Das Ende der Kampagne
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Online-Marketing Band 2:
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Klassische Werbung funktioniert nicht mehr, weil das grundlegende Versprechen der Werbeagenturen an den Kunden in einer digitalen Gesellschaft nicht mehr funktioniert: Reichweite = Umsatz. Die Reichweite ist in ihrer Breite digital fast nicht mehr vorhanden. Nicht zufällig kosten die TKP (Tausender-Kontakt-Preis) online weit weniger als offline. Aber da alles auf IP-Technologie (Internet-Protokoll-Technologie) transferiert wird, werden die TKP überall sinken und so wird Werbung in zwanzig Jahren nicht mehr das sein, was es vor zwanzig Jahren war. Reichweite im Sinne einer ungeteilten Aufmerksamkeit sinkt rapide und auch die Aufmerksamkeitsspannen der Nutzer sinken. Reichweite lässt sich eben nicht in Pageimpressions (den alten Kontakten) messen. Sie zeigt sich in Menschen, die ihre ganze Aufmerksamkeit auf eine Sache richten, wenn auch nur die berühmten dreißig Sekunden lang.
Und ohne Reichweite gibt es nicht diesen „wunderbaren Druck”, den heute die Werbung erzeugt und damit die Menschen in die Supermärkte „drängt”. Die Fragmentierung der Medien durch die digitale Revolution hat eines der genialsten Systeme zerstört, das sich die Industrie aufgebaut hat. Eine kommunikative Einbahnstraße, bei der ein Absender fast jede Botschaft verbreiten kann. Heute will der Nutzer mehr und mehr in den Dialog treten. Er will gesehen werden und sehen, was die anderen tun oder zu bestimmten Produkten sagen.
Gerade die jüngere Generation ist es gewohnt, zu kommunizieren. Nur wenige Unternehmen haben das in ihrem Geschäftsmodell verankert: mit den Kunden reden. Wer jedoch nicht den Ton trifft oder schlimmer noch, schlechte Produkte anbietet, wird es sich mit den Digital Natives schnell verscherzen. Waren es früher noch 42 Menschen, denen man von einer schlechten Erfahrung berichtet hat, sind es heute 130. Also die durchschnittliche Anzahl der Freunde, denen man auf Facebook von einem völlig veralteten Produkt oder einer unfreundlichen Servicekraft berichtet.
Dazu kommt, dass Werbetreibende heute nicht wissen, was die Zukunft bringt und daher auch keine strategischen Entscheidungen gefällt werden. Alle probieren nur herum. Business Development? Fehlanzeige! Ob Verlage, FMCG-Konzerne oder der deutsche Mittelstand. Denn eine zentrale Frage kann heute niemand abschließend beantworten: Wird man Facebook, Google und Co. weiterhin freien Lauf lassen und dabei zusehen, wie diese Netzwerke Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte missachten, um damit Geld zu verdienen? Anders formuliert: Wird es also die ganzen neuen Werbeformen in ein paar Jahren überhaupt noch geben?
Werbung wurde von digitaler Seite oft als Einbahnstraße gering geschätzt, als Methode, die den Kunden entmündigt. Doch sieht man sie als Unterhaltung – zumindest die gut gemachten Spots – dann erzeugt Werbung neben der Aufmerksamkeit den notwendigen emotionalen Druck, um neue Kunden zu gewinnen und an Marken zu binden. Das klassische Prinzip der Werbung ist mit fortschreitender Digitalisierung hinfällig geworden und niemand hat bisher einen substantiellen Ersatz gefunden.
Die Markenkernschmelze
Eine Marke wird durch ihre Positionierung definiert – mit „Reason why”, „Benefit” und vielen „P‘s”, die in einem fast heiligen Dokument beschrieben werden. In einer Welt ohne kollektives, digitales Kommunizieren hat das gut funktioniert, denn alles, was man sich ausgedacht hat, hatte man im Griff. Soll die Marke mehr Luxus ausstrahlen, wurde das Testimonial ganz einfach aus dem Umfeld Golf oder Segelsport gesucht. War mehr Technik gefragt, wurden wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben oder die weltberühmte Zahnarztfrau gefunden, die einem erklärte, dass die Paste wirklich gut ist.
Heute wird der Markenkern hingegen auf den Marktplatz gezerrt und von allen Seiten betrachtet. Wer ist diese Zahnarztfrau genau? Warum keine Zahnärztin? Sollen wir für dumm verkauft werden? Schnell gibt es ein YouTube-Video mit spaßigen Spotkopien, die oft häufiger wahrgenommen werden als der Werbespot selbst. Was Unternehmen gestern noch selbst in der Hand hatten, liegt jetzt in den Händen der Zielgruppen, unkontrollierbar und permanent auf Sendung.
Wer kann dazu schon nein sagen? Alle, wenn sie wollen. Der Markenkern muss neu aufgestellt werden. Es braucht ein Sondereinsatzkommando, das ihn beschützt und aufbaut, ihm eine kommentarsichere Weste anzieht und dafür sorgt, dass er auf dem richtigen Marktplatz steht. Dabei heißt es nicht automatisch, dass eine Marke nur mit Facebook, Twitter und App fit ist für die digitale Zukunft. Jemand muss das nur bewusst entscheiden.
Das Disruptive an der digitalen Revolution ist die permanente Transparenz: Jeder kann alles immer finden. Daher stellt sich für jedes Unternehmen in diesen Tagen die Markenfrage neu. Was biete ich mit welcher nachvollziehbaren Leistung in einer transparent gewordenen Welt wie an?
Digital ist ein neues kollektives Verhalten
Online oder digital wird von vielen als Kanal gesehen, als weitere Werbeausspiel-Methode, etwas, das neben Print, TV und Kino seinen Platz gefunden hat. Es gibt Gerüchte, dass ein „360-Grad-Konzept“ helfen kann, eine zentrale Werbebotschaft auf den verschiedenen Kanälen auszuspielen. Angeboten wird daher (noch immer) scheinbar ein Rundum-Sorglos-Paket. Doch es gibt kein Rundum-Sorglos-Paket in Sachen Werbung mehr. Die Zeiten sind vorbei, in denen man in drei Programmen das Reichweiten-Paket mit einem kreativen Spot buchen konnte. Denn die Zielgruppen, wenn es sie überhaupt je gegeben hat, sind weg. Fragmentiert. Digitalisiert.
Die digitale Revolution ist definitiv kein Kanal, sondern eine disruptive Veränderung aller Bestandteile der Gesellschaft. Vom Industrieunternehmen über einen Verlag hin zu einem kleinen Friseursalon, vom Schüler über den Arzt bis hin zum Minister.
Digital ist kein Kanal, sondern ein Lifestyle, den man verstehen lernen muss. Wie bei Revolutionen üblich, bricht sich etwas seine Bahn und dann erst sieht man, wohin „die Reise“ geht. In diesem Fall eine auf Technologie basierende Kommunikationsmethode mit dem Potenzial, die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern. Siehe Finanzkrise, siehe Medienkrise, siehe die Krise der Filmindustrie.
Das Mediennutzungsverhalten hat sich grundlegend verändert – so stark, dass heute niemand ernsthaft eine Prognose wagt, was in den nächsten Jahren passieren wird. Werden Google, Facebook und Co. wieder von der Bildfläche verschwinden? Wird die alte Garde aus dem DAX oder DOW wieder übernehmen und alles bleibt beim Alten? Werden die Wertschöpfungsketten, bei denen so viele an den „Eyeballs“ der Zielgruppen verdienen, erhalten bleiben? Oder ist diese Art Wertschöpfung schon pulverisiert?
Es gibt die digitalen Vorreiter, die eine schöne, neue Welt an die Wand malen. Doch wie oft wurden schöne, neue Welten versprochen? Und wie oft ist es auch so gekommen? Eine zentrale Eigenschaft der digitalen Kommunikation ist die explizite Einbeziehung des Einzelnen. Gerade im Fall des sogenannten „Marketing in sozialen Medien” wird deutlich, wie aufwendig echter Dialog mit den Kunden ist. Zahlreiche Stakeholder in einer Firma sind daran beteiligt: Marketing, PR, Produktentwicklung, Kundendienst, Außendienst und so weiter. Welche Firma ist darauf heute vorbereitet? Auf Facebook eine Fanseite zu etablieren, um dort PR-Sprüche zu verteilen ist langfristig wahrscheinlich eher nicht erfolgreich. Doch kann man sich die Alternative – also den Dialog mit seinen Kunden – überhaupt leisten?
Soziale Medien sind keine Litfaßsäule
Mit dem Begriff „Social Media“ fasst man die Tatsache zusammen, dass man sich im Netz intensiv untereinander aber auch mit Marken und Unternehmen austauschen kann. Das stimmt. Doch: Wer die digitale Revolution als Kanal versteht, wird einen schlecht bezahlten Praktikanten oder Junior auf das Projekt „Social Media“ setzen, um „da auch mal was zu machen”. WAS ist dabei nicht so wichtig, sondern nur DASS man dabei ist. „Social Media“ ist für viele eine Untermenge von Internet beziehungsweise Digital. Dabei geht es im Kern um eine völlig neue Form der Werbung – den Dialog!
Fünf wichtige Erkenntnisse:
1. „Social Media“ ist eine Eigenschaft der digitalen Kommunikation und kein weiterer Kanal für Werbung.
2. „Social Media“ besteht aus Gesprächen zwischen Menschen nicht zwischen Organisationen und Menschen.
3. „Social Media“ kostet sehr viel Aufwand und Passion – vor allem in der internen Organsationsentwicklung.
4. „Social Media“ wird sich rasant verändern: Google, Facebook, Microsoft und Co. kämpfen gerade um die Hoheit über die Gespräche und investieren Milliarden.
5. „Social Media“ ist ein alter Hut. Wenn man seine Marke gut aufgestellt hat, braucht man keine „Social Media Beratung“ – falls nicht, sucht man besser qualifizierte Markenberater.
Auf keinen Fall ist Social Media eine Litfaßsäule (beispielsweise die Facebook-Fanpage), auf der man Werbebotschaften los wird.
Appvertising
Nichts ist den Menschen näher als ihr Telefon. Sie werden von ihrem Handy 24 Stunden am Tag begleitet. Es handelt sich um die persönlichste aller Technologien. Im Gegensatz zum PC verschwindet die Technologie dabei hinter den Streichoberflächen von iPhone und iPad nahezu. Die Wahrnehmung der digitalen Welt verändert sich und neue Benutzeroberflächen weisen in die Zukunft. Reden gerade alle noch über Digitalisierung, Onlinewerbung und Retargeting, so steckt die (digitale) Welt bereits mitten in der nächsten, umfassenden Revolution: Werbung wird zur App. Werbung wird zu einem „Ding“.
Waren Spot und Banner flüchtig, so haben Apps als Software eine prinzipiell längere Halbwertzeit. Sie bleiben auf den Geräten installiert, bis sie jemand aktiv löscht. Apps sind digitale trojanische Pferde, die viel über ihren Besitzer wissen: zum Beispiel Uhrzeit, Ort, Internetzugang. Je nachdem, was man in der App mit den potentiellen Kunden veranstaltet, kann man noch viel mehr erfahren. Wer will, kann soziale Medien und Apps verbinden. Man könnte das Smartphone in der Nähe eines Schaufensters klingeln lassen, wenn dort das beworbene Produkt als Sonderangebot liegt. Schon heute nutzen die großen Marken wie Mercedes-Benz oder TUI Apps und probieren die Zukunft aus.
Das Ende der Kampagnendenke
Heute steht die Kampagne für eine Marke im Zentrum der Aktivitäten des Brand-Managers. Eine gute Kampagnen-Idee ist weiterhin die allerheiligste Agenturleistung. Und doch ist es verwunderlich, warum so viele nur auf die Sinuskurve einer Kampagne setzen, also auf ein Auf und Ab und Auf und Ab.
Es werden saisonale Anlässe gesucht oder geschaffen, obwohl digital doch eigentlich immer Ostern ist. Man kann digital die heute vorhandene Reichweite aus TV und anderen Medien „einsammeln“ und verstetigen und damit seine TV-Millionen als langfristiges Investment sehen. Man kann von hinten anfangen und sich fragen, wie man es schafft, in den Strom der Facebook-Nachrichten („Gefällt mir“) zu kommen. Man kann sich bei der Kampagnen-Mechanik fragen, wie man am Ende als App beim Konsumenten auf dem Handy landet. So würde die heute noch vorhandene Reichweite von TV, Radio und Print in digitale Freunde umgewandelt.
Wer einmal in einen gut geführten digitalen Dialog geraten ist, wer sich bei seiner Marke zu Hause fühlt, für den muss man keinen Kontaktpreis mehr berappen, der ist dann ein Fan. Wenn interessante Themen gefunden werden und offen und menschlich kommuniziert wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Konsumenten sich ernst genommen fühlen und die Haltung der Marke honorieren.
Die Täler in der Sinuskurve können durch lebendige Kommunikation angehoben werden – nicht zwingend gleichmäßig und allumfassend, aber konsequent und nachhaltig. So werden auf digitaler Ebene aus passiven Empfängern aktive Teilnehmer. Und Aktivierung war schon immer ein zentrales Leitmotiv der Werbung.
Das Versprechen der Werbeagenturen der Zukunft an ihre Kunden lautet demnach folgerichtig: Dialog = Umsatz. Werbung ist also nicht mehr nur das Aufmerksamkeitsprinzip oder die Reichweite, sondern die Möglichkeit sich auszutauschen, Dinge zu erfahren, Kunden kennenzulernen. Der Aufwand ist hoch. Das liegt in der Natur des Dialoges. Er kann vielleicht nicht von jeder Marke gleichermaßen gestemmt werden. Der Prozess beginnt mit der entsprechenden Einstellung. Das bedeutet, dass sich nicht wenige Marken neu erfinden müssen. Doch Dialoge können entwickelt und aufgebaut werden. Der einzelne Umfang ist dabei genauso individuell bemessen wie der Dialog selbst. Wer diesen Ansatz verinnerlicht, hat beste Chancen, die digitale Revolution für sich zu nutzen.
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Klassische Werbung funktioniert nicht mehr, weil das grundlegende Versprechen der Werbeagenturen an den Kunden in einer digitalen Gesellschaft nicht mehr funktioniert: Reichweite = Umsatz. Die Reichweite ist in ihrer Breite digital fast nicht mehr vorhanden. Nicht zufällig kosten die TKP (Tausender-Kontakt-Preis) online weit weniger als offline. Aber da alles auf IP-Technologie (Internet-Protokoll-Technologie) transferiert wird, werden die TKP überall sinken und so wird Werbung in zwanzig Jahren nicht mehr das sein, was es vor zwanzig Jahren war. Reichweite im Sinne einer ungeteilten Aufmerksamkeit sinkt rapide und auch die Aufmerksamkeitsspannen der Nutzer sinken. Reichweite lässt sich eben nicht in Pageimpressions (den alten Kontakten) messen. Sie zeigt sich in Menschen, die ihre ganze Aufmerksamkeit auf eine Sache richten, wenn auch nur die berühmten dreißig Sekunden lang.
Und ohne Reichweite gibt es nicht diesen „wunderbaren Druck”, den heute die Werbung erzeugt und damit die Menschen in die Supermärkte „drängt”. Die Fragmentierung der Medien durch die digitale Revolution hat eines der genialsten Systeme zerstört, das sich die Industrie aufgebaut hat. Eine kommunikative Einbahnstraße, bei der ein Absender fast jede Botschaft verbreiten kann. Heute will der Nutzer mehr und mehr in den Dialog treten. Er will gesehen werden und sehen, was die anderen tun oder zu bestimmten Produkten sagen.
Gerade die jüngere Generation ist es gewohnt, zu kommunizieren. Nur wenige Unternehmen haben das in ihrem Geschäftsmodell verankert: mit den Kunden reden. Wer jedoch nicht den Ton trifft oder schlimmer noch, schlechte Produkte anbietet, wird es sich mit den Digital Natives schnell verscherzen. Waren es früher noch 42 Menschen, denen man von einer schlechten Erfahrung berichtet hat, sind es heute 130. Also die durchschnittliche Anzahl der Freunde, denen man auf Facebook von einem völlig veralteten Produkt oder einer unfreundlichen Servicekraft berichtet.
Dazu kommt, dass Werbetreibende heute nicht wissen, was die Zukunft bringt und daher auch keine strategischen Entscheidungen gefällt werden. Alle probieren nur herum. Business Development? Fehlanzeige! Ob Verlage, FMCG-Konzerne oder der deutsche Mittelstand. Denn eine zentrale Frage kann heute niemand abschließend beantworten: Wird man Facebook, Google und Co. weiterhin freien Lauf lassen und dabei zusehen, wie diese Netzwerke Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte missachten, um damit Geld zu verdienen? Anders formuliert: Wird es also die ganzen neuen Werbeformen in ein paar Jahren überhaupt noch geben?
Werbung wurde von digitaler Seite oft als Einbahnstraße gering geschätzt, als Methode, die den Kunden entmündigt. Doch sieht man sie als Unterhaltung – zumindest die gut gemachten Spots – dann erzeugt Werbung neben der Aufmerksamkeit den notwendigen emotionalen Druck, um neue Kunden zu gewinnen und an Marken zu binden. Das klassische Prinzip der Werbung ist mit fortschreitender Digitalisierung hinfällig geworden und niemand hat bisher einen substantiellen Ersatz gefunden.
Die Markenkernschmelze
Eine Marke wird durch ihre Positionierung definiert – mit „Reason why”, „Benefit” und vielen „P‘s”, die in einem fast heiligen Dokument beschrieben werden. In einer Welt ohne kollektives, digitales Kommunizieren hat das gut funktioniert, denn alles, was man sich ausgedacht hat, hatte man im Griff. Soll die Marke mehr Luxus ausstrahlen, wurde das Testimonial ganz einfach aus dem Umfeld Golf oder Segelsport gesucht. War mehr Technik gefragt, wurden wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben oder die weltberühmte Zahnarztfrau gefunden, die einem erklärte, dass die Paste wirklich gut ist.
Heute wird der Markenkern hingegen auf den Marktplatz gezerrt und von allen Seiten betrachtet. Wer ist diese Zahnarztfrau genau? Warum keine Zahnärztin? Sollen wir für dumm verkauft werden? Schnell gibt es ein YouTube-Video mit spaßigen Spotkopien, die oft häufiger wahrgenommen werden als der Werbespot selbst. Was Unternehmen gestern noch selbst in der Hand hatten, liegt jetzt in den Händen der Zielgruppen, unkontrollierbar und permanent auf Sendung.
Wer kann dazu schon nein sagen? Alle, wenn sie wollen. Der Markenkern muss neu aufgestellt werden. Es braucht ein Sondereinsatzkommando, das ihn beschützt und aufbaut, ihm eine kommentarsichere Weste anzieht und dafür sorgt, dass er auf dem richtigen Marktplatz steht. Dabei heißt es nicht automatisch, dass eine Marke nur mit Facebook, Twitter und App fit ist für die digitale Zukunft. Jemand muss das nur bewusst entscheiden.
Das Disruptive an der digitalen Revolution ist die permanente Transparenz: Jeder kann alles immer finden. Daher stellt sich für jedes Unternehmen in diesen Tagen die Markenfrage neu. Was biete ich mit welcher nachvollziehbaren Leistung in einer transparent gewordenen Welt wie an?
Digital ist ein neues kollektives Verhalten
Online oder digital wird von vielen als Kanal gesehen, als weitere Werbeausspiel-Methode, etwas, das neben Print, TV und Kino seinen Platz gefunden hat. Es gibt Gerüchte, dass ein „360-Grad-Konzept“ helfen kann, eine zentrale Werbebotschaft auf den verschiedenen Kanälen auszuspielen. Angeboten wird daher (noch immer) scheinbar ein Rundum-Sorglos-Paket. Doch es gibt kein Rundum-Sorglos-Paket in Sachen Werbung mehr. Die Zeiten sind vorbei, in denen man in drei Programmen das Reichweiten-Paket mit einem kreativen Spot buchen konnte. Denn die Zielgruppen, wenn es sie überhaupt je gegeben hat, sind weg. Fragmentiert. Digitalisiert.
Die digitale Revolution ist definitiv kein Kanal, sondern eine disruptive Veränderung aller Bestandteile der Gesellschaft. Vom Industrieunternehmen über einen Verlag hin zu einem kleinen Friseursalon, vom Schüler über den Arzt bis hin zum Minister.
Digital ist kein Kanal, sondern ein Lifestyle, den man verstehen lernen muss. Wie bei Revolutionen üblich, bricht sich etwas seine Bahn und dann erst sieht man, wohin „die Reise“ geht. In diesem Fall eine auf Technologie basierende Kommunikationsmethode mit dem Potenzial, die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern. Siehe Finanzkrise, siehe Medienkrise, siehe die Krise der Filmindustrie.
Das Mediennutzungsverhalten hat sich grundlegend verändert – so stark, dass heute niemand ernsthaft eine Prognose wagt, was in den nächsten Jahren passieren wird. Werden Google, Facebook und Co. wieder von der Bildfläche verschwinden? Wird die alte Garde aus dem DAX oder DOW wieder übernehmen und alles bleibt beim Alten? Werden die Wertschöpfungsketten, bei denen so viele an den „Eyeballs“ der Zielgruppen verdienen, erhalten bleiben? Oder ist diese Art Wertschöpfung schon pulverisiert?
Es gibt die digitalen Vorreiter, die eine schöne, neue Welt an die Wand malen. Doch wie oft wurden schöne, neue Welten versprochen? Und wie oft ist es auch so gekommen? Eine zentrale Eigenschaft der digitalen Kommunikation ist die explizite Einbeziehung des Einzelnen. Gerade im Fall des sogenannten „Marketing in sozialen Medien” wird deutlich, wie aufwendig echter Dialog mit den Kunden ist. Zahlreiche Stakeholder in einer Firma sind daran beteiligt: Marketing, PR, Produktentwicklung, Kundendienst, Außendienst und so weiter. Welche Firma ist darauf heute vorbereitet? Auf Facebook eine Fanseite zu etablieren, um dort PR-Sprüche zu verteilen ist langfristig wahrscheinlich eher nicht erfolgreich. Doch kann man sich die Alternative – also den Dialog mit seinen Kunden – überhaupt leisten?
Soziale Medien sind keine Litfaßsäule
Mit dem Begriff „Social Media“ fasst man die Tatsache zusammen, dass man sich im Netz intensiv untereinander aber auch mit Marken und Unternehmen austauschen kann. Das stimmt. Doch: Wer die digitale Revolution als Kanal versteht, wird einen schlecht bezahlten Praktikanten oder Junior auf das Projekt „Social Media“ setzen, um „da auch mal was zu machen”. WAS ist dabei nicht so wichtig, sondern nur DASS man dabei ist. „Social Media“ ist für viele eine Untermenge von Internet beziehungsweise Digital. Dabei geht es im Kern um eine völlig neue Form der Werbung – den Dialog!
Fünf wichtige Erkenntnisse:
1. „Social Media“ ist eine Eigenschaft der digitalen Kommunikation und kein weiterer Kanal für Werbung.
2. „Social Media“ besteht aus Gesprächen zwischen Menschen nicht zwischen Organisationen und Menschen.
3. „Social Media“ kostet sehr viel Aufwand und Passion – vor allem in der internen Organsationsentwicklung.
4. „Social Media“ wird sich rasant verändern: Google, Facebook, Microsoft und Co. kämpfen gerade um die Hoheit über die Gespräche und investieren Milliarden.
5. „Social Media“ ist ein alter Hut. Wenn man seine Marke gut aufgestellt hat, braucht man keine „Social Media Beratung“ – falls nicht, sucht man besser qualifizierte Markenberater.
Auf keinen Fall ist Social Media eine Litfaßsäule (beispielsweise die Facebook-Fanpage), auf der man Werbebotschaften los wird.
Appvertising
Nichts ist den Menschen näher als ihr Telefon. Sie werden von ihrem Handy 24 Stunden am Tag begleitet. Es handelt sich um die persönlichste aller Technologien. Im Gegensatz zum PC verschwindet die Technologie dabei hinter den Streichoberflächen von iPhone und iPad nahezu. Die Wahrnehmung der digitalen Welt verändert sich und neue Benutzeroberflächen weisen in die Zukunft. Reden gerade alle noch über Digitalisierung, Onlinewerbung und Retargeting, so steckt die (digitale) Welt bereits mitten in der nächsten, umfassenden Revolution: Werbung wird zur App. Werbung wird zu einem „Ding“.
Waren Spot und Banner flüchtig, so haben Apps als Software eine prinzipiell längere Halbwertzeit. Sie bleiben auf den Geräten installiert, bis sie jemand aktiv löscht. Apps sind digitale trojanische Pferde, die viel über ihren Besitzer wissen: zum Beispiel Uhrzeit, Ort, Internetzugang. Je nachdem, was man in der App mit den potentiellen Kunden veranstaltet, kann man noch viel mehr erfahren. Wer will, kann soziale Medien und Apps verbinden. Man könnte das Smartphone in der Nähe eines Schaufensters klingeln lassen, wenn dort das beworbene Produkt als Sonderangebot liegt. Schon heute nutzen die großen Marken wie Mercedes-Benz oder TUI Apps und probieren die Zukunft aus.
Das Ende der Kampagnendenke
Heute steht die Kampagne für eine Marke im Zentrum der Aktivitäten des Brand-Managers. Eine gute Kampagnen-Idee ist weiterhin die allerheiligste Agenturleistung. Und doch ist es verwunderlich, warum so viele nur auf die Sinuskurve einer Kampagne setzen, also auf ein Auf und Ab und Auf und Ab.
Es werden saisonale Anlässe gesucht oder geschaffen, obwohl digital doch eigentlich immer Ostern ist. Man kann digital die heute vorhandene Reichweite aus TV und anderen Medien „einsammeln“ und verstetigen und damit seine TV-Millionen als langfristiges Investment sehen. Man kann von hinten anfangen und sich fragen, wie man es schafft, in den Strom der Facebook-Nachrichten („Gefällt mir“) zu kommen. Man kann sich bei der Kampagnen-Mechanik fragen, wie man am Ende als App beim Konsumenten auf dem Handy landet. So würde die heute noch vorhandene Reichweite von TV, Radio und Print in digitale Freunde umgewandelt.
Wer einmal in einen gut geführten digitalen Dialog geraten ist, wer sich bei seiner Marke zu Hause fühlt, für den muss man keinen Kontaktpreis mehr berappen, der ist dann ein Fan. Wenn interessante Themen gefunden werden und offen und menschlich kommuniziert wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Konsumenten sich ernst genommen fühlen und die Haltung der Marke honorieren.
Die Täler in der Sinuskurve können durch lebendige Kommunikation angehoben werden – nicht zwingend gleichmäßig und allumfassend, aber konsequent und nachhaltig. So werden auf digitaler Ebene aus passiven Empfängern aktive Teilnehmer. Und Aktivierung war schon immer ein zentrales Leitmotiv der Werbung.
Das Versprechen der Werbeagenturen der Zukunft an ihre Kunden lautet demnach folgerichtig: Dialog = Umsatz. Werbung ist also nicht mehr nur das Aufmerksamkeitsprinzip oder die Reichweite, sondern die Möglichkeit sich auszutauschen, Dinge zu erfahren, Kunden kennenzulernen. Der Aufwand ist hoch. Das liegt in der Natur des Dialoges. Er kann vielleicht nicht von jeder Marke gleichermaßen gestemmt werden. Der Prozess beginnt mit der entsprechenden Einstellung. Das bedeutet, dass sich nicht wenige Marken neu erfinden müssen. Doch Dialoge können entwickelt und aufgebaut werden. Der einzelne Umfang ist dabei genauso individuell bemessen wie der Dialog selbst. Wer diesen Ansatz verinnerlicht, hat beste Chancen, die digitale Revolution für sich zu nutzen.