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Angst ist der größte Erfolgskiller

Nur in heiteren Hirnen können Höchstleistungen entstehen.
Anne M. Schüller | 15.12.2008
Die Angst geht um. Die Angst vor der Rezession, die Angst um das wirtschaftliche Überleben, die Angst um den Arbeitsplatz. Der Ton wird härter, die Sitten rauer und die Menschlichkeit bleibt – wieder mal – auf der Strecke. Dabei können nur in heiteren Hirnen Höchstleistungen entstehen. Es ist also vor allem die Angst, die aus den Unternehmen verschwinden muss, um in der Krise Chancen zu sehen.

Aus der Glücksforschung ist bekannt, dass Menschen mit Glücksgefühlen über sich hinauswachsen und ihre Leistungsfähigkeit um bis zu 100 Prozent steigern können. Umgekehrt sinkt die Performance von Menschen unter Dauerdruck auf unter 50 Prozent. Nur, wem es so richtig gut geht, kann Ideenreichtum entwickeln und Außergewöhnliches vollbringen. In wenigen Jahren, so prognostiziert Matthias Horx in seinem Trendreport 2007, werden Glücks-Indices nicht nur für Länder, sondern auch für Unternehmen erhoben.

Auf der Suche nach dem Happy End

Unser Hirn liebt freundliche Gesichter und bevorzugt positive Beziehungen. Und es will das Happy End. Das wissen begnadete Filmemacher, erfolgreiche Romanschriftsteller – und gute Führungskräfte wissen es auch. Das weiß vor allem unsere Intuition. „Das ultimative Ziel des Menschen ist das Glück“, hat schon Thomas von Aquin gesagt. Und die moderne Hirnforschung gibt ihm Recht: Wir kaufen lieber Glück als Angst. Das gilt für kaufende Kunden genauso wie für Mitarbeiter, die die Ideen ihrer Chefs kaufen (sollen). Menschliches Verhalten wird grundsätzlich bestimmt von Streben nach Belohnung und Vermeiden von Bestrafung. Und vom Gemeinschaftssinn.

„Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben“, meint der Psychoneuroimmunologe Joachim Bauer in seinem Buch ‚Prinzip Menschlichkeit‘. Ausgehend von neuesten neurowissenschaftlichen Befunden postuliert er darin das Bild eines auf Kooperation ausgerichteten Menschen. „Die Motivationssysteme schalten ab, wenn keine Chance auf soziale Zuwendung besteht, und sie springen an, wenn das Gegenteil der Fall ist, wenn also Anerkennung oder Liebe im Spiel ist“, schreibt er weiter.

Der maßgebliche Treiber dieser Prozesse ist ein Glücksbotenstoff aus dem celebralen Belohnungssystem. Sein Name: Dopamin. Dopamin im Blut heißt: Wir fühlen uns gut, sind in freudiger Erwartung, hegen Zuversicht in unser Potenzial und glauben an die Aussicht auf Erfolg. Wir beschäftigen uns mehr mit dem Pro als dem Kontra. Unser Programm schaltet auf ‚agieren‘ und fährt unser Leistungsvermögen hoch. Diese Strategie der Natur hilft uns nicht nur, zu Überleben, sondern kann auch unsere Lebensqualität bemerkenswert verbessern. So tun Menschen am liebsten das, wofür eine Belohnung in Aussicht steht.

Die Amygdala: unser Gefahrenradar

Haben wir Angst, war im Hirn die Amygdala in Aktion. Sie untersucht alle Ereignisse, die auf uns einwirken, höchst wachsam auf emotional wichtige Faktoren. Sie ist unser Frühwarnsystem, unser neuronales Radar für bedrohliche Situationen und potentielle Gefahren. Sie registriert jede Bewegung und hört das schier unhörbare Rascheln im Gebüsch. Sie interpretiert die Bedeutung nonverbaler Mitteilungen und jede Veränderung in der Stimme. Sie lässt uns automatisch der Blickrichtung anderer Menschen folgen. Sie sucht nach freundlichen Gesten und finsteren Gestalten. Sie sondiert unaufhörlich die Mimik des Gegenübers und decodiert vermeintliche Absichten. Denn jede Stimmungsschwankung macht sich mehr oder weniger hauchzart im Muskelspiel unseres Gesichts bemerkbar.

Wer sich mit der Amygdala seines Gesprächspartners anfreunden möchte, dem sei vor allem eines empfohlen: positive Authentizität. Ein Lügner beispielsweise reagiert mit seinem emotionalen Ausdruck um etwa zwei Zehntel Sekunden langsamer - er muss diesen ja zunächst noch ‚denken‘. Diese Verzögerung verrät die Absicht. Aus dem gleichen Grund funktioniert auch die von manchen Trainern so heiß gepriesene bewusst herbeigeführte Imitation (Einnehmen der gleichen Sitzhaltung etc.) nicht wirklich.

Eine gut trainierte Amygdala schöpft rechtzeitig Verdacht. Sie entlarvt Falschheit und Manipulation. Sie spürt Bedrohungen kommen und sorgt blitzschnell für die passende Reaktion: panikartige Flucht, dosierter Angriff oder atemloses Erstarren. All dies wird unterhalb der Wahrnehmungsschwelle unseres Bewusstseins mithilfe der Stresshormone Kortisol und Noradrenalin erledigt. Wir spüren nur das Ergebnis: Angst oder Furcht, Zorn oder Wut, Zögern und Zagen – je nachdem.

Angst lähmt und macht dumm

Angst kommt in vielen Schattierungen daher. Sie kann eine freundliche Warnerin sein, die uns schützt. Sie kann uns kurzzeitig aus der Reserve locken und zu Höchstleistungen führen. Doch sie paralysiert auch und zerstört. Dauerangst versetzt den Körper in permanente Alarmbereitschaft, sie mindert seine Leistungskraft und ruiniert unsere Gesundheit. Andauernde Missstimmung sabotiert die Fähigkeit des Gehirns, sein Bestes zu geben. Autoritätsangst und ‚Heuschreckenalarm‘ lässt Mitarbeiter wie gelähmt am unteren Ende ihrer Möglichkeiten zurück. Und übellaunige, einschüchternde, herumkommandierende, machtbesessene, pathologische Manager stellen eine permanente Bedrohung dar.

In solchen Situationen fährt die Amygdala den Denkapparat herunter und stellt auf ein simples Notfall-Programme: abhauen, draufhauen oder totstellen. In den Zeiten der Industriegesellschaft führte ein Klima der Angst bisweilen noch zum Erfolg, da dort die Arbeiter nicht denken, sondern nur ‚spuren‘ mussten. Untergebene allerdings, die wie einst Charlie Chaplin in seinem Film ‚Moderne Zeiten‘ immer an den gleichen Schrauben drehen, können Unternehmen heute kaum mehr gebrauchen. Simple Produktionsleistungen sind für immer an die Schwellenländer verloren. Hände sind in fast allen Ländern billiger zu bekommen.

Kopfarbeiter stehen im Zentrum der voranschreitenden Wissensökonomie. Kreativität ist die Schlüsselressource der Zukunft. Unsere Stärke ist das geistige Know-how. In wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaften ist ein engagierter, situativer, flexibler und hochwertiger Output gefragt. Zwischen den Synapsen, den neuronalen Verbindungsstellen, muss es also verstopfungsfrei fließen. Will heißen: Kopfarbeiter brauchen freundliche, inspirierende und wertschätzende Chefs. Nur dann können und wollen sie ihr intellektuelles Potenzial dem Unternehmen voll und ganz zur Verfügung stellen. Wer nicht loben kann, wird feststellen, dass es in seinem Unternehmen bald keine lobenswerten Leistungen mehr gibt.

Zuckerbrot ist besser als Peitsche

Freundlichkeit als Führungstugend bewirkt weit mehr als Drohungen und Aggression. „Je größer die Angst, desto stärker ist die kognitive Leistungsfähigkeit des Gehirns in Mitleidenschaft gezogen. In diesem Zustand mentalen Elends nehmen ziellose Gedanken unsere Aufmerksamkeit in Beschlag“, schreibt Daniel Goleman in seinem Buch ‚Soziale Intelligenz‘. Nichts ist furchtbarer, als seine eigene Fantasie damit zu beschäftigen, sich das Furchtbare auszumalen.

Es ist vor allem die Angst, die aus den Unternehmen verschwinden muss. Sie ist der größte Leistungskiller. So führt Angst am Arbeitsplatz zu Minderleistungen, zu destruktivem Handeln und schließlich in die Resignation. Dies drückt sich meist in der Weise aus, dass die Mitarbeiter kaum bereit sind, offen ihre Meinung zu sagen, neue Ideen einzubringen, kooperativ zusammenzuarbeiten, neue Herausforderungen anzunehmen oder die Qualität ihrer Arbeit zu verbessern. Sie begeben sich zunächst in den Zustand des angepassten Ja-Sagens, dann in die freizeitorientierte Schonhaltung, dann in die innere Kündigung und schließlich in die Sabotage.

Wer Angst hat, reduziert seine Lernfähigkeit und macht Fehler. Eine übernervöse Amygdala beizeiten zu besänftigen, kann demnach sehr zielführend sein. Es scheint, dass schon das Benennen von Störungen (Labeling = etwas einen Namen geben) und das Reden über Probleme sie wieder beruhigt. Denn dies zeigt ihr, dass wir drohende Gefahren wahrgenommen haben. In einer Mitarbeiter-Chef-Beziehung bedeutet dies, öfter miteinander von Angesicht zu Angesicht zu reden, vor allem dann, wenn es etwas zu klären gibt. Erst, wenn wieder alles im Reinen ist, können wir zur Hochform zurückfinden.

Verhaltensänderungen lassen sich auf zwei Weisen herbeiführen: Wird ein Verhalten belohnt, wiederholen wir es. Wird ein Verhalten bestraft, vermeiden wir es. Harte Vorgesetzte setzen leider fast ausschließlich die zweite Form der Verstärkung ein: Sie suchen mit der Akribie eines Kammerjägers nach Fehlverhalten und ahnden es hart, um es auszumerzen. So wird der Mitarbeiter sein Verhalten gezwungenermaßen verändern, aber nur gerade soweit, um sich Leiden zu ersparen. Unternehmen erlangen auf diese Weise höchstens Mittelmäßigkeit. Nur: Mittelmäßigkeit ist vom Aussterben bedroht. Denn mittelmäßige Leistungen will niemand mehr kaufen.


Das Buch zum Thema wurde ausgezeichnet mit dem schweizerischen Wirtschaftsbuchpreis 2008.

Anne M. Schüller
Kundennähe in der Chefetage
Wie Sie Mitarbeiter kundenfokussiert führen
Orell Füssli, Zürich 2008, 26,50 Euro / 44.00 CHF
255 Seiten, ISBN: 978-3-280-05282-2

www.kundenfokussierte-unternehmensfuehrung.com

Hier bestellen: http://www.anneschueller.de/rw_e13v/main.asp?WebID=schueller3&PageID=122


Die Autorin

Anne M. Schüller ist Management-Consultant und gilt als führende Expertin für Loyalitätsmarketing. Über 20 Jahre lang hat sie in leitenden Vertriebs- und Marketingpositionen verschiedener internationaler Dienstleistungsbranchen gearbeitet und dabei mehrere Auszeichnungen erhalten. Die Diplom-Betriebswirtin und achtfache Buchautorin zählt zu den besten Keynote-Rednern im deutschsprachigen Raum. Sie arbeitet auch als Business-Trainerin und lehrt an mehreren Hochschulen. Sie gehört zum Kreis der ‚Excellent-Speakers‘. Zu ihren Kunden zählt die Elite der deutschen, schweizerischen und österreichischen Wirtschaft. Kontakt: www.anneschueller.de