print logo

Die Unlogik des Markenerfolgs

Die meisten Marken sind heute vom „Mehr“ getrieben. Das erscheint so logisch, dass dieses „Mehr“ auch gar nicht mehr hinterfragt wird.
Michael Brandtner | 16.08.2021
Die Unlogik des Markenerfolgs © Freepik
 

Die Unlogik des Markenerfolgs oder die psychologische Macht der Fokussierung?

Die meisten Marken- und Marketingprogramme sind heute vom „Mehr“ getrieben. Es geht um mehr neue Produkte, mehr Dienstleistungen, mehr Zielgruppen, mehr Vertriebswege, mehr Kommunikationskanäle. Das Ganze erscheint so logisch, dass dieses „Mehr“ auch gar nicht mehr hinterfragt wird.

 

Die allgemeine Logik

Wer kann etwa folgenden Aussagen, die man aktuell immer und immer wieder in Strategie- und Marketingmeetings, egal ob vor Ort oder per Videokonferenz, hört, widersprechen:

(1) „Um unser Wachstumsziel von 15 Prozent zu erreichen, müssen wir nächstes Jahr mindestens drei neue Produktinnovationen bringen.“

(2) „Unsere Kunden verlangen nach mehr Serviceleistungen. Hier geht es darum, sowohl analog als auch digital neue Standards zu setzen.“

(3) „Wir müssen speziell in der jüngeren Zielgruppe unsere Marke wieder bekannter machen. Das erfordert, dass wir sowohl von der Produkt- als auch von der Kommunikationspolitik her neue zielgruppenspezifische Wege beschreiten.“

(4) „An Omni-Channel führt auch bei uns kein Weg vorbei. Kunden wollen heute ein 360 Grad-Einkaufserlebnis. Das heißt, dass wir sowohl Vertrieb als auch Kommunikation verstärkt digitalisieren müssen.“

(5) „Wir brauchen mehr und zielgruppengerechtere Kommunikation auf allen digitalen Kanälen.“

Es klingt aus Unternehmenssicht absolut logisch, dass dieses „Mehr“ nicht nur notwendig ist, sondern letztendlich auch „mehr Erfolg“ verspricht. Auf dem Papier sieht das alles immer großartig aus. Nur wenn man das Ganze aus Sicht der Kundenwahrnehmung betrachtet, ergibt sich oft ein gänzlich anderes Bild. Dazu sollten wir uns einmal das Beispiel Pepsi-Cola in den USA ansehen.

 

Die allgemeine Logik bei Pepsi-Cola

In den 1970er und 1980er Jahren war Pepsi-Cola mit der Kampagne „The choice of a new generation“ in den USA enorm erfolgreich. Damit positionierte sich Pepsi als die jüngere Cola gegen die gute, alte etwas „angestaubte“ Coca-Cola. Letztendlich war man so erfolgreich, dass man dachte, es wäre der richtige Zeitpunkt gekommen, um Coca-Cola endgültig als Marktführer abzulösen. (Im Supermarkt hatte man dies in den USA bereits damals zeitweise erreicht). Die logische Idee dahinter: Man müsse neben der jüngeren Zielgruppe in Zukunft auch die ältere Zielgruppe ansprechen.

Dazu erklärte ein Vertreter der Werbeagentur BBDO, die damals den Pepsi-Etat betreute: „Der einzige Haken an der früheren Pepsi-Werbung war, dass man sich zu sehr auf die Jugend konzentrierte. Wir wären imstande gewesen, größere Zuwächse zu erzielen, wenn wir unseren Horizont erweitert hätten, um ein größeres Netz auszuwerfen, um so mehr Leute an Land zu ziehen.“ Und so wurde die Pepsi-Generation durch das Kampagnenthema „Gotta have it“ abgelöst. Gleichzeitig setzte man auf ältere Testimonials wie Yogi Berri oder Regis Philbin.

Doch statt damit die Zielgruppe zu erweitern, wurde man dem Rivalen Coca-Cola ähnlicher. Man gab so (a) die jugendlichere Positionierung und Differenzierung auf und b) übersah man, dass es nicht um das tatsächliche Alter ging, sondern um das gefühlte Alter. So tranken auch schon vorher ältere Menschen Pepsi, weil sie sich jünger fühlten oder jünger fühlen wollten. Pepsi-Cola hat sich in den USA aus Markensicht bis heute nicht von dieser „Mehr ist mehr“-Fehlentscheidung erholt.

 

Die mögliche Unlogik bei Pepsi-Cola

Wie aber könnte Pepsi-Cola heute an Profil gegen Coca-Cola gewinnen, um wieder auf Wachstums- und Erfolgskurs zu kommen? Was sicher nicht funktionieren wird, wären mehr neue Produkte und mehr neue Kampagnen. Dies hat man in den letzten Jahren oder sogar Jahrzehnten immer und immer wieder versucht. So hatte man seit „Gotta Have It“ noch weitere Slogans wie „Be Young, Have Fun, Drink Pepsi“, „Nothing Else is a Pepsi“, „Generation Next“, „The Joy of Pepsi“, „Think Young Drink Young“, „It’s the Cola“, „Refresh Everything“, „Live for now“, „For the Love of It“ oder ganz aktuell für Pepsi Max „Maxium Taste. No Sugar.“.

Nur auch diese Pepsi Max Werbelinie ist nur ein Marketingprogramm von Pepsi neben anderen. Was tun? Dazu sollte man sich den großen Mitbewerber Coca-Cola genauer ansehen. Dessen große Stärke war und ist die Originalposition mit der geheimen Formel. Dessen große Schwäche ist aktuell, wie auch Cristiano Ronaldo bei der Fußball-EM aufzeigte, die Originalposition mit der geheimen Formel inklusive der Wahrnehmung, dass Coca-Cola viel zu viel Zucker enthält.

Genau hier sollte man attackieren. Nur dazu genügt es nicht, ein zuckerfreies Werbeproramm für Pepsi Max zu haben. So hat die Coca-Cola Company sogar zwei zuckerfreie Werbeprogramme, nämlich einmal eines für Coke Zero Sugar und einmal eines für Coke Light Taste. Um hier wirklich punkten zu können, müsste man bei Pepsi-Cola den Mut haben, die Marke in Summe radikal auf „ohne Zucker“ zu refokussieren, also total auf Zucker zu verzichten.

Aber auch das wäre zu wenig. Zusätzlich müsste man dann rund um diese „Zuckerfrei“-Position die „Choice of a new generation“-Kampagne mit aktuellen Stars und Influencern neu starten. Hier ginge es dann darum, dass man ein echtes nachhaltiges Zeichen gegen den Zucker und für Pepsi-Cola setzen würde. Damit würde man sich nicht nur wieder als echter Herausforderer und Alternative positionieren, man würde die Damen und Herren in Atlanta auch massiv in Zugzwang bringen. „Pepsi-Cola trinken“ könnte so – vor allem auch in den USA – zu einem echten Statement einer neuen Generation werden.

 

Fokussierung und Positionierung

Das heißt aber auch: „Mehr“ ist per se nicht schlecht. „Mehr“ wird für Marken dann gefährlich, wenn man damit die ureigene Position in der Wahrnehmung der Kunden untergräbt, und vor allem auch dann, wenn man damit dem Mitbewerb ähnlicher wird. Speziell gefährlich wird es auch, wenn alle Marken in einer Kategorie gedehnt bzw. im Laufe der Zeit überdehnt werden. Denn dann wird nämlich Schritt für Schritt der tiefe Preis als Entscheidungskriterium für die Kunden wichtiger.

Das heißt aber auch weiter: „Weniger“ ist alleine auch nicht ausreichend. „Weniger“ macht für Marken genau dann Sinn, wenn man so wieder eine starke Position in der Wahrnehmung der Kunden bekommt. Das heißt: Das ultimative Ziel eines Marken- und Marketingprogramms sollte ein dominante Position in der Wahrnehmung und im Gedächtnis der Kunden sein. Im Neuromarketing spricht man auch vom „Winner takes it all“-Prinzip. Dieses Prinzip gewinnt vor allem im digitalen Hyperwettbewerb von heute massiv an Bedeutung.

Der ideale Weg, um dies zu erreichen, besteht darin, den Fokus der eigenen Marke zu verengen und klar zu definieren. Es geht also darum, dass man den Fokus der eigenen Marke verbal und visuell auf den Punkt bringt, um einen spezifisch ausgewählten Markt zuerst mental und dann tatsächlich dauerhaft zu dominieren. Anders ausgedrückt: Viele, viele Marken verkaufen sich heute weit unter ihrem Potenzial, weil man zu breit und damit zu diffus aufgestellt und positioniert ist. Gleichzeitig versuchen viele dieser Marken dieses Problem mit „Mehr“ zu bekämpfen, statt fokussiert über „Weniger“ nachzudenken. Nur genau darin, also in der radikalen Fokussierung oder Refokussierung liegt in vielen, vielen Fällen der Schlüssel zum Erfolg. So einfach in der Theorie, oft so schwer in der Praxis.

Cover of Siegermarken
Das neue Buch von Michael Brandtner
Siegermarken

Die 10 ultimativen Denkmuster zum Marken- und Unternehmenserfolg

Verlag: Linde Verlag
2024, 178 Seiten, 29,90 Euro ISBN: 978-370930717

Img of Michael Brandtner

Markenstratege Michael Brandtner ist Österreichs führender Markenpositionierungsexperte und Lead Partner of Ries.