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Technologie-Branche baut Service-Geschäft aus - Abschied von der Selbstverliebtheit der Ingenieure

Gunnar Sohn | 20.10.2010
Frankfurt am Main/München, 20. Oktober 2010, www.ne-na.de - Jahrelang wurden Computer mit schnelleren Chips, größeren Speichern, höher auflösenden Bildschirmen und einer unendlichen Vielfalt an neuen Funktionen ausgestattet. „Diese Produkt-Philosophie hat sich schon lange erledigt. Entscheidend ist, was der Kunde vom Endgerät erwartet und nicht der Entwicklungsingenieur“, so Peter B. Záboji, Chairman vom After Sales-Spezialisten Bitronic http://bitronic.org/mission-statement/ in Frankfurt am Main. So sei zwar der Apple I-Erfinder Steve Wozniak ohne Zweifel ein begnadeter Mathematiker und Computeringenieur. „Was er allerdings nicht ist, ein Marketinggenie“, meint der ITK-Experte Záboji.



Das wollte „Woz“ auch nie sein. Im Gegenteil. Die Apple-Legende lässt keine Gelegenheit aus, seine Enttäuschung zu artikulieren, dass sein alter Kumpel Steve Jobs nicht den Ingenieur in den Mittelpunkt des Unternehmens stellt. Von Anfang an war Apple als Marketing-Unternehmen konzipiert: „Das Produkt wird sich mit anderen Worten danach richten, welche Wünsche und Anforderungen die Marketing-Abteilung bei den Kunden finden wird. Das ist das genaue Gegenteil von einem Ort, wo Ingenieure einfach das konstruieren, was ihnen Spaß macht, und das Marketing anschließend Wege findet, um das Produkt zu vermarkten“, so Wozniak.



Genau das sei der Grund, warum der Apple-Veteran nur noch über alte Zeiten sinniert und gleichzeitig Steve Jobs zu den erfolgreichsten IT-Unternehmern der Welt aufgestiegen ist, erklärt Záboji: „Obsessionen für technische Perfektion sind ja schön und gut. Am Ende des Tages ist der Markterfolg entscheidend und nicht die Selbstverliebtheit von Ingenieuren. In vielen IT-Unternehmen agiert man noch zu herstellerorientiert und vernachlässigt das Geschäft mit Applikationen und Dienstleistungen“, kritisiert Zaboji.



Der Erfolg der Apps für Smartphones zeige sehr deutlich, dass man in der IT-Branche neue Geschäftsmodelle nur über den Nutzen etablieren kann und nicht über das Formulieren und Transportieren von technischen Features, sagt Oliver Kaltner, Country Manager Entertainment & Devices bei Microsoft Deutschland und ehemaliger Geschäftsführer der Sony Deutschland GmbH. Der „Erotikfaktor“ eines Betriebssystems wie Windows 7 sei relativ bescheiden. „In der Vergangenheit haben wir dazu tendiert, ein Betriebssystem wie ein Betriebssystem zu vermarkten, nämlich über technische Features. Bei Windows 7 haben wir uns deshalb mit der Firmenzentrale in Redmond auf zwei Strategieaspekte verständigt. Nummer eins: Wir zeigen nicht alles auf, was Windows 7 kann, sondern konzentrieren uns auf vier einfache Botschaften. Windows 7 macht Deine Maschine schneller, gibt Dir eine bessere Struktur mit einer intuitiven Benutzeroberfläche, macht Dein System sicherer und richtet Dir das Betriebssystem nach Deinen Wünschen ein. Nummer zwei: Wir lassen diejenigen über die vier Botschaften sprechen, die am Ende des Tages das Produkt auch nutzen“, so Kaltner http://bit.ly/dAbHOY.



Auch Michael Dell hat begriffen, dass er mit dem Hardware-Geschäft sein Unternehmen nicht in die Zukunft retten kann. Er setzt auf Hightech-Dienstleistungen, die er an Unternehmen und andere Großkunden wie Krankenhäuser verkauft. „Ein Beispiel: Bislang gehen Ärzte bei der Visite von Patient zu Patient, wo sie sich jedes Mal das Krankenblatt durchlesen. Mit Software von dem übernommenen Unternehmen Perot bietet Dell nun ein System an, mit dem sich die Ärzte in jedem Zimmer in einen PC einloggen können, um von dort aktuelle Patientendaten einsehen zu können. Derzeit läuft ein Pilotprogramm in elf Kliniken in sechs Ländern, darunter Deutschland. Erzielte Dell 2000 nur eine halbe Milliarde Dollar mit IT-Service, so sind es derzeit 16 Milliarden Dollar – mehr als 30 Prozent vom Gesamtumsatz“, berichtet Zeit Online http://www.zeit.de/2010/42/PC-Hersteller-Dell. In den nächsten vier Jahren soll das Dienstleistungsgeschäft mehr als 30 Milliarden Dollar ausmachen.



Auch in der Telekommunikation gibt es diese tektonischen Verschiebungen: Laut Jürgen Signer, seit Anfang August Chef der Aastra-Gruppe in Deutschland, generiert der Hersteller rund 40 Prozent seiner Umsätze mit Applikationen. In diesem Wert sind unter anderem Lösungen für vertikale Märkte wie etwa die Gesundheitsbranche enthalten. Insgesamt erreichte die Aastra Gruppe http://www.aastra.de in Deutschland 2009 einen fakturierten Umsatz von 141 Millionen Euro, davon entfallen wiederum rund 40 Prozent auf den Systemintegrator DeTeWe Communications. Grundsätzlich wird Aastra nach eigenen Angaben verstärkt auf Kooperationen mit Partnern setzen. Ein Indiz dafür ist die Zusammenarbeit mit Microsoft: In enger Abstimmung mit dem Unternehmen hat Aastra die beiden IP-Telefone Aastra 6721ip und 6725ip für den Microsoft Communications Server Lync entwickelt. Ein weiterer Aastra-Partner ist der Netzwerkausstatter HP Networking. In Deutschland sucht der Hersteller zudem den Kontakt mit Carriern, um mit ihnen gemeinsam Lösungen anzubieten. „Der klassische TK-Markt, den wir als Hersteller bedienen, wird schrumpfen“, erklärt Signer im Interview mit der Fachzeitschrift Telecom Handel http://bit.ly/dxdsTe.


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Über Gunnar Sohn

Gunnar Sohn ist Freiberufler und u.a. Wirtschaftspublizist, Buchautor, Blogger, Medienberater, Moderator und Kolumnist.