Der Begriff Resilienz stammt, genauso wie dieses Beispiel, ursprünglich aus der Physik und beschreibt die Fähigkeit eines Körpers, nach Druck wieder seine ursprüngliche Form anzunehmen. Beim Menschen ist es entsprechend die Fähigkeit, in Drucksituationen, nach Rückschlägen und in Situationen der Ungewissheit schnell wieder aufzustehen, fokussiert zu bleiben, optimistisch zu sein und eine Sinnhaftigkeit auch in äußerst schwierigen Situationen zu finden. Wir werden im Verlauf des Buches aber auch sehen, dass Resilienz noch deutlich mehr ist als diese gängige Definition.

Ich werde häufig gefragt, ob sehr resiliente Menschen denn gefühllos seien und auch hier eignet sich der Schwamm wieder als ausgezeichnete Analogie, denn resiliente Menschen sind keineswegs gefühllos. Ganz im Gegenteil: Ebenso wie der Schwamm sich bei Druck verformt, »verformen« sich auch hoch resiliente Menschen, indem sie negativ empfundene Gefühle wie zum Beispiel Angst, Trauer oder Schuld zwar zulassen und nicht verleugnen, dann aber schneller als andere Menschen wieder nach Wegen suchen, um positive Gefühle zu erleben.

Der Fußballnationalspieler Thomas Müller ist aus meiner Sicht ein wunderbares Beispiel für einen solch hoch resilienten Menschen. In einem im Dezember 2010 in der FAZ veröffentlichten Interview wurde der Sportler gefragt, was seine größte Stärke sei. Er antwortete darauf (FAZ am Sonntag, 26.12.2010):

»Ich bin ein Spieler, der es das ganze Spiel über versucht, von der ersten bis zur neunzigsten Minute […]. Meine größte Stärke ist, dass ich nicht aufhöre, wenn es nicht geklappt hat. Ich versuche es immer weiter. Und wenn ich es fünfzehn Mal machen muss, damit es einmal klappt – aber dann steht es halt 1:0.«

Thomas Müller

Thomas Müller nennt als seine größte Stärke also nicht etwa seine Schnelligkeit oder seine Technik, die zweifelsohne hervorragend sind. Nein, er nennt die Fähigkeit, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen und weiter seine Chance zu suchen. Und genau das ist unter anderem Resilienz. Wenn man sich nun noch vergewissert, dass er als sehr unerfahrener Nationalspieler bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 Torschützenkönig wurde, beweist dies natürlich nicht den Zusammenhang zwischen Erfolg und Resilienz, aber das Beispiel gibt uns einen Hinweis darauf, dass hier zumindest dieser Zusammenhang bestehen könnte. Denken Sie nun noch einmal an das gegen Italien verlorene Halbfinale der Deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2012. Vielleicht erinnern Sie sich an Thomas Müller, wie er nach dem Spiel auf der Ersatzbank saß, seinen Kopf unter einem Handtuch versteckt hatte, bitterlich weinte und von Weinkrämpfen geschüttelt wurde. Man konnte ihm die Verzweiflung deutlich ansehen. Hier zeigt sich ebenso die weiter oben beschriebene Tatsache, dass hoch resiliente Menschen entgegen landläufiger Meinung sehr wohl Gefühle empfinden und diese auch zulassen. Erst dies gibt ihnen die Möglichkeit, einen Rückschlag gesund zu verarbeiten, um dann wieder von vorne zu starten.

Ich bitte daher gerne die Teilnehmer an unseren Trainings und Coachingmaßnahmen zum Start, sich zu überlegen, wer der resilienteste, der psychologisch widerstandsfähigste Mensch ist, den sie kennen. Die Teilnehmer haben zu diesem Zeitpunkt typischerweise nur eine vage Vorstellung davon, was sich eigentlich hinter dem Begriff Resilienz versteckt. Ich stelle diese Frage, weil es ebenso interessant, wenn nicht noch interessanter ist, ein Bild von hoch resilienten Menschen in normalen Lebenssituationen zu bekommen. Woran erkenne ich also, ganz unabhängig von einem Rückschlag oder einer Drucksituation, einen solchen Menschen? Vielleicht stellen Sie sich selbst kurz einmal die Frage. Die Antworten, die ich dann erhalte, sind so gut wie immer die gleichen und beschreiben sehr gut, woran wir hoch resiliente Menschen erkennen können:

- sie strahlen Optimismus und Zuversicht aus
- sie sind intelligent und zeigen eine hohe Bereitschaft, Situationen gründlich zu analysieren
- sie wirken insgesamt balanciert und im Reinen mit sich selbst
- sie sind gelassen
- sie haben klare Ziele vor Augen und verfolgen diese konsequent und mit viel Disziplin
- sie sind empathisch und können sich zurücknehmen, um dem anderen genau zuzuhören
- sie haben Humor und akzeptieren die negativen Seiten des Lebens als etwas Gegebenes, das zum Leben dazugehört

Wie steht es mit Ihnen? Wie sehr entsprechen Sie selbst diesen Merkmalen?

Der Autor

Dr. Denis Mourlane ist ehemaliger Stipendiat der Christoph-Dornier-Stiftung, Diplom-Psychologe und psychologischer Psychotherapeut. Er unterstützt mit seiner Beratung seit über 10 Jahren internationale Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte. Er ist in Deutschland derzeit exklusiver Anbieter des Resilienztrainings, das an der University of Pennsylvania im Team des weltweit renommierten Prof. Dr. Martin Seligman entwickelt wurde. Dieses Training wurde von Dr. Andrew Shatté (“The resilience factor”) und Dean M. Becker an die Bedürfnisse von Unternehmen angepasst und wird seit über 10 Jahren v.a. in amerikanischen Unternehmen erfolgreich angewendet. Dieses wissenschaftlich fundierte Wissen und seine eigene langjährige Erfahrung in den Bereichen Wirtschaft und Psychologie machen Denis Mourlane zu einem der führenden Experten im Bereich Resilienz in Deutschland und Europa. Wir vom BusinessVillage-Verlag freuen uns sehr, dass er diese Erfahrung nun im Rahmen dieses Buches mit einer großen Leserschaft teilt. Dr. Denis Mourlane www.mourlane.com

Mit freundlicher Genehmigung der BusinessVillage GmbH - Verlag für die Wirtschaft (http://www.businessvillage.de)