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New Work, Aufgabe 3: Hierarchien zurückbauen

Macht an sich ist ja weder gut noch böse. Es kommt vielmehr darauf an, wie man sie nutzt.
Anne M. Schüller | 28.08.2014
Treffen sich zwei Menschen, dann werden sie – und das passiert völlig unbewusst - zunächst ihren Status sondieren: Ist der andere mächtiger, attraktiver, einflussreicher, intelligenter und wohlhabender oder dümmer und ärmer als ich? Ist er in der Lage, mir die Frau/den Mann wegzunehmen? Wie hoch ist sein gesellschaftliches Ansehen? Bedroht er mein Territorium oder meinen Arbeitsplatz?

Und vor allem auch: Woran erkenne ich, ob er über oder unter mir steht? Meist verläuft ein solcher Statusabgleich auf sehr subtile Weise und ist kaum wahrnehmbar: durch die Form des Begrüßungsrituals, die Intensität des Blickkontakts, das Ausladende in der Gestik, den Anteil an Redezeit.

Hohe Stimmlagen bezeugen Ergebenheit, der „Brustton der Überzeugung“ beansprucht Respekt. Bässe verdienen im Job übrigens durchschnittlich mehr als Tenöre. Piepsige Stimmen, sagt sich unser Gehirn, wollen nur spielen, strenge Gesichter und sonore Stimmen hingegen meinen es ernst.

Wie sich Hochstatus manifestiert

Hochstatus weist an, ohne zu fragen. Niederstatus hört zu, ohne etwas zu sagen. Und wenn „Niedere“ reden, sind deren Hinweise irrelevant. Obere benötigen Zeichen der Macht und gleichfalls Zeichen der Ergebenheit, um sich ihrer Statushoheit jederzeit sicher zu sein.

Zur Unterwerfung gehören eine leise Stimme, ein ausweichender Blick, ein seitlich geneigter Kopf, das Sich-klein-Machen, ein unterwürfiges Lächeln, eine zaghafte Entschuldigung. Solche Gesten erzeugen die sogenannte Beißhemmung.

Untersuchungen haben übrigens gezeigt, dass beim Sieger eines Kampfes dessen Testosteronspiegel weiter steigt, während er beim Unterlegenen sofort in den Keller geht. Damit Gruppen handlungsfähig bleiben, gibt es diesen Unterwürfigkeitsautomatismus. Erst wenn die Statusfrage geklärt ist, kehrt Ruhe ein. Und erst dann kann man sich nun um Sachthemen kümmern.

Wie wird Hierarchie bei Ihnen gelebt?

Natürlich brauchen Gemeinschaften gemäßigte Ordnungssysteme und unvermeidliche Hierarchien. Aber sie brauchen keinen Wasserkopf. Hierarchieausdünnung als buchhalterischer Trick, um Kosten zu sparen und den Druck zu erhöhen, ist auch nicht mein Ding. Mir geht es hier vor allem um die gefühlte Hierarchie, die „Hierarchie im Kopf“ und ihre gefährlichen Folgen.

Entscheidende Fragen dabei sind die: Wie wird Hierarchie bei Ihnen gelebt? Oben Klasse, unten Masse? Wie viele rein formelle Statussymbole, die sogenannten Krücken der Macht, gibt es noch? Welche verbalen und nichtverbalen Überlegenheitszeichen werden wie zelebriert? Und von wem? Werden Unterwürfigkeitssignale rechtzeitig erkannt? Und wie wird damit umgegangen?

Wer spielt immer noch Herr und Knecht? Mit welchen Folgen? Und Achtung dabei: Diejenigen, die das tun, tun das geschickt. Und sie wählen ihre Worte trefflich, denn sie sind ja seminarerfahren. Doch ihre Einstellung, die spürt man auch zwischen den Zeilen. Am Ende läuft das alles auf eine Frage hinaus: Wie wird bei Ihnen mit Macht umgegangen?

Über Machtgeplänkel und Statussymbole

Wer Machtansprüche rein durch Hierarchie sichern will, riskiert (heimlichen) Widerspruch. Gerade von den Digital Natives wird Autorität erst dann anerkannt, wenn sie durch Taten gerechtfertigt ist. Institutionalisierte Autorität „von Amts wegen“ wird sofort hinterfragt. Und die klassischen Statussymbole haben viel von ihrer Strahlkraft verloren.

Eine junge Freundin von mir, der Rangmerkmale nicht so wichtig waren, hatte sich entschlossen, nach ihrer Beförderung in eine leitende Position weiter ihr schickes Cabrio statt eines fetten Dienstwagens zu fahren. Schon bald wurde sie von ihren Mitarbeitern gebeten, sie möge sich doch bitte den ihr zustehende rollenden Leistungsnachweis zulegen, weil die ganze Abteilung in den Augen der anderen schon als minderwertig galt.

In dieser Firma wurde Hierarchie noch immer über Quadratmeter Bürofläche, Länge der Fensterfront, Anzahl der Blumentöpfe und den fahrbaren Untersatz definiert. Doch solches Machtgeplänkel ist gefährlich. Es kostet Zeit und Energie, es belastet das Klima und begünstigt Regelverstöße.

Macht per se ist weder gut noch böse

Macht an sich ist ja weder gut noch böse. Es kommt vielmehr darauf an, wie man sie nutzt. Es gibt nämlich eine helle und eine dunkle Seite der Macht. Sie macht die Guten besser und die Schlechten schlechter. Der Grat ist schmal und die Verlockungen sind riesig.

„Dem ist sein neuer Job zu Kopf gestiegen“, sagt der Volksmund dazu. Wie recht der hat! Hirnforscher berichten von einem sich verändernden Hormongemenge: Vor allem der Testosteronspiegel steigt. Man wird zu einer High-T-Person, vielleicht sogar zu einer aus der „dunklen Triade“: Psychopathen, Narzissten und Machiavellisten. Die möglichen Folgen: Skrupellosigkeit, übersteigertes Geltungsbedürfnis, Positionengeschacher und Selbstbedienungsmentalität.

So wird etwa die ganze Company umgebaut, um den Investoren zu imponieren, der Wirtschaftspresse zu gefallen oder fette Boni einzuheimsen. Und dies ganz unabhängig davon, ob es unternehmerisch sinnvoll ist und dem Wohl aller dient. Egoistische Motive stehen im Vordergrund.

Testosteron: in den falschen Hirnen ein Teufelszeug

Die Machtdroge Testosteron dämpft auch Empathie, was früher im Einzelfall sinnvoll war, denn im Kampf musste man notfalls töten können. Sicher kann Testosteron auch ein wunderbarer Antreiber sein, es sorgt für Wachstum und Fortschritt, und es bringt uns auch mächtig voran. Doch in den falschen Hirnen ist es ein Teufelszeug.

Es befeuert Eskalation, lässt über zulässige Grenzen springen und fabriziert den gefürchteten Tunnelblick. Höllisch aufpassen muss also jeder, der Macht erlangt, denn Macht verändert die Persönlichkeit. Der zunehmend sorglose Umgang mit Machtbefugnissen führt zur blinden Selbstüberschätzung, zu Gewissenlosigkeit, zu pathologischem Größenwahn und womöglich in die Kriminalität.

Soziale Kompetenzen verkümmern. Gefühlskälte setzt ein. Und die selbstkritische Einsicht versiegt. Oft ist auch niemand mehr da, der nach Einhalt ruft. Denn Autoritätshörigkeit verbietet Widerworte. Übrigens besteht eine enge Beziehung zwischen einem beruflichen Aufstieg und dem Verschweigen von Fehlern und Schwierigkeiten gegenüber dem Chef. So kommen leider oft genau die Falschen durch.

Das Buch zum Thema

Anne M. Schüller:
Das Touchpoint-Unternehmen
Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt
Gabal, März 2014, 368 S., 29,90 Euro
ISBN: 978-3-86936-550-3

Zur Bestellung: http://www.loyalitaetsmarketing.com/rw_e13v/main.asp?WebID=schueller2_kf&PageID=49&Inline=