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Minimalismus und Konsumenten-Wohlbefinden

Geld allein macht auch nicht glücklich. Stattdessen kann Konsumverzicht und Minimalismus das Wohlbefinden steigern.
Minimalismus und Konsumenten-Wohlbefinden © Freepik
 

Ein Artikel von Prof. Dr. Susanne Doppler und Prof. Dr. Adrienne Steffen Adrienne Steffen

Die Mainstream-Wirtschaftspolitik propagiert, dass für ein wirtschaftliches Wachstum die Produktivität und Verbrauchernachfrage gesteigert werden muss.[i] Über Jahrzehnte haben Konsument:innen gelernt, dass übermäßiger Konsum und Konsumerlebnisse befriedigen und kaufen mehr, als sie verbrauchen können. [ii] Dennoch machen sich Verbraucher zunehmend Gedanken über die Folgen eines exzessiven Lebensstils [iii], sowohl in psychologischer, ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht. [iv] ­­

Geld scheint Menschen zwar bis zu einem bestimmten Niveau jenseits der Armut zunächst glücklich zu machen. Wenn aber ein gewisses Konsumlevel erreicht wird, macht mehr Geld und der Erwerb von Konsumgütern nicht unbedingt glücklicher. Vor allem Menschen in Industrienationen, deren Grundbedürfnisse befriedigt werden, sind auf der Suche nach mehr Lebenszufriedenheit und -qualität jenseits von materiellem Besitz, auch weil Selbstverwirklichungsbedürfnisse nicht durch materiellen Konsum befriedigt werden können. [v]

Immer mehr Konsument:innen leben freiwillig einfach nach dem Prinzip der ‚Voluntary Simplicity‘. Verbraucher, die z. B. Bedenken hinsichtlich der Umwelt oder der Fairness traditioneller Geschäftspraktiken und der Ressourcenverteilung haben, wenden sich einem minimalistischen Lebensstil zu. Diese Anti-Konsum Bewegung gewann nach der Finanzkrise 2008 durch Mainstream-Lifestyle-Narrative an Zugkraft, z.B. unter anderem durch Formate wie „Aufräumen mit Marie Kondo“ auf Netflix oder durch Medienberichterstattungen von „The Minimalists“.

Materialismus erzeugt Spannungen im Menschen, die wiederum das Wohlbefinden senken[vi], wohingegen Anhänger eines minimalistischen Lebensstils eine Vielzahl von Vorteilen für ihr Wohlbefinden, einschließlich Glück, Lebenszufriedenheit, Sinngebung und verbesserte persönliche Beziehungen äußern.[vii]

Konsumenten-Wohlbefinden beschreibt das Wohlergehen, das ein Individuum durch seinen Konsum erfährt.[viii] Dabei bewerten Konsument:innen den gesamten Konsumprozess, beginnend beim Erwerb des Produktes, dem Besitzes und dem aus dem Konsum resultierenden Nutzen, der Wartung, bis hin zur Entsorgung des Produktes.[ix] Auch Aspekte der aktuellen Lebenshaltungskosten, die subjektiv wahrgenommene Zufriedenheit mit Besitz ix, sowie soziale Aspekte des Konsums, wie z.B. soziale Anerkennung beeinflussen das Konsumenten-Wohlbefinden. [x] Es ist zudem davon auszugehen, dass ein erhöhtes Konsumenten-Wohlbefinden einhergeht mit einer höheren wahrgenommenen Lebensqualität und Lebenszufriedenheit. 

Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, inwieweit das Konsumenten-Wohlbefinden und die allgemein wahrgenommene Lebensqualität und -zufriedenheit durch bewussten Konsumverzicht beeinflusst werden. Manche Anti-Konsumenten erfahren das Gefühl von Kontrolle und Autonomie, weil sie sich von Werbung und gezieltem Marketing unbeeinflusst fühlen. ix Personen, die eine hohe Kontrolle über ihre Konsumentscheidungen haben, empfinden eine höhere Selbstverwirklichung, was sich wiederum positiv auf das Wohlbefinden der Verbraucher auswirkt. [xi] Während egozentrische Motive, wie Selbstbereicherung und Macht eher Materialisten zugeschrieben werden, sind übergeordnete Motive, wie z.B. ein Engagement für die Umwelt und faire Geschäftspraktiken eher im Mindset von Anti-Konsument:innen verortet und führen aufgrund der wahrgenommenen Selbstverwirklichung zu einem erhöhten Konsumenten Wohlbefinden. ix Darüber hinaus unterscheiden sich Materialisten von Minimalisten hinsichtlich ihrer Bezugsquellen des Glücks.  Zu den extrinsischen Bezugsquellen gehören z.B. finanzieller Erfolg, Aussehen oder Ansehen, also Werte, die von der Reaktion anderer abhängen. Diese sind mit einem geringeren Wohlbefinden verbunden und werden eher Materialisten zugeschrieben. Anti-Konsument:innen hingegen verfolgen eher intrinsische Ziele, wie z.B. Selbstakzeptanz, Gemeinschaftsgefühl und körperliche Gesundheit, die mit einem erhöhten Wohlbefinden verbunden sind. ix

Die Autorinnen dieses Beitrags, Frau Prof. Dr. Susanne Doppler und Frau Prof. Dr. Adrienne Steffen, gingen in einer qualitativen Studie der Bedeutung von Anti-Konsum und Minimalismus für das Wohlbefinden von Konsumenten auf den Grund. Dazu wurden im Herbst 2020 im Rahmen einer Bachelorarbeit von Yasemin Bozdemir acht leitfadenbasierte, halbstrukturierte Interviews mit Konsument:innen geführt, die sich als Minimalisten bezeichnen.

Was motiviert Minimalisten einen solchen Lebensstil zu verfolgen? 

Finanzielle Anreize spielen offensichtlich bei der Entscheidung für einen minimalistischen Lebensstil eine untergeordnete Rolle. Vielmehr folgen die Konsument:innen einem eher kontrollierten Konsummuster, bei dem sie in der Folge durch kontrollierte Investitionen und Einkäufen dennoch Geld sparen. Obwohl ethisch-moralische und ökologische Aspekte anfangs kein bewusst wahrgenommener Auslöser für einen minimalistischen Lebensstil sein müssen, haben die befragten Personen einen Sinn für ökologische Aspekte, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Dieses Mindset löst bei den Befragten kontrollierte Kaufentscheidungen aus, weil die befragten Personen beispielsweise unmoralisch agierende Unternehmen nicht unterstützen und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten möchten. Solche ethisch-moralischen Aspekte werden dabei als relevant, aber gleichzeitig als schwierig bewertbar eingestuft, auch weil die Unterscheidung zwischen Marketingaussagen der Unternehmen und der Realität im Alltag schwer vollzogen werden kann.

Fühlen sich Minimalisten mit dem gewählten Lebensstil wohl?

Als Folge der Reduktion materiellen Besitzes und der damit einhergehenden Vereinfachung ihres Lebens berichten alle Befragten von einer Verbesserung ihres Wohlbefindens, ihrer Lebensqualität und -zufriedenheit. Befragte benannten z.B. eine mentale Klarheit, die Reduktion von Stress, einen gesünderen Lebensstil, mehr Bewegung, eine gesündere und bewusstere Ernährung, die Auseinandersetzung mit persönlichen Werten und eine Verbesserung der psychischen Gesundheit. Außerdem berichteten die Befragten von mehr Zeit für Wichtiges im Leben, mehr Qualitätszeit mit sich selbst, in der Natur, mit Freunden und mit der Familie, eine als erhöht wahrgenommene innere Ruhe und Entspanntheit und das Gefühl von Freisein und Unabhängigkeit. Des Weiteren haben sie  Geld gespart, das dann für bewusst gewählte, nachhaltig produzierte Produkte ausgegeben werden konnte. All diese Aspekte eines minimalistischen Lebensstils fördern das Wohlbefinden, die Lebensqualität und -zufriedenheit der Konsument:innen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Minimalismus und Lebensglück?

Über alle geführten Interviews hinweg werden intrinsische, nicht-materielle Werte als Quelle des Glücks exploriert, z.B. die Möglichkeit, sich persönlich weiterzuentwickeln und Selbstwirksamkeit zu erfahren.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die Studienergebnisse zeigen, dass gezielter Konsumverzicht ein wichtiger Bestandteil für das Lebensglück ist. Kontrollierte Konsumentscheidungen, das Verfolgen von Interessen, die nicht rein hedonistisch, sondern über die persönlichen Interessen hinausgehen, der Verzicht auf materiellen Besitz und Minimalismus als Quelle von Glück wurden in Zusammenhang mit dem Empfinden von Konsumenten Wohlbefinden und Lebensglück bestätigt. Wenn in der Bevölkerung ein Bewusstsein geschaffen wird, dass Lebensqualität ohne materiellen Reichtum erreicht werden kann, könnte dies vor allem auch die Lebensqualität weniger privilegierter Gruppen fördern.

Dieser Zusammenhang ist auch interessant vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Ängste und Einschränkungen in jüngster Zeit. Vor allem die Bedeutung von körperlicher Unversehrtheit ist seit Ausbruch der Coronapandemie zu einer Schlüsselressource geworden. [xii] Der Zusammenhang von Minimalismus als Quelle intrinsischen Glücks kann verortet werden in der seit der Pandemie verstärkt auftretenden Besinnung auf das Konzept der Resonanz als ein In-Beziehung-Treten zur Welt, zu den Menschen, zur Arbeit, zu Hobbies und Freizeitaktivitäten und zur Natur. [xiii] Marketingkommunikation kann hier ansetzen und Resonanzfelder anbieten.

Die Studie zeigt auch, dass Verbraucher sich bei der Bewertung von Konsumgütern häufig überfordert fühlen und zwischen ökologisch und ethisch vertretbarem unternehmerischen Handeln und leeren Marketingversprechen nicht unterscheiden können. Auch hier können Marketingverantwortliche ansetzen und ihre Glaubwürdigkeit schärfen.

 

Literatur:

[i] Meissner (2019) Against accumulation: Lifestyle minimalism, de-growth and the present post-ecological condition. Journal of Cultural Economy 12 (3): 185–200.

[ii] Borusiak et al. (2020) Towards building sustainable consumption: A study of second-hand buying intentions. Sustainability (Switzerland) 12 (3): 1–15.

[iii] Balderjahn (2013) Nachhaltiges Management und Konsumentenverhalten. UTB Verlag.

[iv] Lu, Chang, and Chang (2015) Consumer personality and green buying intention: The mediate role of consumer ethical beliefs. Journal of Business Ethics 127 (1): 205–19.

[v] Zavestoski (2002) The social-psychological bases of anti-consumption attitudes. Psychology & Marketing 19 (2): 149–65.

[vi] Burroughs und Rindfleisch (2002) Materialism and well-being: A conflicting values perspective. Journal of Consumer Research 29 (3): 348–70.

[vii] Lloyd und Pennington (2020) Lloyd, Kasey und William Pennington. Towards a theory of minimalism and wellbeing. International Journal of Applied Positive Psychology 5 (3): 121–36.

[viii] Lee und Ahn (2016) Anti-consumption, materialism and consumer well-being. Journal of Consumer Affairs 50 (1): 18–47.

[ix] Lee et al. (2002) Developing a subjective measure of consumer well-being. Journal of Macromarketing 22 (2): 158–69.

[x] Sirgy, Lee und Rahtz (2007) Research on consumer well-being (CWB): Overview of the field and introduction to the special issue. Journal of Macromarketing. 27 (4): 341 – 349.

[xi] Ryan und Deci (2001) On happiness and human potentials. A review of research on hedonic and eudaimonic well-being. Annual Review of Psychology 52 (1): 141–66.

[xii] Zukunftsinstitut (o.J.) Zukunftsinstitut (o.J.) Megatrend Gesundheit. Online: https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrend-gesundheit/?gclid=EAIaIQobChMI_IPXmKOB8wIVBs13Ch1kjw4-EAAYASAAEgIghfD_BwE (Zugriff 17. Jan. 2022)

[xiii] Rosa (2020) Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp.